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Kategorie: Film & Fernsehen

SUgly Stepsister1erie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. Juni 2025, Teil 6

Margarete Ohly-Wüst

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Witwe Rebekka (Ane Dahl Torp) kommt zusammen mit ihren Töchtern Elvira (Lea Myren) und Alma (Flo Fagerli) auf dem Hof von Otto (Ralph Carlsson) und seiner wunderschönen Tochter Agnes (Thea Sofie Loch Næss) an, wo Rebekka und Otto sich vermählen wollen.


Elvira ist eine nicht allzu hübsche verträumte junge Frau, die in der Kutsche das Büchlein mit den Gedichten von Prinz Julian liest. Die jüngere Tochter Alma ist dagegen ein recht burschikoses Mädchen. Agnes zeigt ihrer neuen Stiefschwester das Haus, denn die beiden jungen Frauen kommen anfangs eigentlich ganz gut miteinander aus.

Sowohl Otto als auch Rebekka heiraten vor allem aus finanziellen Gründen, wie sich bald herausstellt. Denn als Otto plötzlich während des ersten gemeinsamen Abendessens stirbt, muss die nun zweimalige Witwe feststellen, dass auch Otto nur Schulden und ihr kein Geld hinterlassen hat. So beschlagnahmt die Bank das Vermögen der Familie und lässt sie relativ mittellos zurück.

Deshalb bleibt sowohl für Agnes als auch für Elvira nur eine Option - eine Heirat mit einem reichen und angesehenen Mann. Da Elvira Julians Gedichte liebt, träumt sie davon, den Prinzen (Isac Calmroth) erobern zu können.

Doch in dem Königreich ist Schönheit ein brutales Geschäft. Als neben Agnes auch Elvira eine Einladung zu einem Ball ergattert, bei dem der Prinz eine passende Jungfrau als seine Frau auswählen will, muss Elvira nicht nur mit ihrer schönen Stiefschwester, die eigentlich mit dem jungen Isak (Malte Gårdinger) lieber einen anderen Mann heiraten würde, sondern mit vielen weiteren reichen Töchtern des Landes konkurrieren.

Ugly Stepsister2Elvira begreift, dass sie alles tun muss, um die Aufmerksamkeit des Prinzen auf sich zu ziehen. Die naive Elvira macht sich große Hoffnungen, bis ihr vor ihrer Mutter recht grob vermittelt wird, dass sie als Kandidatin nicht in Frage kommt: Sie sei einfach zu dick, zu hässlich und zu ungeschickt, um gegen den Charme der anderen in Frage kommenden Frauen anzukommen.

Deshalb hat sich Rebekka entschlossen, anstatt für die Beerdigung ihres verstorbenen Mannes zu bezahlen. das noch vorhandene Geld für bizarre kosmetische Behandlungen von Elvira auszugeben. Ottos Leichnam lässt die Witwe einfach in einem Stall verrotten.

Da aber Elvira weder einen Titel noch das Aussehen hat, mit dem sie dem Prinzen den Kopf verdrehen könnte, beginnt ihre Mutter gleich mit der Umgestaltung ihrer Tochter. Sie beauftragt den Quacksalber und Schönheitschirurgen Dr. Esthétique (Adam Lundgren), die Zähne, Nase und Augen ihrer Tochter zu korrigieren. So wird Elvira ziemlich grob die Zahnklammer entfernt, sie lässt sich mit einem Meißel die Nase brechen und neu richten und später auch falsche Wimpern an die Augenlider annähen.

Da sie gleichzeitig von ihrer Mutter auf Diät gesetzt wird, schluckt sie nach dem Rat ihrer Mentorin, aber gegen den ausdrücklichen Rat ihrer Schwester Alma, einen Bandwurm, um weiter ihrer Leidenschaft für Kuchen nachgehen zu können. Doch dadurch hat sie andauernd Hunger.

Außerdem besucht sie einen Tanzkurs bei Madame Vanja (Katarzyna Herman), um auf dem Ball dem Prinzen vortanzen zu können. Obwohl Elvira eigentlich recht untalentiert ist, sorgt ihre Mutter dafür, dass sie letztendlich zu den drei ausgewählten Frauen gehört, die vortanzen dürfen.

Dann kommt der Ball, bei der der Prinz ein Auge auf sie geworfen hat, bevor doch noch ihre Stiefschwester auftaucht und beim Verschwinden ihren Schuh verliert. So nimmt das Unglück ihren Lauf…


Ugly Stepsister3Bekanntlich geht es in den Märchen der Gebrüder Grimm nicht gerade zimperlich zu. Nicht ganz selten werden dort beiläufig Mord und Totschlag, Folter und Verstümmelung geschildert, sowohl physischer als auch psychischer Natur. Auch Horrorgeschichten sind in vielen der gesammelten Märchen zu finden.

Das Märchen vom Aschenputtel der Gebrüder Grimm geht zum Teil auf Charles Perraults Cendrillon ou la Petite Pantoufle de verre von 1697 zurück. Neben Märchen-, Opern-, Ballett- oder Theater-Adaptionen gibt es nach Wikipedia mindestens 40 Filme, beginnend mit ″Cendrillon″ (1899) von Georges Méliès.

Da die Märchen im Original nicht unbedingt kindertauglich sind, sich aber Märchenfilme gerade an Kinder wenden, werden die brutalen Stellen meist entfernt. So ist es auch mit den vielen Animations- und Realverfilmungen des Märchens vom Aschenputtel gegangen. Egal, ob es sich um Disneys Zeichentrick- (1959) oder Kenneth Branaghs Realverfilmung (2015) von ″Cinderella″ handelt, dem berühmten ″Drei Haselnüsse für Aschenbrödel″ (1973) von Regisseur Václav Vorlíček oder dem ameikanische Spielfilm ″Auf immer und ewig″ (1998) mit Drew Barrymore. Unterschiedlich ist nur, wie selbstbewusst Aschenputtel sich im Laufe der Jahre den Prinzen angelt.

Jetzt hat in ihrem Spielfilmdebüt die norwegische Regisseurin und Drehbuchautorin Emilie Blichfeldt eine furiose Variante der klassischen Aschenputtel-Geschichte entwickelt, das sich recht eng an das Märchen anlehnt, wie man es bei den Gebrüdern Grimm nachlesen kann. Allerdings ist nicht das unterdrückte und gedemütigte Aschenputtel, sondern die ältere ihre zwei als hässlich beschriebenen Stiefschwestern die Hauptrolle. Dabei traut sich Emilie Blichfeldt, tatsächlich die Abgründe und Grausamkeiten dieses Märchen zu erzählen und in Bilder zu übersetzen.

Als Hauptdrehort fungierte das Schloss Gołuchów in Polen. Kameramann war Marcel Zyskind. Die Filmmusik komponierten die norwegische Songwriterin Vilde Tuv und der norwegische Singer-Songwriter Kaada.

In der Hauptsache geht es der Regisseurin in ihrem Film, der Ende Januar 2025 beim Sundance Film Festival seine Premiere hatte, um relevante Fragen nach dem eigenen Körperbild und der Wahrnehmung von Schönheit. Unter dem Deckmantel augenzwinkernden Body-Horrors ist die Neuerzählung der Aschenputtel-Story, durch ihre Kompromisslosigkeit regelrecht überwältigend.

Ugly Stepsister4Emilie Blichfeldt, die zur Vorbereitung auf den Film Recherchen zu medizinischen Verfahren des 18. Jahrhunderts betrieb, versieht das Märchen nicht nur mit einem zeitgemäßen Twist in ihrer Erzählperspektive, sondern treibt die Brutalität der Vorlage auch mehrfach an die Ekelgrenze, da sie viele der Behandlungen von Elvira detailliert und in Nahaufnahme zeigt. Das mag den Zuschauer manchmal schlucken lassen, wird der Geschichte als Abrechnung zum Schönheitskult und zu den Geschlechterrollen aber absolut gerecht.

In der Hauptrolle der Elvira brilliert die Newcomerin Lea Myren, bei der die kulturelle Disziplin und eine Reihe von fragwürdigen Schönheit-Operationen bis an den Rand der Selbstzerstörung führen. Dabei zeigt Lea Myren hervorragend ihre Wandlung von dem unsicheren, schwärmerischen Teenager zu einer von Schönheitswahn getriebenen jungen Frau. Als Zuschauer weiß man häufig nicht, ob man über ihre Naivität und Dummheit den Kopf schütteln oder sie über ihre Verzweiflung bemitleiden sollte.

Thea Sofie Loch Næss spielt ihr hübsche Stiefschwester Agnes, die mit ihrem makellosen Gesicht und wallenden blonden Haaren dem gesellschaftlichen Idealbild von Schönheit entspricht. Dabei entwickelt sich der Kampf der beiden Stiefschwestern um Prinz Julian zu einem Duell, bei dem es um nichts weniger als um ihre Zukunft und Existenz geht, denn beide Frauen haben zur damaligen Zeit, da sie selbst mittellos sind, nur die Chance reich zu heiraten.

Die Rolle der Mutter übernahm Ane Dahl Torp als ehrgeizige und eiskalte Person, die ihrer Tochter nichts als Selbsthass und Drill zu vererben hat, da sie den Sexismus und die Diskriminierung selbst verinnerlicht hat. Allerdings hält sie sich zur eigenen Befriedigung immer wieder jüngere Männer. Für sie ist Elvira nur ein Mittel zum Zweck. Ihre zweite von Flo Fagerli gespielte Tochter Alma wird von ihr gar nicht beachtet. Alma selbst fühlt sich in ihrer Frauenrolle nicht wohl (und ist in einer kurzen Szene auch ganz unglücklich als sie erstmals ihre Tage bekommt). Sie wird bei dem Ball auch schon mal als Diener in männliche Kleider gesteckt.

Isac Calmroth hat als Prinz Julian nur eine kleinere Rolle. Allerdings zeigt er in einigen Szenen, dass er zusammen mit seinen zwei ausgesprochen frauenfeindlichen Freunden ganz sicher auch kein positiver Charakter ist. Es wird eigentlich nie deutlich, weshalb Elvira so obsessiv für ihn schwärmt und weshalb sie sich an die Hoffnung klammert, dass der Prinz sich wirklich in sie verliebt, da sie in eine Szene doch mit bekommen hat, was für ein unangenehmer Mensch er eigentlich ist.

Ugly Stepsister5Insgesamt hat die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt in ihrem Filmdebüt die sexuelle und patriarchalische Bildsprache des Originalmärchens bewusst übernommen und hat daraus eine geniale, mitreißende, schwarz-humorige und grauenerregende Body-Horror Version von Aschenputtel aufwendig kostümiert gestaltet. Die in eine groteske Adaption verpackte Gesellschaftskritik ist ganz sicher nichts für Kinder, aber sie ist eine spannende Märchen-Verfilmung, bei der nicht nur Fans des Body-Horror Genres auf ihre Kosten kommen dürften.

Zusatz: Es gibt noch eine Szene während des Abspanns.

Foto 1: Thea Sofie Loch Næss als Agnes und Lea Myren als Elvira © capelight pictures
Foto 2: Ane Dahl Torp als Rebekka und Lea Myren als Elvira © capelight pictures
Foto 3: Thea Sofie Loch Næss als Agnes © capelight pictures
Foto 4: Lea Myren als Elvira © capelight pictures
Foto 5: Isac Calmroth als Prinz Julian und Lea Myren als Elvira © capelight pictures

Info:
The Ugly Stepsister (Norwegen, Schweden, Polen, Dänemark 2025)
Originaltitel: Den stygge stesøsteren
Genre: Märchen Verfilmung, Body-Horror, Tragikomödie
Filmlänge: ca. 105 Min.
Regie: Emilie Blichfeldt
Drehbuch: Emilie Blichfeldt
Darsteller: Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp, Flo Fagerli, Isac Calmroth, Malte Gårdinger, Ralph Carlsson, Isac Aspberg, Albin Weidenbladh, Oksana Czerkasyna, Katarzyna Herman, Adam Lundgren, Willy Ramnek Petri u.a.
Verleih: capelight pictures
Vertrieb: Central Film
FSK: ab 16 Jahren
Kinostart: 05.06.2025