18. LICHTER FILMFEST FRANKFURT INTERNATIONAL vom 22. – 27. April 2024, Teil 7
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nach der Filmvorführung und der Diskussion konnte ich kurz den Regisseur auf eine Beobachtung meinerseits ansprechen. Denn den größten Teil des Films hindurch herrscht Dunkelheit, Zwielicht und schlimmer; aber nicht nur das, zusätzlich sind diese Dämmerungen in den Zimmern – fast alles spielt in geschlossenen Räumen – in den Konturen aufgelöst, als ob jemand Wasser auf ein Wasserfarbengemälde geschüttet habe und nun Schlieren entstehen. Dagegen soll der im Sterben liegende Goethe ja gesagt haben: „Mehr Licht!“, was bis heute für Aufklärung, für Wahrheit, für Durchsicht steht.“
Also frug ich Regisseur Mehmet Akif Büyükatalaya, ob er diese andauernde Dunkelheit mit Absicht so hergestellt habe, im Gegensatz eben zur Klarheit der Wahrheit. Ja, antworte er. Genau diese Ambivalenz habe er herstellen wollen, denn in seinem Film sei keiner nur böse und schon gar nicht nur gut. Die Gemengelage, in der sich die Personen im Film so wie im Leben befänden, würde so viele veranlassen, sich quasi unsichtbar zu machen, auf jeden Fall lieber im Dunkeln zu agieren.
Um was es geht? Tja, gar nicht so schnell auszumachen. Um einen Film im Film, was eh immer ein beliebtes Genre ist. Doch hier geht es um einen schwierigen Film, der im Film gedreht werden soll, der um die Morde, die tödliche Feuersbrunst in Solingen geht. Nicht im AfD-Osten, sondern im NRW- Solingen. Es geht um das Nachdrehen des damaligen Brandanschlags auf ein Solinger Asylbewerberheim. Das war 1993 und es starben damals fünf Menschen. Der Regisseur im Film Yiğit (Serkan Kaya) will mit diesem Thema die Menschen aufrütteln und die Filmaufnahmen über die Feuerlegung und den Brand sind die letzten und die heikelsten auch. Alle beglückwünschen sich, wie gut es gelaufen ist. Das Ende der Dreharbeiten.
Doch dann tauchen Bilder von einem verbrannten Koran auf und aufgeregte Gesten und schnatternde Personen auf der Leinwand vermitteln ein Bild von Unruhe und Aufgebrachtsein, wobei keiner genau weiß, was vorgefallen ist, aber alle ahnen, um was es geht.
Wir erleben alles aus dem Blickwinkel von Elif (eine neues, interessantes Gesicht: Devrim Lingnau), die als Regieassistentin fungiert, was, wie wir erleben, das Mädchen für alles bedeutet. Ihr werden unaufhörlich Aktivitäten und Verantwortung aufgebürdet. Sie soll die analog gedrehten Filmbänder von den Drehtagen in die Wohnung der Filmproduzentin Lilith (wie immer stark und wie immer sooo müde: Nicoletta Krebitz) bringen, die mit Regisseur Yiğit zusammenlebt. Doch unterwegs gehen auf unerklärliche Weise die Elif übergebenen Schlüssel zur Wohnung verloren. Nicht nur das, ab jetzt wird alles extrem unsicher, es passieren unerklärliche Dinge, aber passieren sie wirklich? Und wer steckt dahinter? Vedächtig machen sich alle.
Denn die bisher und noch lange Zeit gegenüber Regisseur und Produzentin so willfährige und absolut loyale Assistentin fühlt sich überfordert und auch mißbraucht, als alle möglichen Fehler und Versäumnisse jetzt ihr angelastet werden. Am Schlimmstes ist, daß auf einmal die analogen Filmrollen verschwunden sind. Elif hatte sie im besagten Wandschränkchen untergebracht, aber sie sind verschwunden. Das Hin und Her muß man nicht schildern. Sie verdächtigt alle möglichen. Einen jungen Ausländer, mit dem sie sich angefreundet hatte, aber auch die Darsteller der Ausländer im Film, die selber Immigranten sind und sich auskennen. Ein absolutes Durcheinander bringt Elif an den Rand, bis sie – die Loyalste überhaupt – sich auch gegen ihre Förderer: das Regisseurs/Produzentenpaar wendet und diese verdächtigt, alles inszeniert zu haben.
Wir sind also Zeugen, wie eine loyale junge Frau in eine Lebenssituation gerät, in der sie nicht mehr ein noch aus weiß und zunehmend abweisend auf ihre ehemaligen Förderer reagiert. Die Wandlung dieser Elif hält den Film zusammen, der aber zudem so viele versteckt und auch offene Aha-Stellen hat, die man gar nicht aufzählen könnte, noch wollte. Nur so viel sei verraten. Es liegt zwar das meiste im Dunkeln, aber das heißt nicht, dass es traurig wäre. Der Film ist teils urkomisch in den vermuteten und dann doch ganz anders gearteten Reaktionen der Darsteller. Der Zuschauer bewegt sich wie Elif im Film auf schwankendem Boden. Mal hält er den einen für einen Lügner, mal die andere für die, die die Schlüssel geklaut hat, noch schlimmer, den X da ganz bestimmt für den Dieb der Rollen – oder doch nicht?
Längst ist ein solches Durcheinander entstanden, dass man sich über Liliths Satz: „Ich hab Dir doch gesagt, wir hätten digital drehen sollen!“, schief lachen kann. Denn diese, ihr Filmgeschäft optimierende Produzentin hat, was hier passiert, auf jeden Fall nicht verstanden. Wie dann die anderen?
Foto:
©Verleih
Info:
Mit
- Devrim Lingnau(Elif)
- Mehdi Meskar(Said)
- Serkan Kaya(Yiğit)
- Nicolette Krebitz(Lilith)
- Aziz Çapkurt(Mustafa)
- Nazmi Kırık(Majid)
Stab
- Regie
- Mehmet Akif Büyükatalay
- Buch
- Mehmet Akif Büyükatalay
- Kamera
- Christian Kochmann
P.S. Noch mal zu Solingen. Als der Stadtname in Zusammenhang mit Feuersbrunst im Film genannt wurde, mußte ich an das Frühjahr 2024 denken, wo ein Mann in Solingen heimtückisch Feuer gelegt hatte, durch das ein´ bulgarisches Elternpaar und ihre zwei kleinen Mädchen bestialisch verbrannten. Gleich zweimal Solingen. Das wünscht sich niemand.