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Kategorie: Film & Fernsehen

von Lida Bach

 

Dies sind die Protagonisten des allegorischen Road Movies, das den Weg zu sich selbst als Weg zur Familie und zur Menschlichkeit vorzeichnet. Überraschend milde gestimmt und so hoffnungsvoll, dass es fast als Utopie gelten kann, ist das bedachtsame Werk, mit dem Wagenhofer zum Spielfilm zurückkehrt. Es scheint, als wolle der Regisseur, der sich zuletzt durch die herausragenden Dokumentationen „Let´s make Money“ und „We feed the World“ hervorhob, in seiner gemeinsam mit Cookie Ziesche verfassten Geschichte der harschen Realität ein märchenhaft angehauchtes Ideal entgegenstellen.

 

Mit gezügelter Dramatik und zurückhaltend dosiertem Humor, der in den sorgsam inszenierten Szenen entdeckt werden will, statt sich aufzudrängen, erzählt „Black Brown White“ eine Filmreise, deren Dramaturgie so unterschiedlich nuanciert ist wie der Farbverlauf das Titels, der auf die humanitäre und moralische Grauzone verweist, in der die Figuren sich bewegen. Ein Road Movie von einem Mann auf der Reise zu sich selbst? Ein später Western über einen modernen Lone Rider, halb Gesetzloser, halb Held? Eine Romanze zweier Heimatloser, die sich im Herzen des anderen ein zu hause finden? Ein Flüchtlingsdrama, das seine Figuren dort verlässt, wo es sie findet: auf der Reise?

 

Motorengeräusche. Damit beginnt die Handlung noch bevor sie beginnt. Der Fernfahrer Don Pedro (Fritz Carl) hat sich an sie gewöhnt in den Jahren, die er für seinen Arbeitspartner und Freund Jimmy (Karl Markovics), der seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt, auf Tour geht. An die anderen Geräusche hingegen, die aus dem Bauch seines Trucks dringen, scheint Don Pedro sich nie ganz gewöhnt zu haben. Es ist das erstickte Aufbegehren und Stöhnen der Flüchtlinge, die der Wiener auf der Rückfahrt von Marokko über die EU-Grenze schmuggelt. Der Menschenhandel ist für ihn  Routine, aus der ihn erst die Begegnung mit der jungen Jackie (Clare-Hope Ashitey) aufrüttelt.

 

Mit ihrem kleinen Sohn Theo ist die Afrikanerin auf dem Weg in die Schweiz, wo sie in Genf den Vater des Jungen glaubt. Anders als die übrigen Illegalen weigert sie sich, eingepfercht hinter Don Pedros Liefergut zu reisen. In der Fahrerkabine, wo Don Pedro ihr und Theo widerwillig einen Platz einräumt, kommen sich die beiden von Kilometer zu Kilometer näher. In einer Immobiliensiedlung, wo die drei sich in einem leerstehenden Reihenhaus übernachten, scheinen die Reisenden am Ziel, das Familie, Paarbeziehung und Verantwortung heißt. Zu leicht überwinden die Charaktere ihre anfänglich Skepsis und das durch traumatische Erfahrungen genährte Misstrauen gegeneinander, das nur Jackie für sich ausformulieren darf: “Alle Männer laufen davon.“ Aber nicht Don Pedro, der eigentlich Peter heißt, und den menschlichen Elend, den sich vor seinen Augen abspielt, erst ins Gesicht sieht, als es ihn mit Jackies anziehenden Augen ansieht.

 

Das tatsächliche Ausmaß des Leidens, das finstere Innere des Lastwagens, in dem sich die von Wassermangel, Diarrhö und Sauerstoffnot geplagten Flüchtlinge zusammenkauern, enthüllt durchdringt die Kamera nie. Die Vielzahl an Themenansätzen, emotional, familiär, politisch und sozial, findet ähnlich den illegalen Einwanderern nicht ausreichend Raum, sich zu entfalten. Das ungenutzte Potential und die Unentschlossenheit der nur zaghaft artikulierten Systemkritik geben dem allzu optimistischen Flüchtlingsdrama etwas Unbefriedigendes. Wie der Fernfahrer Don Pedro und seine ungewöhnliche Fracht Landesgrenzen überqueren, überschreitet die Handlung Genre-Grenzen. Und wie für den verschlossenen Hauptcharakter, der nur langsam aus sich herauszugehen lernt, gelingt der Übergang Wagenhofer nicht immer ohne Schwierigkeiten.

 

Auf den Routen, die er mit seinen  Figuren, deren Persönlichkeitsentwicklung zugunsten ihrer symbolischen Konnotation zurücktritt, einschlägt, verfährt sich der Plot zunehmend ins Unglaubwürdige. Dank überzeugender Darsteller und stimmigem Rhythmus findet er über Umwege dennoch zum Ziel, dramatisch und dramaturgisch.

 

 Oneline: Wohlwollendes Drama über Menschen ohne Grenzen.

 

Titel: Black Brown White Land/ Jahr: Österreich 2011 Laufzeit: 106 Min. Regie: Erwin Wagenhofer Drehbuch: Erwin Wagenhofer, Cookie Ziesche Kamera: Martin Gschlacht Schnitt: Paul M. Sedlacek Musik: Nino Josele Darsteller: Wotan Wilke Möhring, Fritz Karl, Clare-Hope Ashitey, Karl Markovics, Emilio Buale Verleih: NFP marketing & distribution/ Filmwelt Kinostart: 3. November 2011