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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2018 09 27 um 02.37.13Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. September 2018, Teil 3 : „EMPATHIE FÜR UNSERE MITMENSCHEN“

N.N.

Madrid (Weltexpresso) - Wie kam es zu diesem Filmprojekt?

Vor 15 Jahren reiste ich durch den Süden von Spanien. Die Atmosphäre, die dieses Land versprühte und seine Kultur haben mich sehr fasziniert. Damals sah ich in einer kleinen Stadt Bilder eines Kindes, die an Mauern und Wände geklebt waren. Es handelte sich um ein Kind, das spurlos verschwunden war. Ich habe diese Bilder nicht vergessen können und schrieb zunächst eine Kurzgeschichte über dieses Thema, die ich dann weiter entwickelte. Das war vor etwa vier Jahren – ich hatte gerade LE PASSÉ („Le passé – Das Vergangene“, 2013) abgedreht. Anschließend habe ich vier Jahre lang am Drehbuch zu OFFENES GEHEIMNIS gearbeitet.


Warum sollte die Geschichte in einer Kleinstadt spielen und nicht in einer Metropole wie Madrid?

Ich bin der Meinung, dass sich die Geschichte in dieser Form nur in einem Dorf abspielen kann. In einer kleinen Gemeinde stehen sich die Menschen näher und man geht anders miteinander um. Dazu kommt noch, dass es schon lange mein Wunsch war, einmal in einer Kleinstadt zu drehen, mitten in der Natur. Ich habe gezielt nach einer Geschichte gesucht, die weit entfernt vom Trubel einer Großstadt spielt. Das hat wohl unterbewusst dazu geführt, dass meine Geschichte an einem Ort in der Natur angesiedelt habe, wo es einen Bauernhof gibt, ein Gut, ein Dorf. Das weckt eine gewisse Nostalgie in mir. Die Figuren in meinem Film stammen aus einfachen Verhältnissen und finden sich in einer komplizierten Situation wieder.


Haben Sie das Drehbuch in Farsi geschrieben, bevor es ins Spanische übersetzt wurde?

Ja und ich habe mir viel Zeit dafür genommen, bis alles stimmte. Vor vier Jahren habe ich angefangen, mich intensiv mit OFFENES GEHEIMNIS zu beschäftigen und die Übersetzung wurde parallel zu meiner Arbeit verfasst. Die Geschichte selbst hat sich im Lauf der Jahre stark verändert. Ich habe Spanien mehrfach bereist und mich mit Freunden unterhalten, die dort leben. Das hat einen starken Einfluss auf mein Drehbuch gehabt. Aber geschrieben habe ich immer in Farsi. Glücklicherweise kommt die übersetzte Version dank der Hilfe meines Kollegen Massoumeh Lahidji, der mit meinem Schreibstil vertraut ist, dem sehr nahe, was ich in meiner eigenen Sprache zu Papier gebracht hatte. Das Ziel war, in Spanisch auszudrücken, was ich in persischen Worten fühle.


Wie ist es Ihnen gelungen, dem Drehbuch einen spanischen Stempel aufzudrücken?

Als ich das Drehbuch in Farsi fertiggestellt hatte, gab ich es einigen Freunden, die in Spanien leben. Freunde, die beruflich nichts mit dem Kino zu tun haben, aber auch Regisseuren, Schauspielern usw. Die erste Frage, die ich ihnen stellte, war, ob man der Geschichte anmerkte, dass sie von einem Nicht-Spanier geschrieben worden war. Je näher wir der endgültigen Fassung kamen, desto mehr fanden alle, dass die Geschichte durch und durch spanisch war. Während des Drehs halfen mir mein Filmteam und die Schauspieler dabei, den Film so spanisch wie möglich aussehen zu lassen.


Sie hatten bereits LE PASSÉ in Frankreich in französischer Sprache gedreht. Ist es schwieriger, in einem fremden Land mit einem ausländischen Stab in einer fremden Sprache zu drehen?

Wenn ich in meiner Heimat in meiner eigenen Sprache drehe, gibt es gewisse Dinge, die natürlich einfacher sind - aber auch andere, die mir schwieriger vorkommen. Ich kann das nur schwer erklären. Wenn man die gleiche Sprache spricht, fällt die Kommunikation - vor allem mit den Schauspielern - leichter. Wenn man die im Film vorherrschende Sprache und die jeweilige Kultur nicht in- und auswendig kennt, muss man noch konzentrierter arbeiten, wenn man nicht will, dass die Qualität darunter leidet. Ein Beispiel: Wenn ich mit einem iranischen Schauspieler am Set spreche, reden wir viel miteinander und ich erkläre alles ganz ausführlich. In einer fremden Sprache jedoch, wo ich mich mit der Hilfe eines Übersetzers mitteilen muss, versuche ich mich hingegen so knapp, präzise und klar auszudrücken, wie möglich. Unterschiedliche Sprachen zu sprechen bedeutet also sowohl Einfachheit wie auch Komplexität in Bezug auf die gemeinsame Arbeit. Es ist, als würde man sich auf ein Spiel einlassen, das einem mehr Energie und Anstrengung abverlangt. Das gefällt mir. Die meisten Filme drehe ich in meiner Heimat – der Dreh in anderen Ländern aber ermöglicht mir noch einmal ganz andere Erfahrungen, fordert mich heraus und lässt mich eine neue Kultur kennenzulernen.


Wie haben Sie die Schauspieler für OFFENES GEHEIMNIS ausgewählt?

Zuerst suche ich immer eine Geschichte, die ich erzählen will. Erst während sich die Erzählung entwickelt, schälen sich nach und nach die Figuren heraus. Davon ausgehend, suche ich meine Schauspieler aus. Wenn man sich darauf vorbereitet, etwas zu verfilmen, das man selbst geschrieben hat, hat man eigentlich immer schon eine Vorstellung über die Besetzung im Kopf. Als ich in Spanien ankam, habe ich mir eine Menge spanische Filme angesehen und merkte mir mehrere Schauspieler für meine Rollen in OFFENES GEHEIMNIS vor. Eine der großen Qualitäten des spanischen Kinos sind seine Schauspieler, die ein unglaubliches Talent besitzen. Das ist wirklich auffällig und außergewöhnlich.


Haben Sie schon beim Schreiben an bestimmte Schauspieler gedacht?

Die zwei Hauptfiguren Laura und Paco habe ich tatsächlich für Penélope Cruz und Javier Bardem geschrieben. Ich habe vier Jahre lang mit ihnen über das Drehbuch gesprochen. Wir hatten dabei schon längst eine Übereinkunft, dass sie die Rollen spielen würden. Beim Schreiben konnte ich also bereits mit den beiden im Hinterkopf arbeiten. Alle anderen Darsteller wurden ausgewählt, nachdem das Drehbuch fertig war.


Was ließ Penélope Cruz und Javier Bardem für Sie zur ersten Wahl werden?

Das führt mich zurück zum Casting für den Dreh von LE PASSÉ in Frankreich. Penélope war damals bereits eine der Kandidatinnen für die Hauptrolle, aber sie musste absagen, weil sie ihre Tochter Luna auf die Welt brachte. Es kam also nicht zur erhofften Zusammenarbeit, aber es war der Beginn unserer Freundschaft. Ich erzählte ihr von dieser Geschichte und später weihte ich auch Javier ein, als wir uns in Los Angeles trafen. Die letzten vier Jahre ließen wir den Kontakt nie abreißen, Penélope und Javier waren über jeden Schritt des Projekts informiert. Nach LE PASSÉ entschied ich mich dann allerdings dafür, zunächst wieder im Iran arbeiten zu wollen. Das bedeutete, dass ich OFFENES GEHEIMNIS zwei weitere Jahre hinten anstellen musste. Mit Penélope und Javier war ich aber auch während dieser Zeit immer in ständigem Kontakt. Weit über ihre schauspielerischen Leistungen hinaus waren sie sehr prägend für die Realisation des ganzen Projekts. Sie standen immer bereit, wenn ich Fragen zu anderen Schauspielern und Themen hatte. Beide sind mit einem gewaltigen Talent gesegnet und trotz des Erfolgs zutiefst menschlich geblieben. Meine Beziehung zu Penélope und Javier geht weit über eine berufliche Partnerschaft hinaus.


Und wie kam Ricardo Darín zu dem Projekt?

Ursprünglich hatte ich mir Ricardos Figur gar nicht als Argentinier angedacht. Mir schwebte ein Amerikaner vor, der einfach nur durch Spanien reist. Aber wenn ich es bei meiner Ursprungsidee belassen hätte, wäre die Konsequenz daraus gewesen, in Englisch und Spanisch zu drehen. Ich habe es vorgezogen, die Figuren eine gemeinsame Sprache sprechen zu lassen. Mein Blick wanderte also von Nordamerika nach Südamerika, oder genauer gesagt: nach Argentinien. Und Ricardo ist zweifellos einer der besten Schauspieler, den man in Südamerika finden kann. Er ist ein aufrichtiger Mensch, der einem den Eindruck vermittelt, als würde man ihn bereits seit Jahren kennen. Ricardo stieß also von Argentinien aus zu unserer Produktion und half uns bei allen Fragen, die mit der argentinischen Kultur zu tun hatten, damit wir auch diese so authentisch wie möglich in meinen Film einbauen konnten.


Wie sind Sie auf Ihre Hauptfiguren gekommen?

Ich denke zu Beginn eines Projekts überhaupt nicht über Hauptfiguren nach. Ich versuche einfach nur, bestimmten Elementen in der Geschichte eine Gewichtung zu geben, was wiederum Auswirkungen auf die verschiedenen Figuren hat. Alle Hauptfiguren sollten grundsätzlich dieselben Möglichkeiten haben, sich auszudrücken. Das gibt dem Publikum – und nicht dem Regisseur – die Freiheit, sich auszusuchen, welcher Figur man durch den Film folgen möchte. Nach dieser Methode habe ich auch schon bei meinen anderen Projekten gearbeitet. Im Grunde genommen mache ich nichts anderes, als das Publikum dazu einzuladen, eigene Entscheidungen zu treffen. Manche Leute vermuten, dass es mir lieber wäre, wenn man kein Urteil über die Figuren treffen würde. Dabei ist es ganz anders: Mir ist es wichtig, als Regisseur keine Kritik an den Figuren zu üben und diese Initiative ganz dem Zuschauer zu überlassen.


Wie haben Sie zur Vorbereitung und danach beim Dreh mit den Schauspielern gearbeitet?

Der Film befand sich lange Zeit in Vorproduktion, während ich nach den geeigneten Schauspielern und Schauplätzen der Geschichte suchte. Manche Schauspieler wurden schneller ausgewählt, als andere. Wir hatten viel Zeit für die Proben und ich habe versucht, den Darstellern genau zu vermitteln, was ich mir vorstelle. Zunächst dachte ich, dass es schwierig sein würde, meine Anliegen zu vermitteln, weil wir nicht dieselbe Sprache sprechen. Aber als die Arbeit begann, erwies es sich doch als verblüffend einfach. Wir begannen die Proben nur mit Javier und Penélope. Die anderen Schauspieler kamen nach und nach dazu. Unsere Probenarbeit sah zunächst so aus, dass wir lange diskutiert haben, wie sich die Figuren bewegen, wie sie reden, sie sich durch ihre Gesten ausdrücken und wie sie nach außen wirken. Mein Ziel war es, die Hauptdarsteller so authentisch wie möglich für den Zuschauer wirken zu lassen.


Erzählen Sie von der Zusammenarbeit mit dem legendären Kameramann José Luis Alcaine?

Ich halte ihn für einen der größten Kameramänner der Welt. Er ist jetzt 78 Jahre alt und hat immer noch die Energie eines Mannes in seinen Dreißigern. Ich hatte Bedenken, sein Stil könne sich zu sehr unterscheiden von den Filmen, die ich bisher gemacht habe – es handelt sich dabei um einen ganz bestimmten, realistischen Stil, den ich stets in Bilder zu übersetzen versuche. Wir unterhielten uns also sehr intensiv im Vorfeld - er hatte sich alle meine Filme angesehen und kannte sie in- und auswendig. Unsere Zusammenarbeit funktionierte ganz wunderbar. José stellte sicher, dass alle Aufnahmen im Dienste des von mir angestrebten Realismus stehen würden. Er ist ein exzellenter Kameramann, der viel über Malerei weiß und sich bestens mit allen Fragen, die mit dem Thema Licht zusammenhängen, auskennt. Er wollte unentwegt neue Ideen ausprobieren, Klischees vermeiden. Und er hatte einen Mut, den man vor allem jungen Menschen zutrauen würde.


Und abschließend...

Mir ist es gar nicht so wichtig, den Zuschauern eine bestimmte Botschaft durch meine Filme zu vermitteln. Wenn Menschen, die in unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen sind und unterschiedliche Sprachen sprechen, Empathie für meine Figuren verspüren, dann habe ich mein Ziel erreicht. Das ist es, was wir heute brauchen: Empathie für unsere Mitmenschen über Grenzen und Kulturen hinweg.

Foto:
Der Regisseur bei der Entgegennahme des Oscars für The Salesman
© 

Info:
132 Minuten / Spanien, Frankreich, Italien 2018
BESETZUNG
PENÉLOPE CRUZ .    Laura
JAVIER BARDEM       Paco
RICARDO DARÍN       Alejandro

Veröffentlichung aus dem Presseheft