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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2020 02 29 um 23.54.4970. Berlinale 2020

Corinne Elsesser

Berlin (Weltexpresso) - Das 70. Jubiläum der diesjährigen Berlinale kam auf eher leisen Sohlen. Dies entspricht so ganz den neuen Leitern des Filmfestivals, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, die den Autorenfilm eher bevorzugen, als grossen Pomp und Superevents.


In einer neuen Sektion ENCOUNTERS konnten junge Regisseure ihre Filme zeigen und etablierteren Filmemachern begegnen, die nach eine aussergewöhnliche Filmsprache und neue Wege des Erzählens suchen. Eine besondere Sektion ON TRANSMISSION zeigte solche Begegnungen in der nunmehr siebzigjährigen Geschichte des Festivals. Hierzu waren sieben Filmemacher eingeladen, ihre Filme, die auf der Berlinale reüssiert haben, nochmals zu zeigen und im Anschluss mit einen weiteren Regisseur ein Filmgespräch zu führen. Paolo und Vittorio Taviani stellten Film "Cesare deve morire" von 2012 dem Film "Sole" des sehr viel jüngeren Carlo Sironi gegenüber. Margarethe von Trotta zeigte "Heller Wahn" von 1983 und diskutierte anschliessend mit der Regisseurin Ina Weisse, die ihren Film "Der Architekt" zeigte, über die veränderte Rolle der Frau im Film. Die französische Regisseurin Claire Denis hatte Olivier Assayas eingeladen und der amerikanische Regisseur Ang Lee brachte den Filmemacher Hirokazu Kore-Eda mit, der einen frühen Film von 1998, "Wandafuru Raifu" (After Life), zeigte.

"Teströl és lélekröl" (Körper und Seele) der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi war 2017 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet worden. Nun konnte man ihrem minimalistisch zurückgenommenen Stil, in dem sie eine zaghafte und anmutige Liebesgeschichte zwischen dem Leiter eines Schlachthofes und einer Kontrolleurin erzählt, noch einmal Revue passieren lassen. Im Anschluss daran zeigte die Regisseurin Zsófia Szilágyi ihren Film "Egy Nap" (Ein Tag) von 2018, der gegensätzlicher nicht sein konnte. Sie schildert darin einen Tag im Leben einer jungen Mutter in Budapest, die von ihren drei wild herumjohlenden Kindern, deren Aktivitäten nach der Schule, ihrem Job als Sprachlehrerin und einer sich anbahnenden Ehekrise vollends überfordert wird. Die bewegte Handkamera verstärkt die ins Rutschen geratene Lebenssituation. Zsófia Szilágyi ist eine Schülerin von Ildikó Enyedi und vertritt das junge Filmschaffen in Ungarn, lebensnah und dem Alltag verhaftet.

Der chinesische Regisseur Jia Zhang-ke brachte mit Huo Meng einen Vertreter der jüngsten Generation von Absolventen der Pekinger Filmakademie mit. 1997 hatte Zhang-ke seinen Erstlingsfilm "Xiao Wu" mit geringen Mitteln und ausschliesslich mit Laiendarstellern gedreht. Als er eine Videokassette an das Forum des jungen Films in Berlin sandte, stand das Programm für das kommende Festival längst fest, doch die Leiter Ulrich und Erika Gregor waren so angetan, dass sie ihr Programm kurzerhand umstellten. Zhang-kes Blick auf das neue China habe ihn sehr beeindruckt, meinte Ulrich Gregor auf der Veranstaltung. Für Zhang-ke, der nicht nur in China inzwischen zu einem Kultregisseur avancierte, bedeutete die Berlinale damals den Durchbruch. In "Xiao Wu" geht es um einen Taschendieb, der ziellos durch die Strassen der Kleinstadt Fenyang streift und erkennen muss, dass sich alle von ihm abwenden, wodurch er zunehmend den Boden unter seinen Füssen verliert. Der Film führt die Umbrüche des Landes vor Augen, das sich dem Westen öffnet, der Bevölkerung aber wenig Orientierung an die Hand gibt. Huo Meng erzählt dagegen viel poetischer von der Reise eines Grossvaters mit seinem Enkel zu der Stadt, in der er einen alten Kameraden besuchen will. "Guo zhao Guan" (Crossing the Border) verweist ähnlich wie die Filme Zhang-kes auf die gesellschaftlichen Umbrüche in China, wo die Generationen sich entfremden, die Kinder in die Städte ziehen und die Alten auf den Dörfern in ihren für grosse Familien konzipierten Hofhäusern zurücklassen.

Der schwedische Regisseur Roy Andersson konnte in diesem Jahr nicht anreisen, hatte aber eine rührende Videobotschaft vorbereitet, die ihn aus seinem Stockholmer Studio 24 zum Publikum sprechen liess. Sein Erstlingsfilm "En Kärlekshistoria" (Eine schwedische Liebesgeschichte), der 1970 auf dem Berliner Filmfest mit vier Preisen ausgezeichnet wurde, trat nun Kurzfilmen der jungen schwedischen Regisseurin Niki Lindroth von Bahr gegenüber. In "En Kärlekshistoria" verlieben sich zwei Teenager zaghaft ineinander mit allen Unsicherheiten und hochfliegenden Gefühlen, während die Probleme und Beziehungen der Erwachsenen um sie herum immer absurder erscheinen. Schon hier zeigte sich der humorvoll-philosophische Blick auf die alltäglichen Absonderlichkeiten des Lebens, der Anderssons spätere Filme wie "Eine Taube sass auf einem Zweig und dachte über das Leben nach"(2014) und "Über die Unendlichkeit" (2019) auszeichnet.

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© berlinale.de