
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn man Pasolini heißt, muß man, auch wenn Uberto Pasolini in London lebt, doch nachfragen. Aber nein, er hat gar nichts mit dem berühmten Pier Paolo Pasolini zu tun. Und vorwiegend ist Uberto Pasolini auch Produzent. Aber welch rühmenswerter er Regisseur ist, das konnte man staunend und beglückt bei der sonntäglichen Vorführung von NOWHERE SPECIAL in Frankfurt erleben, wo das Besondere eben war, daß sich der Regisseur alle Zeit ließ, sich auf die vielen Fragen der Anwesenden einzulassen. Absolut engagiert, auch beim Gespräch.

John muß sterben. Schon bald. Wir sind eingebunden in die Suche nach einer Adoptivfamilie für den vierjährigen Michael, wobei man wissen sollte, daß das englische Adoptivrecht anders als hierzulande, auch Alleinstehende als Adoptiveltern akzeptiert. Ganz abgesehen vom doch traurigen Anlaß – über dem Film schwebt eine wehmütige Atmosphäre, die nichts von Kitsch an sich hat, nur von Schicksal – ergeben die Szenen mit den potentiellen Adoptiveltern, begleitet von zwei taffen Jugendamtsmitarbeiterinnen, einer leitenden in der Behörde und eine jungen empathischen Frau, die dabei ist, wenn John und Michael die so unterschiedlichen Familien besuchen, eine Komik, die einen beim Zuschauen dauernd zum Lächeln, wenn nicht zum Lachen zwingt. Was es für unterschiedliche Familien gibt! Und aus welche unterschiedlichen Motiven Ehepaare Adoptiveltern werden wollen. Die, die es am Schluß sind, sind aus den Wünschen von John und dem Einverständnis des Jugendamtes hervorgegangen.
In seinem Drehbuch kam den Besuchen bei den zukünftigen Adoptivfamilien die entscheidende Bedeutung zu, weil sie jeweils in Relation zum Leben von John und Michael standen. Dabei war alles im Drehbuch vorgegeben. Das Zwangsverhalten von einigen, der sichtbare Unterschied zwischen ihren Worten und ihrem Verhalten, die unterschiedliche Art, das Kind in die Kommunikation einzubeziehen, hat er alles in das Skript geschrieben.
Eine wichtige Frage galt der Suche der Darsteller, denn der Film ‚funktioniert‘ nur deshalb so phantastisch, weil sowohl John mit James Norton wie auch der kleine Michael mit Daniel Lamont ideal besetzt sind. Das Entscheidende aber ist ihr von Vertrauen und familiären Gefühlen sichtbare Zusammenspiel im Film. Die Frage machte den Regisseur sehr zufrieden, denn das fragen ihn alle, wie ihm gelang, daß man auf der Leinwand wirklich einen Vater mit seiner Liebe zu seinem kleinen Sohn und die Liebe des Kleinen zu seinem Vater sieht. Mit eigenen Augen. Und fühlt.
Eine Frage galt auch der Konzeption, daß der Zuschauer erst einmal nicht aufgeklärt wird über den Zustand des Vaters, also, daß dieser sterben muß. Ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, mit dem Tod des Vaters anzufangen und dann rückwärts zu erzählen. Oh nein, da war sich der Regisseur sicher – und die Rezensentin auch – genau so sollte es sein, daß sich der Zuschauer erst nach und nach einen Überblick über die Situation verschafft, die für Aufmerksame genau in dem Moment eintritt, als John eher nebenbei sarkastisch anmerkt, erst läuft die Mutter davon, dann stirbt der Vater. Mehr wird tatsächlich nicht zu seiner Krankheit gesagt. Und wie sich herausstellte, haben das manche überhört. Aber die weitere Handlung macht dann klar, daß es um die nachhaltige Suche nach einer Adoptivfamilie geht.Er wollte auch noch ohne Folgen erst die Beziehung zwischen Vater und Sohn dem Zuschauer deutlich werden lassen.
Die Nachfragen galten vor allem den unterschiedlichen möglichen Adoptiveltern, Uberto Pasolini sei durch das Aufwachsen seiner drei Töchter in Erziehungsfragen äußerst kompetent.
Aber auch die ruhige und überhaupt nicht aufgeregte Erzählweise des Films wurde angesprochen, die diametral zum tragischen Inhalt steht. Gerade deshalb, antwortete Pasolini, weil der Unterbau so tragisch sei, sollte in Ruhe über eine Geschichte der Liebe auf der Leinwand erscheinen.
Der Schluß ist wie ein Thriller konstruiert. Man sieht den Vater, der für den Jungen eine Erinnerungsbox zusammenstellt, mit Fotos der Eltern, Spielzeug etc. Dann zieht er ihn an, verläßt mit Koffer und Kind die Wohnung und klingelt schließlich an einer Wohnungstür. Da weiß man schon, daß keines der protzigen Häuser und putzsüchtigen Eigenheimbesitzer der Wohnort des Kindes sein wird. Wer dann die Tür öffnet und Adoptiveltern wird, wollen wir nicht verraten, aber daß dies im Film eindeutig zu erkennen ist, weil es eine Person ist, die als einzige sich neben das Kind gesetzt hatte und mit ihm Kommunikation aufgenommen hatte, hatte der Regisseur psychologisch vorbereitet. Das war jedoch total interessant, daß manche Zuschauer das überhaupt nicht interpretiert hatten.
Das sage ich grundsätzlich: Filme sind oft so subtil, daß man sie mehrmals anschauen sollte. Doch diesen mindestens einmal!
Foto:
Uberto Pasolini vor der Filmleinwand nach der Vorstellung bei sehr dunklem Licht in Diskussion mit den Zuschauern
© Redaktion
Info:
Nowhere Special (Großbritannien, Italien, Rumänien 2020)
Originaltitel: Nowhere Special.
Drehbuch und Regie: Uberto Pasolini
Darsteller: James Norton, Daniel Lamont, Eileen O‘Higgins u.a.
Verleih: Piffl Medien GmbH, Berlin
FSK: ab 6 Jahren