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Kategorie: Heimspiel

Birgit Richard leitet das Jugendkulturarchiv an der Frankfurter Goethe-Uni

 

Eicke Holly und Anja Prechel

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie ticken Teenager? Birgit Richard, Professorin für Neue Medien am Institut für Kunstpädagogik an der Goethe-Uni, stellt sich diese Frage täglich. Im Archiv der europäischen Jugendkulturen sammelt sie Alltagsgegenstände junger Menschen. Ihr Wissen gibt sie an Kunstpädagogikstudenten weiter. Oder lässt es in Ausstellungen einfließen.

 

Birgit Richard ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Universität in Frankfurt kein hehrer Elfenbeinturm ist, sondern mitten im Leben steht, auch in dem der Frankfurter. Es fällt auf, wie viele Veranstaltungen die Goethe-Universität den Bewohnern der Stadt bietet und welche interessante Personen man kennenlernen kann.Und sie ist auch ein Beispiel dafür, daß sie Berufsbezeichnungen hintenanstellt und sich nicht – was Politiker gerne tun und ein Kommunalpolitiker besonders gerne – Professoren nennen, als Titel vor dem Namen, auch wenn diejenigen nur Honorarprofessoren sind.

 

Also: Man könnte sagen, sie ist eine Berufsjugendliche. Birgit Richard, 53 Jahre alt, Professorin für Neue Medien am Institut für Kunstpädagogik der Goethe-Universität, befasst sich von Berufs wegen mit den Lebenswelten Heranwachsender. Als Gründerin und Leiterin des Archivs der europäischen Jugendkulturen weiß sie sehr genau, was Jugendliche wollen, treiben, wie sie leben. Birgit Richard kann es sogar wissenschaftlich belegen.

 

 

Was ist uncool?

 

Da ist zum Beispiel die Studie „Inter-Cool 3.0. Jugend Bild Medien“, für die Birgit Richard und ihre Mitarbeiter bei der gleichnamigen Ausstellung von „Ruhr 2010“ – das Ruhrgebiet war vor fünf Jahren Kulturhauptstadt Europas – im Dortmunder U-Turm durchführten. Über 500 Besucher zwischen 13 und 24 Jahren antworteten auf Fragen wie: Welche Sachen sind so uncool, dass du sie niemals tragen würdest? Welche Serien schaust du, welche Games spielst du? Machst du selbst Fotos und stellst sie im Internet aus? Wo? Ziel der Befragung: Herausfinden, welche medialen und ästhetischen Strategien Jugendliche anwenden, um ein Bild von sich zu zeichnen.

 

 

Was trägst du?

 

Jugendliche suchen ihren Platz in der Gesellschaft“, erklärt Birgit Richard. Sie bilden Gruppen. Mehr als Erwachsene kommunizieren sie dabei über Kleidung. Mit dem Tragen bestimmter Jeans, Shirts, Accessoires und Marken schaffen sie Zugehörigkeiten. Neu ist das nicht: Bereits in den 1950ern zeigten Jugendliche mit ihrer Kleidung, ob sie beispielsweise zu den Rock'n'Rollern oder den Halbstarken gehörten, in den 1980ern ob sie Punks oder Popper waren. Vermutlich wird es sich auch zukünftig nicht ändern. „Man kann sich dem nicht entziehen“, sagt Birgit Richard. „In einem bestimmten Alter möchte man unbedingt dazugehören.“ Wer die falschen Klamotten trägt, läuft Gefahr, ausgegrenzt zu werden. „Discountmarken signalisieren zum Beispiel sozialen Abstieg. Für die Jugendlichen ist das ganz schlimm.“ In Birgit Richards Jugend waren es Jeans großer Modeketten, die verpönt waren. „Es musste eine Levis sein. Mit Schlag, am besten verwaschen und ausgefranst.“ Ihren Eltern war diese Mode damals genauso ein Graus wie den Müttern und Vätern heute beispielsweise ultrakurze Shorts, wie junge Mädchen sie tragen, oder enge, bis zum Knöchel hochgekrempelte Hosen der Hipster-Jungs.

 

 

Wie fühlt es sich an?

 

In Hotpants wird man Birgit Richard kaum begegnen. In knackigen Skinny-Jeans oder verbeulten Baggypants schon: „Ich will wissen, wie sie sich tragen. In einer engen Hose bewegt man sich anders als in einer weiten. Das Tragegefühl ist auch ein Stück Lebensgefühl.“ Die Professorin zieht ein Paar Buffalo-Schuhe aus einem Regal. Mit einer Sohle dick wie ein Brikett waren sie die Schuhe der späten 1990er Jahre. Die einen liebten sie, die anderen hassten sie. Wenn Birgit Richard sie zu dieser Zeit probehalber trug, schüttelten ihre Freunde den Kopf.

 

Schuhe wie die Buffalos, Modelle von Clarks oder Doc Martens, Veranstaltungsflyer, Bomberjacken, Festival-Armbänder, Plattenspieler, Getränkedosen und Gasmasken sind der Schatz, den Birgit Richard im Jugendkulturarchiv hortet. Über 2.000 Stücke stapeln und drängen sich auf vielleicht zwölf Quadratmetern in der Bockenheimer Sophienstraße 1-3, einem Backsteinbau, in dem man eher eine alternative Wohngemeinschaft vermuten könnte als universitäre Büros, einen Seminarraum und eine Schatztruhe jugendkultureller Artefakte.

 

 

Was prägt den Alltag?

 

Angefangen hatte es 1993 mit einer G-Shock-Uhr und einem Loveparade-T-Shirt. Angeregt von ihrem Doktorvater begann die Professorin, damals noch wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Kunst- und Designpädagogik an der Uni Essen, Dinge aus dem Alltag der Jugendlichen zu sammeln. Es waren die 1990er Jahre, Techno und Rave allgegenwärtig. Während sich ihr Doktorvater Gebrauchsgegenständen wie Toastern widmete, richtete sich Richards Fokus auf Kleidung, wie sie zu dieser Zeit in jedem Laden hing – Buffalo-Schuhe und G-Shock-Uhren trugen bei Weitem nicht nur Raver oder Technofans, man sah sie in allen Schichten und Gruppierungen. Natürlich gab es vor gut 20 Jahren auch andere Strömungen als Techno. Birgit Richards Sammlung erzählt exemplarische Alltagsgeschichten, Jugendkultur umfassend repräsentieren will und kann das Archiv nicht.

 

 

Wer beeinflusst wen?

 

Diese Dinge zu bewahren, hilft beim Verstehen. Hilft dabei, Einflüsse auf Medien, Design, Mode und Gesellschaft nachvollziehen zu können. „Für die Forschung zur Alltagsästhetik bildet das Archiv das Basismaterial für die Entwicklungen von Theorien zur Ästhetik und Mediennutzung von Jugendkulturen“ – so steht es auf der Website der Goethe-Uni. Medien, Mode und Gesellschaft beeinflussen Jugendliche. Jugendliche beeinflussen Medien, Mode und Gesellschaft. Wer oder was genau welchen Anteil hat, lasse sich nie genau sagen. Dass sich Dinge verändern schon. Birgit Richard nennt das Beispiel Workwear: Musiker aus der Hip-Hop-Szene trugen Arbeitskleidung, Jugendliche machten es ihnen nach. Derbe Jacken mit Teddyfutter, Hosen mit verstärkten Knien waren plötzlich salonfähig. Auch bei Erwachsenen. Aus Arbeitsklamotten wurde Mode, besonders erfolgreiche Hersteller lancierten Damenlinien und eröffneten Geschäfte in bester Innenstadtlage.

 

 

Was verändert sich?

 

Beobachtungen und Markttendenzen wie diese, Theorien und Wissen fließen in Birgit Richards Seminare für Studierende der Kunstpädagogik ein. Und in Ausstellungen. Zurzeit bereitet Birgit Richard gemeinsam mit anderen Kuratoren die Schau „Hamster – Hipster – Handy. Im Bann des Mobiltelefons“ vor. Sie wird ab 24. April im Museum Angewandte Kunst gezeigt und präsentiert einen Streifzug durch die Welt des Kultur- und Konsumobjekts Mobiltelefon. Aus dem heutigen Alltag ist es nicht mehr wegzudenken, als Smartphone ersetzt es Stadtpläne, Kalender, Fotoapparate, dient jederzeit an jedem Ort der virtuellen Kontaktpflege und auch der Selbstdarstellung. Eltern sorgen sich über übermäßigen Smartphone-Gebrauch ihrer Kinder, Studien belegen die Schädlichkeit des Dauer-Daddelns. Es wird debattiert und gestritten, dass es eine reine Freude für Birgit Richard ist. „Wo sich am meisten aufgeregt wird, da ist eine kulturelle Veränderung im Gang“, zitiert sie den Kulturwissenschaftler Diedrich Diedrichsen.

 

 

Wo hört das Verständnis auf?

 

Für Birgit Richard ist es das Interessanteste überhaupt, mit jungen Menschen Fragen nach dem Warum und Wie zu stellen. Die Beschäftigung mit Jugendkultur halte jung, sagt sie. Doch auch sie kann nicht alles nachvollziehen, was Teenager toll finden – siehe übermäßigen Smartphone-Konsum. „Grauenhaft“, sagt Birgit Richard und spricht dabei über die Stars heutiger Teenager: Youtube-Tutoren, selbst oft kaum älter als ihre Fans. Drehen handgemachte Erklär-Filmchen über Make-up, die perfekte Garderobe, übers Flirten, über Fußball oder Hip-Hop-Moves. Und werden für diese Tutorials von den Teenagern verehrt wie Popstars. „Dass ich die Youtube-Stars so schlecht finde, finde ich aber schon wieder gut. Jugendliche suchen sich eigene Nischen, um sich von Erwachsenen abzuheben“, sagt Birgit Richard. Neu ist das nicht. Vermutlich wird es sich auch zukünftig nicht ändern.

 

 

Foto: Birgit Richard , (o) Stefan Maurer/PIA