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Kategorie: Film & Fernsehen
f gottridreierSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Januar 2018, Teil 8

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Die Mythen der Geschichte sind vielfältige, die des Films sind auch fast unüberschaubar, aber die der modernen Großstadtwelt, die multinational, mit Kapital, mit Drogen, mit dem schnellen Gewinn, mit Sex und Verrat und differenten Formen von Korruption und Mafiaphänomenen vollgepflastert sind, die sind im deutschen Kino selten anzutreffen.

Einer, der sich das traut ist Özgür Yildirim, der mit CHIKO im Jahr 2008 schon mal vorlegte. Auch damals übrigens mit Teilen des jetzigen Team, vor allem mit seinem Hauptdarsteller Moritz Bleibtreu. Und wenn man sich dessen, sicher in der Erinnerung bleibendes Spiel anschaut, dann hofft man, es war nicht die letzte Zusammenarbeit. Denn Yildirim läßt Bleibtreu einfach spielen und er spielt sich buchstäblich die Seele aus dem Leib, denn er hat eine Seele und das ist jetzt nicht so gemeint, daß andere keine hätten, aber die echten Bösen nutzen ihre Seele nicht. Dagegen sind die drei, um deren Geschick der Film kreist, die guten Bösen, die wie in einem griechischen Drama das Gute gewollt, die schlimmsten Auswirkungen des Bösen erleiden. Na klar, Engelchen sind die alle drei nicht, sie erleiden also nicht nur Schlimmes, sondern befinden sich in einem unaufhörlich Kreislauf von Gewalt, wo ein Zug den anderen nach sich zieht – buchstäblich, bis alle tot sind.

Aber das ist erst am Ende. Der Film beginnt mit Ricky, dessen 5jähriger Aufenthalt im Knast gerade vorbei ist. Erst später im Film erfahren wir durch Rückblende, warum er überhaupt eingebuchtet wurde. Dies Prinzip der Rückblende, um dem Zuschauer das Geschehen zu verdeutlichen, wird immer wieder mal angewandt. Aber überhaupt nicht aufdringlich, also auch nicht zuviel. Auf jeden fall weiß jetzt jeder, daß das Dreiergespann Ricky, sein jüngerer Bruder Rafael(Edin Hasanovic) und der Freund Latif (Kida Khodr Ramadan) damals einen einen russischen Dealer um dessen Drogen erleichtern wollten – was schief ging. Ricky jedoch, der in allem der ältere Bruder und fürsorgend gegenüber den anderen – auch gegenüber seinem alten, richtig gemeinen, in die Demenz abgleitenden Vater, den Peter Simonitschek so verwahrlost trottelig spielt, wie es nur geht – ist, hatte damals den Familienvater Latif weggeschickt und vor der Polizei nur sich als Täter benannt, so daß Raffael mit zwei Jahren davon kam.

Und bevor die Geschichte weitergeht, muß man hinzufügen, daß das alles in Frankfurt spielt, der - nach dem Boulevard - Hochburg des Verbrechens. Nach der Statistik nicht. Und obwohl der gemeine Frankfurter natürlich seine Stadt immer dann wiedererkennt, wenn im Rundblick meist im Dunkeln die Kamera über die Skyline fährt, spielen doch die meisten Szenen in Hinterhöfen, Kneipen und Wohnungen, die überall sein können. Bis auf die Bar, wo die jungen Dinger halbnackt an den Stangen rauf und runtergleiten, was Elena (Franziska Wulf) sehr gut kann, die aber im bürgerlichen Leben eine geliebte Tochter und Freundin von Rickys Bruder Rafael ist, mit dem sie eine Tanzschule aufmachen will. Und Ricky, der will in den Süden abhauen und dort eine gepflegte Bar betreiben, wofür er mindestens 10-15 000 Euro braucht.

Die Sehnsüchte sind also auf eine bürgerliche Welt gerichtet, auch bei der Streifenpolizistin (Birgit Minichmayr), die sich als tragische Figur die Hauptrolle mit Ricky teilen darf. Sie, die frisch verlassene Ehefrau und Mutter erfährt gerade, daß das Herz ihrer Tochter in einem Jahr aussetzt, wenn sie nicht sofort für rund 30 000 ein Spenderherz auf dem Schwarzmarkt kauft. Sie wäre als Beamtin kreditwürdig, aber sie hatte ihre Unterschrift unter alle Kreditverträge ihres Mannes gesetzt, der nun mit einer neuen Frau und einem neuen Kind eine neue Familie gründet.

Im Kern geht es also darum, daß Freund Latif, von dem Ricky hoffte, sein Startgeld zu erhalten, dieses nicht hat; dafür hat er aber einen Plan, wie sie ein letztes Mal den großen Coup machen – und erfolgreich, weil es ja dann auch das letze Mal sein wird und mit dem Geld die erwähnten bürgerlichen Karrieren laufen können. Auch diesmal geht es um Drogen, und auch diesmal um einen fiesen Plan, den andere aushecken, an dem dann aber unsere Drei scheitern. Bei einer Drogenübergabe: Stoff gegen Geld sollen sie als Dritte, von außen kommend, den Stoff abnehmen, damit die Initiatoren ihr Geld behalten und dann für 50 000 auch noch den Stoff übernehmen, der wohl 200 000 oder so wert ist. Die Drogendealer hätten keine Waffen. Und diese Übergabe – sozusagen klassisch inszeniert – geht gründlich schief. Unter den Toten ist später auch Rafael, der allseits beliebte, der als junger Heißspund, der seine Gefühle und seine Kraft nicht unter Kontrolle hat, durch den Film wandert.

Aber so weit sind wir noch nicht, denn die Polizei ist, als es doch zu einer Schießerei kommt, schnell da und verfolgt Rafael, der mit dem Stoff abgehauen ist. Als er vor der Entscheidung: gefangen oder die Drogen da lassen, steht, ist ihm sein Leben lieber. Die ihn verfolgende Polizistin sichert den Stoff, denn nun fällt ihr ein, daß das Geld dafür genau richtig für die Operation der Tochter wäre. Erst versteckt sie die Tasche, dann holt sie sie und dann versucht sie ungeübt, den Inhalt für die 30 000 zu verkaufen, die sie für die OP braucht. Da fließt Blut und vor allem: das falsche.

Mehr wollen wir jetzt nicht erzählen, und wer glaubt, das sei ein bißchen viel, zu komplex oder auch ein bißchen weit hergeholt, wird im Filmgeschehen mitgerissen von einer Wahrhaftigkeit, die nicht so sehr im Geschehen, sondern in den Figuren liegt. Und neben der Atmosphäre, die einem ständig suggeriert, nicht so hoch hinaus, es geht übel aus, ist es die Wucht der Darstellung, die einen in Bann schlägt. Das ist in erster Linie ein Schauspielerfilm, wo jede Figur paßgenau besetzt ist und in ihrem Rahmen eine Echtheit ins Spiel bringt, die auf einmal den ganzen Film zu einem glaubwürdigen macht. Was will man von einem deutschen Film mehr. Er moralisiert nicht, er kommt nicht sozialkritisch daher, sondern zeigt Menschen, die im Wahn, nun werde das Leben gut, ständig falsche Entscheidungen treffen.

Das Ganze hat was von einer antikische Tragödie und gleichzeitig etwas Alttestamentarisches (heute sagt man altestamentlich, aber in dem Zusammenhangm, spricht die Semantik für Ersteres). Tragisch also, schwarz, blutig und traurig, aber saugut gemacht.

Foto:
© Verleih

Info:
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Kida Khodr Ramadan, Edin Hasanovic, Birgit Minichmayr, Peter Simonischek, Franziska Wulf, Alexandra Maria Lara, Tim Wilde u.v.a.

Produzenten: Christian Becker, Moritz Bleibtreu

Executive Producer: Martin Moszkowicz

Co-Produzent: Özgür Yildirim

Regie & Drehbuch: Özgür Yildirim