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Kategorie: Film & Fernsehen

ee Robert Hummel. Foto Jens BeckerDrehbuchautor Robert Hummel zurm Film "GEGEN DIE ANGST" . ZDF am 25. März 2019 um 20:15 Uhr   via Mediathek bis 21. Juni 2019


Elke Eich

Berlin (Weltexpresso): Zum Film erst einmal das Wesentliche: Bei einer Verfolgungsjagd von kriminellen Mitgliedern eines arabischen Clans wird in Berlin Neukölln ein Polizist angeschossen und erliegt später seinen Verletzungen. Beim Einsatz mit dabei: Die junge Polizistin Leyla, die aus dem gleichen Clan wie die Kriminellen stammt und im fliehenden Täter ihren Cousin Hisham erkennt. Damit ist ein überaus dramatischer Konflikt für sie vorprogrammiert: Soll sie eine ehrliche Zeugenaussage machen, oder ihr Wissen aus Solidarität und Angst vor Bestrafung innerhalb ihrer Großfamilie für sich behalten? 


Die für den Fall zuständige Staatsanwältin Judith Schrader war die heimliche Geliebte des Mordopfers und appelliert aus persönlicher Betroffenheit besonders vehement an Leylas. Der renommierte Drehbuchautor Robert Hummel, der an DER „Ernst Busch“ in Berlin auch als Schauspieler ausgebildet wurde, hat ein Faible für Krimis und Thriller und beschäftigt sich schon seit über 10 Jahren mit der Organisierten Kriminalität arabischer Clans.

Eine Zeit lang war der in Ost-Berlin geborene Sohn einer Deutschen und eines syrischen Arztes sogar als Schöffe am Berliner Landgericht tätig und fand dort ein, wie er es nennt, „Paralleluniversum“ vor. Aus eigener Anschauung kennt er die Abläufe im Apparat und die Mechanismen im Gerichtssaal, und er weiß nur zu gut um die äußerst komplexen und schwierigen Arbeitsbedingungen der Justizbeamten.

Im Vergleich zu anderen Bundesländern scheinen die Umstände in der unterfinanzierten Berliner Justiz – selbst dort, wo es um die schweren Straftaten geht – nahezu vorsintflutlich: Es gibt zu wenig Personal, und statt zdf angst5digitalisierter Dokumente werden tatsächlich immer noch, so Hummel, Aktenberge auf "Wägelchen durch die Flure geschoben". Aufnahmen von Verfahren ziehen sich hin, und Prozesse beginnen verzögert. Wenn dann zusätzlich immer wieder eingeschüchterte Zeugen wegfallen, sind Aufklärung und angemessene Bestrafung kaum noch machbar.

Im Interview erzählt Robert Hummel von einem Berliner Clan-Chef, der bereits an die 30 Mal vor Gericht stand, bevor es zu einer allerersten Verurteilung kam. Der Drehbuchautor besteht auf Realitätsnähe seines Stoffes, und doch ist „Gegen die Angst“ ein fiktionaler Film, der spannend unterhalten will. Er ist für den Deutschen Fernsehkrimi-Preis 2019 nominiert.

 

Herr Hummel, als Drehbuchautor sind Sie auf Krimis und Thriller spezialisiert. Was fesselt Sie an diesem Genre und im Besonderen an der Organisierten Kriminalität arabischer Clans?

Robert Hummel: An Krimis und Thrillern interessiert mich das, was auch die Zuschauer interessiert: Spannung!
Wir leben ja in einer relativ gut abgefederten Welt, und bei einem Verbrechen geht es um Leben und Tod. Man weiß nicht, wie es ausgeht, und man kann sich vorstellen, dass es möglicherweise auch einem selbst passieren könnte. Krimis und Thriller sind auch moderne Abenteuer. Da kommt sicher auch die Faszination beim Publikum her, ob nun in der Literatur oder bei Film und Fernsehen.

Was jetzt das Organisierte Verbrechen speziell in Berlin betrifft: Ich bin ja selbst Berliner und mein Vater ist Syrer. Trotz meines deutschen Namens bin ich also ein halber Araber. Deshalb interessiere ich mich natürlich für die arabische Welt in und außerhalb Deutschlands.


Sind Sie denn mit ihrem Vater aufgewachsen und sprechen selbst auch Arabisch?

Robert Hummel: Ich spreche sehr wenig Arabisch. Mit meinem Vater bin ich zwar nicht aufgewachsen, habe ihn aber regelmäßig gesehen. Er hatte in der DDR Medizin studiert, kehrte danach zurück nach Syrien und ist später dann in die Bundesrepublik gegangen.

In der DDR wurden ja viele Menschen geboren, deren Väter aus z.B. Mozambik, Angola oder Syrien zum Studium in die DDR kamen.


Es war sicher ein großer Vorteil, dass Sie aufgrund ihrer Herkunft und dem Interesse an der arabischen Kultur einen speziellen Zugang zum Thema haben. Zudem waren Sie auch als Schöffe am Berliner Landgericht tätig. Was haben Sie dort mitbekommen?

Robert Hummel: Interesse am Organisierten Verbrechen in Berlin hatte ich bereits vor meiner Schöffentätigkeit und war auch schon als Zuschauer bei Prozessen dabei gewesen.
Am Landgericht werden ja die die schwereren Verbrechen mit einer etwas höheren Straferwartung verhandelt. Was ich als Schöffe dort besser und vertieft kennengelernt habe, ist das Rechtssystem, also die Justiz überhaupt. Ich war am Landgericht in der Turmstraße, übrigens auch architektonisch ein sehr beeindruckender Bau, und dachte: „Das ist ja eine sehr aufregende Welt. Wie in einem Paralleluniversum!“

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Sehen Sie das Rechtssystem als Parallelwelt?

Robert Hummel: Als eine spezielle Welt, sowohl architektonisch dieses Landgericht, als auch das Rechtssystem. Wir kennen das ja alle aus der Zeitung oder aus dem Fernsehen. Aber das in der Differenziertheit persönlich zu erleben, ist schon speziell. Zu sehen, wie dort gearbeitet wird, vor allem auch mit welcher Akribie.

Ich glaube, wenn man straffällig wird, kann man sich glücklich schätzen, vor einem deutschen Gericht zu stehen, weil dort in den Verhandlungen alles wirklich sehr gründlich und sehr unparteiisch abläuft.


Wie ich las, soll die Lage der Gerichtsbarkeit in Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern nicht gerade vorbildlich sein.

Robert Hummel: Der Justiz in Berlin geht es nicht besonders gut, was auch allgemein bekannt ist. Es gibt zu wenig Geld und in Folge vor allem zu wenig Personal, um Straftaten angemessen verfolgen zu können.
Es dauert zu lange, bis Prozesse stattfinden, und es gibt Probleme bei deren Terminierung. Die Staatsanwaltschaft stellt überdurchschnittlich viele Verfahren ein, weil sie die Menge einfach nicht bewältigen kann.


Das klingt aber schlimm! Alles steht und fällt also mit dem Personalmangel?

Robert Hummel: Berlintypisch ist auch, dass es im Gegensatz zu anderen Bundesländern keine elektronische Akte gibt. An einer Umstellung wird zwar seit Jahren gearbeitet, aber in der Hauptstadt werden immer noch große Aktenberge auf Wägelchen durch die Flure geschoben. Es dauert in der Regel sehr lange von Straftat bis zur Anklageerhebung.

Das alles aus der Nähe zu sehen, ist einerseits faszinierend, vor allem aber auch sehr ernüchternd. Unter diesen schwierigen Bedingungen versuchen dort Leute mit sehr großem Engagement und persönlichem Einsatz, dieses Justizsystem doch noch am Laufen zu halten. Das finde ich bewundernswert und sehr respektabel. Für die Zuschauer ist das natürlich eine faszinierende Welt, die aber für mein Empfinden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu wenig vorkommt.


Nun gibt es aber schon auch Filme und Serien, in denen die Justiz im Zentrum steht.

Robert Hummel: Es gibt zwar Anwaltsserien, die bekannteste war ja „Liebling Kreuzberg“, aber im Grunde sind die meisten davon harmlos. Darin geht es eher um den knuffigen Anwalt und die liebenswerte Anwältin, die der Oma hilft, dass sie nicht vom Immobilienhai aus der Wohnung geworfen werden kann. Das gibt es zwar alles, ist aber nur ein Teil der Realität.


Und in den Teil der Verbrechen schwererer Kaliber wollten Sie mal ein Schlaglicht werfen...

Robert Hummel: Ausgehend von meinem Interesse an etwas drastischeren Straftaten und Verbrechen der Organisierten Kriminalität, fand ich, dass das doch etwas Erzählenswertes ist. Zumal Leute aus arabischen Clans gerade in Berlin immer wieder schwere und auch spektakuläre Straftaten begehen. Das ist mittlerweile in aller Munde, und in jeder Berliner Zeitung und in Magazinen wie Stern und Spiegel ist darüber zu lesen, zum Teil als Titelthema. Als mir vor etwa 10 Jahren das erste Mal jemand von diesem Phänomen erzählt hat, war das noch völlig unbekannt. Die Polizei und einige Leute aus der Türsteherszene, die ich kenne, wussten das, aber in die Öffentlichkeit ist das lange nicht durchgesickert.


Hatten Sie die Idee und haben den Stoff angeboten, oder kam der Sender mit einer Vorgabe auf Sie zu?

Robert Hummel: Ich hatte die Idee, mal etwas aus der Justiz zu erzählen. Das ist ein tolles Setting mit interessanten Menschen und Konflikten. Ich habe ein Exposé geschrieben und der Produzentin Heike Streich von Real Film Berlin gegeben. Heike Streich war auch gleich Feuer und Flamme. Dann haben wir gemeinsam den Stoff weiterentwickelt und Heike hat ihn dann dem ZDF vorgeschlagen.


Am Ende des Films ist die Kronzeugin, eine junge Polizistin, die aus dem gleichen Clan wie die Kriminellen stammt, tot. Das hat mich schon ziemlich gebeutelt, muss ich sagen. Warum durfte sie in Ihrer Geschichte nicht überleben?

Robert Hummel: Ich denke, das Organisierte Verbrechen - nicht nur das von den arabischen Clans, sondern überhaupt – geht mit großer Unerbittlichkeit vor. Und es kommt immer wieder vor, dass Zeugen in Strafverfahren eingeschüchtert und bedroht werden, zum Teil körperlich angegriffen und mit dem Tode bedroht werden. Das sind dann nicht nur Sprüche, sondern es gibt schon auch mitunter handfeste Anhaltspunkte dafür, dass jemand angesetzt wird, einen wichtigen Zeugen zu töten.

Ein sehr bekanntes Clan-Oberhaupt hat in Berlin rund 30 Mal vor Gericht gestanden, wurde aber vor wenigen Wochen zum allerersten Mal verurteilt. Dass er vorher immer freigesprochen wurde, hat ganz sicher damit zu tun, dass Zeugen, die bei der polizeilichen Vernehmung etwas ausgesagt hatten, sich später in den Gerichtsverhandlungen daran nicht mehr „erinnern“ wollten und ihre Aussagen zurückgezogen haben.


Dann ist die Angst, selbst um das eigene Leben, bei solchen Verfahren tatsächlich omnipräsent?

Robert Hummel: Auch Bushido und seine Frau haben so sehr Angst um ihr Leben und das ihrer Kinder, dass er und seine Familie Personenschutz durchs Landeskriminalamt hat. Das sind alles reale Dinge. Wenn man also so eine Geschichte erzählt, sollte man nicht zum Schluss ein „Happy End“ ankleben und damit sagen: So schlimm ist es ja nicht!

Wir mögen alle ein Happy End, wenn ein Film mit einem Hoffnungsschimmer zu Ende geht. Aber hier steht die Hauptfigur der Staatsanwältin für Hoffnung. Diese Frau führt einen hartnäckigen Kampf. Nicht nur, weil sie dafür bezahlt wird, sondern weil sie überzeugt ist, dass es richtig ist, was sie tut. Genauso wie reale Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die nicht aufgeben und mehr tun als sie müssten.


Die Justiz, bzw. der Staat wird als schwach gezeigt. So schwach, dass er die mutige Kronzeugin nicht mal bis kurz nach der Gerichtsverhandlung schützen konnte. Ihr Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit und ihr Bruch mit der Clan-Solidarität hat sie am Ende mit dem Leben bezahlt.
Meine spontane Reaktion war: Was für ein Armutszeugnis für unseren Staat, bzw. für unser Rechtssystem! Das hat mich so wütend gemacht.

Robert Hummel: Das kann ich verstehen. Ich denke aber, das dramatische Ende ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Wenn wir mal an den Fall von Anis Amri denken: Den hatten mehrere Behörden auf dem Schirm, der hatte ein Dutzend Identitäten, und sein Fall war sogar mehrfach zwischen den Sicherheitsbehörden besprochen worden. Und jetzt hat sich herausgestellt, dass Amri einen Komplizen hatte, der ihm sogar möglicherweise bei dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz geholfen hat. Und dieser Komplize wurde abgeschoben.

Aus welchen Gründen auch immer: Die Verfolgung von schweren Straftaten, ob nun terroristische oder solche der Organisierten Kriminalität, ist schwierig, und da werden Fehler gemacht. Da passieren auch Dinge, die eigentlich nicht passieren dürften. Deswegen spiegelt dieses Ende zumindest zu einem Teil die Realität wieder.
Davon abgesehen, machen wir natürlich Unterhaltung und Fiction, und wir wollen Spannung!


Die Figur der Staatsanwältin, der Hoffnungsträger im Film, setzt sich über die Grenzen des Gesetzes hinweg. Sie ist persönlich involviert durch ihre intime Beziehung zum Mordopfer, und sie hat die junge Polizistin fast schon zur Aussage genötigt.

Robert Hummel: Natürlich ist es interessant, eine Figur wie die Staatsanwältin, die persönlich nicht involviert sein dürfte, bei so einem schwerwiegenden Fall, doch persönlich zu involvieren. Als Zuschauer hatte ich bei diesen Prozessen häufig den Eindruck, dass Angeklagte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Taten, derer sie angeklagt waren, tatsächlich auch begangen haben. Die Frage ist bzw. war nur: Kann man das beweisen? Wie sagte Bertolt Brecht: „Und der Haifisch ist kein Haifisch, wenn man es nicht beweisen kann!“

Natürlich gibt es Frustrationen, wenn so ein Prozess mit einem Freispruch endet, weil nicht mit letzter Sicherheit bewiesen werden kann, dass der Angeklagte die Tat begangen hat. Oder weil Zeugen umgefallen sind. Aber wie frustrierend muss das erst sein, wenn man persönlich involviert ist, wenn das Opfer ein Angehöriger ist oder man selbst das Opfer ist? Wie muss es für diese Menschen sein, wenn dann die Angeklagten als freie Männer, über das Rechtssystem lächelnd aus dem Saal laufen? Diese Situation wollte ich in der Figur der Staatsanwältin zuzuspitzen.


Die Figur der Anwältin, die den angeklagten Clan-Kriminellen vor Gericht vertritt, ist auch recht schwer zu ertragen. Es werden sicher auch gerne Frauen als Anwälte bei solchen Verfahren genommen. Sozusagen, um die Schöffen und Richter milder zu stimmen und die Unschuld des Angeklagten zu stützen.

Robert Hummel: In der Organisierten Kriminalität werden Angeklagte auch von Anwältinnen vertreten, aber vorwiegend sind es doch Männer. Da wir als Hauptfigur eine Staatsanwältin haben, fand ich es spannender, wenn die anwaltliche Vertretung des Angeklagten auch eine Frau ist. Offensichtlich eine Anwältin, die ausschließlich oder zumindest vorwiegend Menschen aus diesem Milieu vertritt. Damit hatten wir vor Gericht ein Duell zwischen zwei Frauen.


Ich finde, dieses abgebrühte Vorgehen und dieses Spöttische seitens der Verteidigung ist bei einer Frau noch schwerer zu ertragen, als wenn es ein Mann wäre. Andererseits: Wenn sie es nicht wäre, dann würde irgendeine andere Person ihr professionell Bestes geben, um den Angeklagten raus zu boxen.

Robert Hummel: Der Rechtsstaat beruht darauf, dass jeder Angeklagte Verteidigung verdient. Andererseits frage ich mich immer wieder, wie sicherlich viele andere auch: Wie kann man es als Anwalt moralisch mit sich vereinbaren, Leute zu verteidigen, die vorsätzlich schwere Straftaten begangen haben?


Wie rechtfertigen denn Anwälte des Organisierten Verbrechens ihre Mandate?

Robert Hummel: Grundsätzlich muss das natürlich kein Strafverteidiger rechtfertigen, denn die Verteidigung von Angeklagten, natürlich auch in der OK, ist eine Säule des Rechtssystems. Aber wenn man danach fragt, gibt es Antworten wie „Meine Frage ist nicht „Schuld oder Unschuld“, sondern, „Reichen die Beweise?““ Oder: „Der Staat hat so einen Riesenapparat, da braucht auch jemand, der vorsätzlich straffällig wird, Verteidigung.“ Oder: „Mein Mandant hat sich eben für ein alternatives Lebensmodell entschieden.“ Oder: „Er hatte ja keine andere Wahl.“ - Da gibt es ein breites Spektrum an Antworten. Ich werte das auch nicht moralisch, finde es aber psychologisch interessant.


Die Entwicklung der Organisierten Kriminalität in den arabischen Clans hat ja auch ihre Wurzeln in der Ausgrenzung. Die kurdischen Flüchtlinge, die über die Türkei nach Deutschland kamen, durften nicht arbeiten, konnten sich innerhalb des gesellschaftlichen Systems nicht offiziell beruflich einbringen, geschweige denn „ehrenvoll“ ihren Lebensunterhalt verdienen.
Würden Sie von besonders schlimmen Versäumnissen der deutschen Politik sprechen?

Robert Hummel: Ich erhebe nicht den Anspruch, allgemeine Aussagen treffen zu können über die Ausländer- und Integrationspolitik der Bundesrepublik der letzten 30 Jahren. Das ist nicht mein Job, und dafür weiß ich darüber auch zu wenig. Natürlich weiß ich aber, dass sie oft keine Arbeitserlaubnis bekamen.
Und wenn man arm ist in einer Gesellschaft, die zumindest dem Augenschein nach materiell alles hat, ist kriminell zu werden natürlich ein relativ simpler Weg, zu Geld und Ansehen zu kommen.

Klar gab es auf Seiten des Staates Versäumnisse. Aber, platt gesagt: Niemand ist gezwungen, Verbrechen zu begehen. Wenn man sich aus bestimmten Gründen dazu entschließt, dann ist das auch eine Entscheidung, mit deren Folgen man dann leben muss.


Bei aller Kritik an den kriminellen Machenschaften des Clans ist die Zeichnung der Figuren in „Gegen die Angst“ nicht Schwarz-Weiß.

Robert Hummel: Als Autor versucht man sowieso, jeder Figur recht zu geben. Es ist doch langweilig, bei zwei Figuren zu sehen, dass die eine recht hat und die andere unrecht. Viel spannender ist, wenn jede Figur aus ihrer Perspektive recht hat.
ich fasziniert diese Welt auch, weil ich die Mentalität ein bisschen kenne. Mein Vater ist ja sozusagen ein gut integrierter Zuwanderer gewesen. Aber wäre mein Vater jemand anderes gewesen oder hätte er andere Entscheidungen für sein Leben getroffen, dann würde ich jetzt vielleicht nicht Drehbücher schreiben, sondern in einem Neuköllner Shisha-Café sitzen und dort die nächste Straftat besprechen. Zumindest ist das ein interessantes Gedankenexperiment.


Der Vater meiner Kinder, ein intellektueller, algerischer Berber mit französischer Staatsangehörigkeit, hat Töchter aus einer früheren Ehe. Die älteste von ihnen, obwohl halb Französin mit gutem Universitätsabschluss und einer guten Berufsausbildung, berichtete immer wieder von Problemen, sobald sie ihren maghrebinischen Namen angab. Allein der Name hat ihr den Einstieg ins Berufsleben erschwert. Mir jedenfalls war wichtig, dass meine Kinder weder den algerischen Nachnamen ihres Vaters, noch schöne Berberprinz-Vornamen tragen. Eigentlich ist es aber doch armselig, dass man so etwas bedenken muss, um Nachteile für seine Kinder zu vermeiden.

Robert Hummel: Ich habe auch einen komplett deutschen Namen, allerdings einen zweiten arabischen Vornamen, der in meinem Pass steht. Natürlich frage ich mich manchmal, wie es mir erginge oder wie Leute mich behandeln würden, wenn ich mich am Telefon mit einem arabischen Namen melde.

Es geht ja auch um Identität: Wer bin ich, wo gehöre ich hin, wo komme ich her, wie sehe ich aus und wie werde ich angesehen. Früher hatte ich Locken. Da sah jeder sofort, dass ich irgendwie nicht ganz deutsch bin. Leute, die selbst einen Migrationshintergrund haben, sehen das auch jetzt noch bei mir. Die meisten Deutschen nehmen es aber nicht wahr, oder sie halten mich für einen Italiener oder so.


Eindeutig arabisches Aussehen bringt in unserer Gesellschaft schon gravierende Nachteile.

Robert Hummel: Die Frage ist natürlich: Inwiefern haben die Leute eine Chance? Ich selbst bin da hin- und hergerissen und enthalte mich eines endgültigen Urteils. Urteile sind sowieso immer irgendwie langweilig. Vielleicht hätte ich ja auch kriminell werden können, wenn ich meine Affinität für solche Stoffe nicht im Schreiben von Drehbüchern kanalisiert hätte. (lacht)


Kriminelle Energie wird ja auch Polizisten nachgesagt. Zumindest müssen sie in der Lage sein, sich gut in eine kriminelle Denke und Vorgehensweise hineinzuversetzen. Sonst könnten sie bei ihren Ermittlungen gar nicht erfolgreich sein

Robert Hummel: Jungs antworten ja oft auf die Frage nach ihrem Berufswunsch: „Gangster oder Polizist!“


Sind Sie eigentlich ein Fan von „4 Blocks“?

Robert Hummel: Eine gut gemachte Serie! Von der 2. Staffel habe ich nur die ersten beiden Folgen gesehen. Ich sehe das aber auch nicht unvoreingenommen. In der neuen Staffel gibt es z.B. diesen anderen Clan-Chef, der dann in einer Folge diese lange Geschichte erzählt, als er mit jemandem in diesem Auto sitzt. Bei dieser Szene musste ich so an meinen ältesten Onkel denken, dass ich schon alleine deswegen diese Folge toll finde. Da schweife ich voll mit meinen familiären Assoziationen ab.


Kida Khoda Ramadan erzählte in einem Interview, dass in seinem Kiez jetzt ständig Jungs mit Migrationshintergrund auf ihn zukommen und für ihn arbeiten wollen. Die halten ihn tatsächlich für einen Clan-Chef.


Robert Hummel: Viele Polizisten und Leute in der Justiz mögen „4 Blocks“ ja überhaupt nicht, weil sie darin eine Glorifizierung sehen, die dann wieder neue Nachwuchsgangster schafft. Das ist einerseits vermutlich nicht ganz zu vermeiden, wenn man so etwas schreibt. Auch „Der Pate“ oder „Scarface“ glorifizieren ja, gewollt oder ungewollt. Aber es ist auch eine Frage, welche Perspektive man einnimmt: Die der Täter oder die der Polizei – und ob man auch erzählt, wie es den Opfern der Organisierten Kriminalität geht. Und welchen Preis man als Berufskrimineller für sein „alternatives Lebensmodell“ zahlt.


Fotos:
Robert Hummel  / ©Jens Becker

Info:
25. März 2019 / 20.15 Uhr im ZDF - "GEGEN DIE ANGST", Justiz-Thriller
anschließend um 21.45 " DIE MACHT DER CLANS", Dokumentation

"GEGEN DIE ANGST" (Regie Andreas Herzog) ist für den Deutschen FernsehKrimi-Preis nominiert.

Es spielen neben Nadja Uhl unter anderem: Dirk Borchardt, Andreas Pietschmann, Atheer Adel, Altamasch Noor, Patrick Güldenberg, Sabrina Amali, Judith Engel und Irene Rindje.

Buch: Robert Hummel
Regie: Andreas Herzog
Casting Director: Tina Böckenhauer
Produktion: Real Film, Berlin
Produzentin: Heike Streich
Redakteurin: Esther Hechenberger (ZDF)

Der Film ist bis 21. Juni 2019 / 23:59 in der ZDF-Mediathek zu sehen:
https://www.zdf.de/filme/der-fernsehfilm-der-woche/gegen-die-angst-100.html