
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) – Wie war Ihre Herangehensweise an den Originaltext? Wie sehr haben Sie sich an den Originalstoff gehalten, wie originalgetreu ist Ihre Adaption – wo haben Sie sich Freiheiten gelassen? Welche Themen waren Ihnen wichtig?
EM: Was ich behalten wollte, war das Rhythmische, der Sog, den die Sprache entwickelt, auf der die Dialoge surfen. Dass das, was zu sagen ist, nur auf eine bestimmte, eine musikalische Art überhaupt sagbar wird. Irgendwann war es, als käme die Handlung durch die Verwandlung von Richard in Rashida gewissermaßen erst zu sich: Dass sie an den anderen vorbeispricht. Monologe hält, die niemand anderes hört. Dass ihre Wut nun etwas zu tun hat mit der Wut der Frau, die sie verführt, dass sie beide Frauen sind, in einer Situation, in der man das besser nicht wäre, dass ihre Abscheu davor sie einander annähert. Wenn Ghanima sich verstrickt in Rashidas Gewaltsystem, dann nützt ihr das auch. Das ist neu. Und so entfernt sich die Handlung vom Original, je weiter die Geschichte voranschreitet, auch wenn die Sprache das nicht tut.
BQ: Ich bin auf Recherche gegangen und habe Richard III.-Vorstellungen in Köln, in Hamburg und natürlich auch die bekannte Schaubühnen-Fassung in Berlin angesehen. Besonders interessant war der Beginn der Hamburger Inszenierung von Karin Henkel. Dort arbeitet die Regisseurin die ersten 30 Minuten, oder so, mit Versatzstücken aus anderen Shakespeare Texten, um die Vorgeschichte der Figuren zu erzählen. Eine ähnliche Freiheit haben wir uns auch genommen und beginnen mit einem Prolog, der von der Kindheit Rashidas erzählt, um dann im Hier und Jetzt in einem Gerichtssaal zu landen und den äußerlichen Grundkonflikt des Stückes zu setzen. Die Grundbeats des Stücks sind ab dann aber da, wo sie im Original stehen. Doch wir haben zum Beispiel die Figur der Lady Anne – bei uns heißt sie Ghanima – und die Liebesgeschichte zwischen ihr und Rashida in den Fokus gerückt, die Lady Anne-Figur aufgewertet und sie, anders als bei Shakespeare, bis zum Ende überleben und aktiv am Drama teilnehmen lassen.
Ein anderes Beispiel sind die drei ErzählerInnenstimmen zu Beginn des Filmes. Diese tauchen in Form dreier geheimnisvoller Frauen immer wieder im Film auf. Haben so eine Art Chorfunktion und ähneln den drei Schicksalsschwestern aus Shakespeares Stück McBeth.
Was sind die Hintergründe Rashidas – warum ist sie, wie sie ist?
BQ: Das Buch ist zu einer bestimmten Zeit entstanden. Die Zeiten haben sich geändert. In allen meinen Filmen spielen Menschen mit Flucht- oder Kriegserfahrung eine Rolle. Anders: Ihre Erfahrung mit Krieg oder Migration prägen die Figuren und sind Teil ihrer Storys. Genauso ist es mit Rashida. Am Anfang des Films erfahren wir, dass sie Krieg erlebt hat. Auf der Bildebene sind das Bomben. Auf der Sprachebene wird aber auch vom Graben zwischen Männern und Frauen erzählt. „Die Steine, die Berge“, und daneben gibt es aber auch, wie es im Film heißt, „die Flüsse und die Seen“. Das spiegelt sich in Rashidas Geschichte als Erwachsene wider. Ja, da ist ein Bandenkrieg. Der ist aber eingebettet in einem Konflikt zwischen Männern und Frauen in Rashidas Welt. In ihren Worten: „Betrogen von Geburt um jeden Vorteil, verformt, unfertig…“. Es geht aber um noch mehr: Es geht für mich auch um Eltern und ihre Kinder, die Erwartungen und die Enttäuschungen. Es geht, wie Enis meinte, um Freiheit – aber damit auch um die Wut, die aus dem Unfrei-Sein kommt. Es geht um verschiedene Formen der Gewalt und von Trauma und wie hier die durch Gewalt Traumatisierte mit Gewalt an anderen ihr Trauma weitergibt.
Der Film spielt in einem stilisierten Milieu arabischer Familien in Berlin. Was war der Gedanke dahinter?
BQ: Gangstergeschichten, also Storys von einer Parallellgesellschaft oder der sogenannnten Unterwelt, sind im Kino oft Geschichten von Zuwanderung und Migration. Der Pate, Scarface, Ein Prophet und auch mein Film Berlin Alexanderplatz arbeiten sich an diesem Topos ab. Fassbinder mochte Gangsterfilme, weil es da um die „wichtigsten Dinge“ geht: um Geld und Liebe. Familie spielt eine Rolle. Das Gefühl Ausgestoßene zu sein und ganz nach oben zu wollen… Ein Genre also, das wir kennen, das zu etwas allzu Vertrautem geronnen ist. Wir bieten in KEIN TIER. SO WILD. eine neue Auslegung dieser Storys an. Dabei hijacken die Figuren nicht nur die Titel der Adeligen und sind Lords und Ladies, Prinzen und Könige, sondern auch deren Sprache. Rashida benutzt keinen Slang – wenn, dann nur als gesetzte Spitze –, sondern die Worte der Aristokratie, der Gelehrten und Mächtigen. Schon in meinem letzten Film war das Beherrschen einer bestimmten Sprache ein Weg zur Mündigkeit. Bei Berlin Alexanderplatz beginnt es mit dem scheuen Lernen der Vokabeln „Haut“ und „Himmel“, „schwarz“ und „weiß“ und manifestiert sich schließlich in dem Satz der Hauptfigur: „Ich bin Deutschland!“.
EM: Was interessant ist: In Richard III. ist Elisabeth von York eine Fremde im britischen Hochadel. Sie ist eine Einheimische, während das britische Adelshaus seinen Ursprung in Frankreich hat, seine Bräute von dort importiert. Damit wollten wir spielen. Was, wenn die Yorks im Grunde Fremde sind dort, wo sie leben? Und was ist, wenn die Einheimische eine Fremde unter ihnen ist, egal wie sehr sie sich anpasst? Was bedeutet das, sich aus Liebe zu verändern? Die letzte Frage weicht natürlich ab von Shakespeares Richard, wo Liebe kaum vorkommt, und wenn, dann als Schwäche, als die Schwäche nämlich, mit der Richard Lady Ann verführt. Das drehen wir um: Ghanima ist in Rashida verliebt, vor allem aber in das Ticket zur Freiheit, für das sie steht. Insofern ist die Frage der Herkunft in diesem Film Chiffre. Sie schillert, je nachdem, wer sie stellt.
Frau Maci, Sie haben bei KEIN TIER. SO WILD. erstmals an einem Drehbuch mitgewirkt. Wie haben Sie das erlebt?
Wie ein Theatertext ist auch ein Drehbuch partiturenhaft, lückenreich: Erst durch die Arbeit anderer, der SpielerInnen, des Kameramanns etc., wird es erfahrbar. Darauf konnte ich mich sehr leicht einlassen. Was für mich neu war: Eingeladen sein zu schreiben, wovon ein anderer, Burhan nämlich, erzählen will. Die eigene Autorschaft hintanzustellen. Teil eines Apparats werden. Alles eigentlich unvereinbar mit dem Schreiben, wie ich es betreibe. Ich habe einiges Neues gelernt.
Herr Qurbani, wie würden Sie Enis Macis Beitrag zu KEIN TIER. SO WILD. beschreiben? Wie hat ihre Beteiligung den Film geformt – den Stoff, wie Sie ihn sich ursprünglich ausgemalt hatten, beeinflusst?
Enis ist eine Poetin. Enis ist eine Gelehrte. Enis hat einen riesigen Hochkultur- und Trash-Culture-Wissensschatz. Sie weiß um die Tücken des Rabbit Holes und findet in dessen Tiefen wunderbare Schätze. Und das alles kombiniert mit einer messerscharfen Analysefähigkeit. Enis’ Übersetzung war Metronom, Arbeitsvorlage und Steinbruch. Im hyper-dynamischen Drehprozess geht es oft nicht anders und ich musste immer wieder schnell reagieren, habe Szenen in sich gekürzt, Dialoge umgeschrieben oder an die Situation am Drehtag angepasst. Im Schnitt und der Post-Produktion findet wieder eine Art Kondensierungsprozess statt. Die erste Schnittfassung, der sogenannte Assembly, war über 4 Stunden lang. Philipp Thomas, der Schnittmeister des Films, und ich haben Dialoge gekürzt, Szenen zu Sequenzen collagiert und in neue Zusammenhänge gebracht. Der Boden des Schnittraums ist ein Gräberfeld…
Welchen Anspruch stellte das Drehbuch an Sie als Regisseur? Worauf haben Sie bei der Inszenierung Wert gelegt?
Das kann ich nicht so einfach beantworten. Aber in aller Kürze: Filmtexte, also gute Drehbücher, sind sehr präzise und leiten mich als Regisseur in eine klare Richtung. Die Dialoge geben mir ein, zwei, vielleicht drei Möglichkeiten, die Szene zu denken. Doch mit Enis‘ und Williams Dialogen eröffnet sich eine gewaltige Bandbreite an Möglichkeiten. Drehbücher sind wie Morsecodes: Punkt Strich Punkt Punkt Strich. Enis‘ und Williams Dialoge sind, wie sie sagte, wie eine Opernpartitur. Der Anspruch an die SpielerInnen und mich war ein ganz anderer, als ich je erlebt habe. Sehr, sehr erfüllend, aber nicht einfach.
Wie sind Sie bei der Besetzung vorgegangen: Viele der Hauptfiguren werden von SchauspielerInnen gespielt, die man (noch) nicht kennt?
Meine Castingdirektorin Suse Marquardt hat – wie auch in meinem letzten Film – mit ihrem Team den Anspruch gehabt, zu überraschen, gegenzubesetzen und vor allem Talent zu entdecken. Doch leider spiegelt sich strukturelle Diskriminierung und Marginalisierung auch in der Auswahl von Bipoc-SpielerInnnen wider. Suse und ich wollten SpielerInnen besetzen, die über den Typcast hinaus auch Bühnenerfahrung hatten und mit der sehr theatralen Sprache unseres Buches etwas anfangen konnten. Suse hat Kenda am Gorki Theater entdeckt, Mona war zum Zeitpunkt des Castings noch an der Schauspielschule. Doch Meryam Abbas hat schon in Andreas Dresens Nachtgestalten gespielt, Mehdi Nebbou hat mit Ridley Scott gedreht, und Hiam Abbas ist ja eh ein Weltstar.
Frau Maci, wie eng blieben Sie der Produktion nach Abschluss der Arbeit am Drehbuch verbunden? Wie eng waren Sie beim Dreh selbst involviert?
Ich hatte die Gelegenheit, das Set zu besuchen, was natürlich magisch war. Davon abgesehen: Der Film gehört denen, die ihn machen. Ich war nur ein Stück des Weges dabei.
Jeder Film ist eine Entdeckungsreise. Was haben Sie bei KEIN TIER. SO WILD. entdeckt, was gelernt?
BQ: Um beide Fragen zu beantworten: Natürlich hat Enis recht – in der Buchentwicklung ist der Austausch zwischen AutorIn und Regie sehr intensiv. Und ich war so froh, dass Enis auch immer wieder am Set war. Doch irgendwann findet eine Ablöse statt. Ab der eigentlichen Drehvorbereitung übernehmen Kameraperson, Szenenbild, Kostüm, SpielerInnen und ProduzentInnen den Staffelstab der inhaltlichen und formalen Entscheidungen. Ein wenig später kommt der Schnitt dazu. Und in jeder Phase wird der Film noch einmal neu erfunden. Letztlich kann ich sagen, dass diese Geschichte mein persönlichster Film geworden ist. Rashida, das bin ich. Oder anders: Sie ist, was sie ist, damit ich es nicht werden muss. In all ihren Facetten, in ihrer Wut und ihrer Poesie, in ihrer Weichheit und in ihrer Erbarmungslosigkeit. Das bin ich. Und doch nicht… Enis hat Worte gefunden, die ich nicht hatte, und Kenda hat sie gesagt mit einer Stimme, die mir fehlt. Ich kann nicht immer sagen, wer die guten Entscheidungen in diesem
Drehbuch getroffen hat. Doch die schlechten kommen sicher alle von mir. Nicht, weil ich es nicht besser wusste, sondern weil ich nicht anders konnte.
Foto:
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Info:
Besetzung
Kenda Hmeidan – Rashida York
Verena Altenberger – Elisabet York
Hiam Abbass – Mishal
Mona Zarreh Hoshyari Khah – Ghanima Lancaster
Mehdi Nebbou – Imad York
Meriam Abbas – Qamar York
Banafshe Hourmazdi - Khalifa
Camill Jammal – Ghazi York
Hassan Akkouch – Umar Lancaster
Stab
Burhan Qurbani – Regie, Drehbuch
Enis Maci – Drehbuch