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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2019 11 10 um 16.32.47Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. November 2019, Teil 36

Redaktion

New York (Weltexpresso) - Warum haben Sie diesen Film gemacht?

Plötzlich galt CRISPR in der Wissenschaftscommunity als zukunftsverändernde Technologie, wurde mit der Erfindung des Verbrennungsmotors oder des Internets gleichgesetzt. Die Tatsache, dass sich mit einem Mal so viele Wissenschaftler*innen zu CRISPR äußerten und mehr oder weniger den Hype damit befeuerten, erschien mir sehr bemerkenswert. Wissenschaftler*innen sind nämlich in der Regel eher zurückhaltend mit derartigen Äußerungen. Zudem ging die Entwicklung von CRISPR plötzlich sehr schnell - ganz plötzlich geschahen überall Dinge, von denen jeder gedacht hatte, sie wären erst in ferner Zukunft machbar. Und genau das macht eine tolle Geschichte aus. Mir fiel auch auf, die wie viele Debatten plötzlich darüber geführt wurden, wie man mit CRISPR umgehen sollte. Zum Beispiel sind viele Wissenschaftler*innen ernsthaft von der Idee beunruhigt, dass wir nun unsere eigenen Kinder designen können. Sie denken, Eingriffe, die noch zukünftige Generationen beeinflussen, überschreiten eine Grenze. Andere wiederum sehen keinen großen Unterschied zwischen CRISPR und anderen Technologien wie Raumfahrt, moderne Medizin oder auch Landwirtschaft, die alle auf ihre Art verändert haben, was heißt, Mensch zu sein. Dies ist ein Bereich, in dem es keine einfachen Antworten gibt, das gilt selbst für die Wissenschaftler*innen selber.


Wie veränderte sich der Film im Laufe seiner Entstehung?

Jeder Film, an dem ich je gearbeitet habe, hat seine finale Form erst im Schnittraum erhalten. Man ist sich nie ganz sicher, wie die eigentliche Struktur eines Films aussieht, bevor man beginnt, das ganze Material zu sichten und die Erzählstränge miteinander zu verknüpfen. Unsere Cutterin Regina Sobel und ich haben uns wirklich sehr viele Gedanken darüber gemacht, wie man so eine große und komplexe Geschichte in fesselnder Form erzählen kann. Schließlich haben wir uns auf die Struktur der Kapitel geeinigt, aber auch erst nach Monaten des Herumexperimentierens. Ich wollte keinen Erzähler nutzen, um die Geschichte wiederzugeben, sondern sie sollte durch die Stimmen der Menschen erzählt werden, die sie miterlebt haben, angefangen bei den Wissenschaftler*innen, die CRISPR entdeckten. Die ersten 6 Monate der Produktion bestanden dann auch hauptsächlich aus Interviews. Wir mussten herausfinden, wie wir CRISPR und die Grundlagen der Gentechnik nur durch die Verflechtung dieser Interviews erzählen konnten. Der frühe Schnittprozess hat mir daher auch geholfen, meinen Interviewprozess zu verfeinern, damit ich mir am Ende sicher sein konnte, von jeder Person das bekommen zu haben, was ich für den Film brauchte. Gemeinsam mit Regina Sobel, die 2017 zu unserem Projekt dazu kam, haben wir beschlossen, uns auf die Sichelzellenkrankheit als Beispiel für einen möglichen Einsatz von CRISPR in der Praxis zu konzentrieren. Unsere Produzentin Meredith nahm Kontakt mit mehreren Labors auf, die an einer

Heilung der Krankheit arbeiteten und durch Matt Porteus' Labor in Stanford fanden wir schließlich David Sanchez, der seine Zellen für die Forschung an Porteus' Labor spendete. David und Matt wurden beide zu wichtigen Figuren im Film. Die endgültige Struktur des Films stellte uns vor einige Herausforderungen, die wir so auch nicht erwartet hatten. Besonders der Anfang bereitete uns Kopfzerbrechen und wir wurden uns einfach nicht einig darüber, wie man zu Beginn des Films auf das Thema einstimmen sollte. Dann erinnerten wir uns an einen Mitschnitt der Rede Robert Sinsheimer von 1966 mit dem Titel „Wohin führt uns die Biologie?“. Sinsheimer versucht sich hier, die Zukunft der Gentechnik vorzustellen, noch 10 Jahre vor der Entdeckung der DNA. Er sprach über den epischen Umfang der Evolutionsgeschichte und der menschlichen Entwicklung. Er sprach über eine Ära, in der Menschen die Macht haben werden, um bewusst und spezifisch ihre eigenen Gene zu verändern. Nun, es scheint, als habe CRISPR uns ganz plötzlich in genau diese Ära befördert. Gleichzeitig, gerade am Maßstab der Jahrtausende gerechnet, befinden wir uns aber irgendwie auch immer noch in der gleichen Position wie Sinsheimer, der sich vorstellt, wie die Zukunft aussehen könnte. Denn CRISPR ist wirklich erst der Anfang. Als Einstieg für den Film war dies perfekt.


Was waren die Herausforderungen in der Produktion?

Eine große Herausforderung für uns war natürlich, dass Gentechnik in der Öffentlichkeit allgemein als „unheimlich“ oder gar „böse“ angesehen wird. Dabei ist CRISPR ja eigentlich nichts anderes als eine natürlich vorkommende Technik, die sich in Milliarden von Jahren entwickelt hat. Das macht die Manipulation von DNA für einen bestimmten Zweck nicht gut oder schlecht, aber wir wollten diese Grenze zwischen natürlich und unnatürlich verwischen. Und so war es wirklich wichtig zu erklären, wie CRISPR in der Natur funktioniert und wie Menschen gelernt haben, es zu nutzen. Hier zeigte sich die nächste Herausforderung: die Komplexität der Thematik in einen Film zu verpacken. Wir haben umfangreiche Interviews geführt, manche von ihnen fünf bis sechs Stunden lang. Ich bat die Wissenschaftler*innen dann nicht direkt, CRISPR zu erklären, sondern fragte sie stattdessen nach den Geschichten, wie sie das erste Mal von CRISPR gehört hatten oder nach dem Moment, als ihnen klar wurde, was diese Entdeckung nach sich ziehen würde. Von Anfang an war auch klar, dass Grafiken eine wichtige Rolle im Film spielen würden, um CRISPR lebendig werden zu lassen. Denn die wirklich spannenden Sachen passieren auf der molekularen Ebene, und die konnten wir nicht filmen. Ned Piyadarakorn hat schließlich Grafiken geschaffen, die einen großen Einfluss auf den Film als Ganzes haben. Alle DNS-Sequenzen, die im Film gezeigt werden, sind in ihrem Aussehen ihrer tatsächlichen molekularen Form nachempfunden. Ned hat es geschafft, dass man den Animationen einfach folgen kann, ohne dass die Komplexität darunter leidet.


Was soll das Publikum von diesem Film mitnehmen?

Die wahre Geschichte von CRISPR ist nuanciert und komplex. Diese neue Technologie kann den Menschen neuen Anlass geben, sich zu fürchten aber auch Anlass dafür, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicke. CRISPR bedeutet für Millionen von Menschen die Hoffnung auf Überleben. Auch für Probleme, die den gesamten Planeten betreffen, könnte CRISPR die Lösung sein. Im Film beleuchten wir beides: die beängstigenden wie auch die optimistischen Themen, denn wenn Menschen dazu in der Lage sind, dann können wir vielleicht auch einen Weg finden, um uns durch die schwierigen, existentiellen Fragen zu navigieren, die die Gentechnik aufwirft. Ich hoffe, unser Film inspiriert das Publikum, in die ethische und philosophische Debatte einzusteigen, die mit Eröffnung dieses neuen Wissenshorizonts geführt werden muss.

Human Nature stellt tatsächlich die Frage, was heißt, ein Mensch zu sein – und wie wir die Antwort auf diese Frage gestalten wollen, da uns nun die Macht gegeben wurde, uns selbst auf so fundamentale Weise zu verändern. Ich hoffe, die Menschen kommen aus dem Kino und beginnen, sofort miteinander zu diskutieren. Wir geben definitiv keine endgültige Antwort auf eine dieser großen Fragen im Film (ich würde mir auch gar nicht anmaßen zu behaupten, diese zu haben). Ich würde sogar so weit gehen, dass ich mir eine gewissen Verunsicherung bei den Kinobesucher*innen wünsche. Denn ich denke, in einer Welt, in der Technologie sich so schnell entwickelt, ist ein wenig kollektive Unsicherheit eine gute Sache. CRISPR und die Gentechnik haben enormes Potential, um Gutes zu tun. Aber ich glaube es ist notwendig, dass wir kontinuierlich aushandeln, auf welche Weise Technologie Gesellschaft tatsächlich beeinflusst.


FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
© Verleih

Info:
Ein Film von Adam Bolt Kinostart: 7. November 2019 / USA 2019 – 91 Min. / OmdtU


ADAM BOLT - Regisseur Adam Bolt war Cutter und Co-Autor der Oscar-prämierten Dokumentation Inside Job, für die er mit dem Writer’s Guild Award für Best Documentary Screenplay ausgezeichnet wurde und welche ihm 2011 eine Nominierung für den American Cinema Editors Award für Best Edited Documentary zusicherte. 2014 gewann er einen Emmy für seine Arbeit an der Showtime-Dokumentationsreihe Years of Living Dangerously, bei der er als Senior Producer, Autor und Cutter mitwirkte. Seine weiteren Tätigkeiten umfassen Mitarbeit an Park Avenue: Money, Power & The American Dream von Regisseur Alex Gibney, ein Film der 2013 mit einem Peabody Award ausgezeichnet wurde, Page One: Inside the New York Times, der 2012 für zwei Emmys (darunter Best Editing) nominiert war und die HBO Dokumentation The Recruiter, die 2010 einen Columbia duPont Award für Exzellenz im Rundfunkjournalismus gewann.