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Kategorie: Film & Fernsehen
f inmyroomSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. November 2018, Teil 2

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Der Einsatz im Deutschen Bundestag geht in die Hose. Statt Interviews mit Spitzenpolitikern hat der Kameramann Armin Unwesentliches aufgenommen: Fernsehteams, Stative, Mikrofone, Böden und Wände. Von den Abgeordneten Thomas Oppermann und Karl Lauterbach ist nur kurz das Gesicht zu sehen. Ein paar brauchbare Sätze kann der Pechvogel nur von der Linken Sahra Wagenknecht vorweisen.

Mit Szenen von chaplineskem Humor eröffnet Regisseur Ulrich Koehler seinen Film „In my room“. Die misslungenen, verwackelten Fernseh-Aufnahmen erzürnen nicht nur den Redakteur, sondern dokumentieren auch die Desorientierung des Protagonisten. Armin ist Anfang 40, ungebunden und aus bürgerlichem Haus. Ohne sozialen Druck aufgewachsen, musste er sich nie festlegen, was er im Leben erreichen will. Immer noch ist er in jeder Hinsicht auf der Suche. Der Umgang mit Auftraggebern und den getrennt lebenden Eltern fällt dem Freiberufler schwer. Zudem verprellt Armin eine Disco- Bekanntschaft für einen One-Night-Stand. - Mit Eigenheiten, die man wohl entwickelt, wenn man zu lange in einer Ein-Zimmer-Wohnung gelebt hat.

Einzig mit seiner Großmutter fühlt sich Armin stark verbunden. Um sie beim Sterben zu begleiten, reist er zurück nach Lippe, den Ort seiner Kindheit.

Realitätsnah, fast dokumentarisch erscheint die mit pointierten Alltags-Beobachtungen im Heute verortete Geschichte bis zum Tod der Oma. Dann aber steuert sie plötzlich ins Unwirkliche, Surreale.

Die ganze Menschheit scheint wie vom Erdboden verschluckt, Armin ist urplötzlich allein auf der Welt. Aber da ihm die Einsamkeit vertraut ist, setzt der Schock Kräfte in ihm frei. Der Einzelgänger erkennt seine zweite Chance, klaut einen Streifenwagen und gibt Gas.

Mit einer wilden Fahrt durch die ostwestfälische Provinz verbinden sich poetische Impressionen: Umgestürzte Motorroller liegen auf den Straßen, Autos bohren sich in Leitplanken, Tankstellen stehen offen und unter einer Brücke treibt ein Ausflugsschiff den Fluss hinab - Szenen wie aus einem Endzeitdrama.

Ein Genrefilm ist „In my room“ gleichwohl nicht. Als Vertreter der Berliner Schule beschäftigt sich Regisseur Ulrich Koehler weder mit dem spektakulären Überleben noch mit Erklärungen und Ursachen für die Apokalypse. Ihm geht es vielmehr um Möglichkeiten und Grenzen von Freiheit.

Mit zunehmend sparsameren Dialogen und fast ohne Musik zeichnet der Film nach, wie der Held einen pragmatischen Überlebensinstinkt entwickelt. Armin zieht in das Ferienhaus der Familie, hält sich Tiere, bestellt das Feld, repariert eine Wassermühle.

Fast unmerklich schleichen sich Zeitsprünge in die Erzählung. Jahre scheinen vergangen, als Armin mit nacktem Oberkörper, ein Gewehr über der Schulter, durch verwaiste Dörfer reitet. Die Natur erobert sich den Raum zurück, den die Menschen ihr genommen haben. Glaubwürdig meistert Darsteller Hans Löw die Verwandlung vom disparaten Großstädter zum bärtigen Landwirt. Sein Armin ist wie der biblische Adam der erste Mensch im Paradies. Und eines Tages trifft er auf Eva.

Die Nomadin, die unverhofft vor Armin steht, als er nach einem Angriff von einem Hund verwundet im Flussbett liegt, heißt Kirsi. Sie pflegt den Einsiedler gesund, zieht bei ihm ein. Die beiden freunden sich an, verbringen gemeinsame Zeit und haben Sex. Schließlich verliebt sich Armin, der ewig Unentschlossene, der noch nie eine feste Beziehung hatte, ausgerechnet in eine Frau, die eine Bindung scheut. Ihr Glaube in die Liebe ist erschüttert.

Wie die beiden letzten Menschen des Planeten einander umkreisen, sich anziehen und wieder entziehen, wirft Fragen auf: Wie finde ich meinen Platz in der Welt? Gelingt nur demjenigen ein Neustart, der Zeit sinnvoll nutzt, bevor es zu spät ist? Muss man darauf warten, dass etwas geschieht?

„In my room“ ist eine spannende, filmische Versuchsanordnung, die nicht so sehr ans Herz geht, dafür aber zum Nachdenken anregt. Mit eindrucksvollen poetischen Landschaften schafft der Film eine Atmosphäre des Suchens und Versuchens.

Foto:
© Verleih

Info:
Armin – Hans Löw
Kirsi – Elena Radonicich
Vater – Michael Wittenborn
Großmutter – Ruth Bickelhaupt
Rosa – Emma Bading
Lilo – Katharina Linder
Redakteur – Felix Knopp
Tanja – Kathrin Resetarits