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Kategorie: Film & Fernsehen
f islandSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Januar 2020, Teil 7

Redaktion

Reykjavík (Weltexpresso) - Es hat etwas ungemein Befriedigendes, wenn man jemanden wie Inga sagen hört: „Ich bin total wütend und lasse mir nichts mehr gefallen!“ Ihr Verhalten erinnert an das von Mildred in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, die von Frances McDormand gespielt wurde.

Ja, es hat durchaus Humor, wenn wir zeigen, wie ihre Rebellion die Arbeit auf dem Hof beeinflusst. Wie ich schon sagte, haben wir auf Island keine Gewehre, deshalb muss man manchmal auf andere Dinge zurückgreifen – etwa eine Mistgabel. (lacht) Ich komme selbst vom Land und habe auch auf einem Bauernhof gearbeitet. Deshalb kenne ich diese Welt sehr gut; als ich noch jünger war, habe ich selbst solche Traktoren gesteuert. Woher meine Ideen kommen, dürfte also klar sein. Es stimmt, dass Inga einen ähnlichen Parcours absolviert wie McDormand im dem US-Film, aber am Anfang der Geschichte ist das überhaupt noch nicht abzusehen. Wir wissen, aus welchem Milieu sie stammt, deshalb ergibt es Sinn, dass es so lange dauert, bis es ihr gelingt, andere davon zu überzeugen ihr beizustehen. Die Menschen sind dermaßen lange unterdrückt worden, da ist es kein Wunder, dass alle Angst vor der Genossenschaft haben, von der sie in vielerlei Hinsicht abhängig sind. Inga beginnt ihren Kampf auf Facebook, das in Island eine sehr wichtige Rolle spielt – ich glaube, 90% der Isländer sind bei Facebook, vor allem auf dem Land, wo die Menschen sehr isoliert leben. Inga ist aber natürlich bewusst, dass sich nur dann wirklich etwas ändert, wenn man einen Schritt weiter geht und Menschen auch im wahren Leben konfrontiert. Abgesehen davon wäre es ein sehr langweiliger Film geworden, wenn sich die ganze Action in Facebook-Beiträgen abspielen würde ...


Es handelt sich um ein sehr spezifisches, anstrengendes Leben, das Sie in Ihrem Film zeigen, genau wie zuvor in „Sture Böcke“. Was interessiert Sie so sehr daran, Einsamkeit auf der Leinwand zu porträtieren?

Vielleicht, weil ich das Leben auf dem Land in Island als einsam empfinde. Man lebt ja ganz allein für sich, bestenfalls ist da noch der Ehepartner, und die Leute um einen herum ziehen unaufhaltsam weg. Sie wandern in die Stadt ab, und dann wird die Einsamkeit noch größer. Mich interessiert es, zu zeigen, welchem Wandel das ländliche Island unterworfen ist. In meiner Jugend habe ich das noch ganz anders erlebt – da gab es viel mehr Menschen, gesellschaftliche Ereignisse, es gab mehr zu tun. Aber das hat sich stark gewandelt. Einmal sagt der Boss der Kooperative in meinem Film, dass das Land zu einer Attraktion für Touristen mit ihren Sommerhäuschen geworden ist, dass alteingesessene Höfe bedroht sind und reiche Leute aus der Stadt ihre Ferien hier verbringen. Vielleicht ist es das, was meine Filme thematisch charakterisiert: der Konflikt zwischen alten isländischen Werten und der modernen kapitalistischen Gesellschaft.


Die Leute von der Genossenschaft sprechen über ihre Gegend, als handelte es sich um ein geheimnisvolles Land, als wäre es mehr ein philosophisches Konzept als ein tatsächlicher Ort. Ist diese Einstellung, dass die Bedürfnisse des Einzelnen hinter denen der Gemeinschaft zurückstehen müssen, immer noch weit verbreitet?

Im Nordwesten von Island ist das tatsächlich so. Wenn man die Menschen dort reden hört, entsteht der Eindruck, als wäre die Gegend total autonom und bräuchte keine Hilfe von außen. Diese Leute sind auch gegen die Europäische Union, sie wollen, dass Island unabhängig bleibt und sperren sich gegen die Zusammenarbeit mit „bösen“ ausländischen Institutionen. Im Film fürchten sie sich vor den großen Handelsketten in Reykjavik. Dabei handelt es sich um die gleiche Ideologie; nur die Tatsache, dass sich alles um die Kooperative und den gemeinsamen Besitz dreht, obwohl die Einrichtung längst nicht mehr nach demokratischen Prinzipien funktioniert, ist ziemlich einzigartig – in den meisten Ländern würde es sich längst um Firmen in privater Hand handeln. Hier hatten sie zumindest früher noch gewisse Ideale. Deshalb würde ich sagen, ja, das Land, um das es geht, ist mehr ein philosophisches Konzept als etwas anderes. Aber was man damit anfangen soll, weiß schon lange niemand mehr.


Hintergrund: ÜBER GRÍMUR HÁKONARSON (Regie, Drehbuch)

Grímur Hákonarson, Jahrgang 1977, studierte in Prag an der Filmhochschule FAMU. Sein Abschlussfilm „Slavek the Shit“ wurde für die Cinefoundation-Reihe beim Filmfestival in Cannes 2005 ausgewählt. Insgesamt erhielt der Film zwölf internationale Festival-Preise, darunter den Silver Hugo beim Chicago International Film Festival. Auch Hákonarsons nächster Kurzfilm „Wrestling“, der 2007 seine Premiere beim Filmfestival in Locarno feierte, wurde auf 25 Festivals weltweit ausgezeichnet. Seinen ersten abendfüllenden Spielfilm „Sumarlandið“ ehrte die isländische Film- und TV-Akademie bei den Edda Awards mit einer Nominierung für das Beste Drehbuch. Es folgte „Sture Böcke“ (2915), der nach seiner Uraufführung in der Reihe „Un certain regard“ in Cannes dort und auf weiteren Festivals zahlreiche Preise einheimste; außerdem gewann er elf Edda Awards und wurde bei einer Online-Abstimmung zum zweitbesten isländischen Film aller Zeiten gewählt. Vier Jahre später drehte Hákonarson seinen dritten Spielfilm MILCHKRIEG IN DALSMYNNI, der auf dem Toronto International Film Festival 2019 seine internationale Premiere feierte. Hákonarson plant seinen vierten Spielfilm in den USA zu drehen.

Filmographie (Auswahl):

2019 MILCHKRIEG IN DALSMYNNI (Héradid)
2016 STURE BÖCKE (Hrútar)

Foto:
© Verleih

Info:
Besetzung
Inga Arndís         Hrönn Egilsdóttir
Fridgeir               Sveinn Ólafur Gunnarsson
Eyjólfur               Sigurdur Sigurjónsson
Reynir                 Hinrik Ólafsson
Leifur                  Hannes Óli Ágústsson
Kolbrún              Edda Björg Eyjólfsdóttir

Stab
Regie        Grímur Hákonarson
Drebuch   Grímur Hákonarson