Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen
Bo3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. Juni 2025, Teil 10

Redaktion

Paris (Weltexpresso) –  Was hat Sie an diesem Projekt gereizt?

Martin ist ein fantastischer Porträtist von Frauen. Wenn man „Séraphine“ und seine anderen Filme gesehen hat, schätzt man diese große Chance, mit ihm zu arbeiten, ihn bei seiner Erzählung über den Lebensweg von Marthe Bonnard zu begleiten. Ich empfand es als einen großen Luxus, mich als Schauspielerin in seine Hände zu begeben, um ein außergewöhnliches Frauenporträt zu schaffen. Außerdem fand ich das Drehbuch sehr persönlich und von Martins Blick geprägt. Mich begeisterte die Idee, diese Figur von ihrer Jugend bis zu ihrem Tod darzustellen und ihre Persönlichkeit von einer netten kleinen Frau aus einfachen Verhältnissen zu einer Neurotikerin zu entwickeln, die sich jedoch immer eins mit der Natur fühlte. Genau diese Nähe zur Natur gefiel mir sehr. Und dann wird sie natürlich ihrerseits Malerin und befreit sich im Gegensatz zu Misia, die ihrerseits in ihrer Weltläufigkeit und ihren künstlichen Paradiesen gefangen bleibt. Das ist auch eine Form der Resilienz.


Wie haben Sie sich dieser Figur genähert?

Sie ist eigentlich ein kleines Mädchen aus der Region Le Berry, das von einem bürgerlichen Milieu beeindruckt wird und davon träumt, aus ihrer Situation auszubrechen. Marthe geht sogar so weit, einen anderen Namen für sich zu erfinden, um Pierre, in den sie unsterblich verliebt ist, zu beeindrucken und bei sich zu halten. In der Folgezeit schließt sie sich ein mit ihren Dämonen und erstickt langsam an ihrer Lüge.

Und dann ist sie auch noch von anderen Frauen umgeben, die sie als Rivalinnen betrachtet - soziale Rivalinnen, die sie an ihre Herkunft verweisen, und Liebesrivalinnen, die ihre Eifersucht schüren. Sie ist eine Figur, die sich als bedrohlich entpuppen kann, und für eine Schauspielerin sind diese ambivalenten Charaktere einfach spannend. 


Marthe ist vor allem eine liebende Frau... 

Genau, und der Film konzentriert sich auf diese wunderbare Liebesgeschichte. Er wäre ohne sie nicht zu Pierre Bonnard geworden, und sie wäre ohne ihn gestorben. Sie lebten ein Leben in Freiheit, in der Natur, liefen oft nackt herum, und ihre Liebe hielt über Höhen und Tiefen des Lebens hinweg. Natürlich wurde sie dadurch, dass Pierre sie gemalt hatte, unsterblich. Sie, die ihr ganzes Leben lang mit dem Tod zu kämpfen hatte. Er hat sie auf der Leinwand festgehalten, als wollte er ihr gemeinsames Glück für die Ewigkeit dokumentieren.


Marthe litt immer unter dem Gefühl, in dem Milieu, in dem Pierre verkehrte, keinen Platz zu haben.

Sie hat eine soziale Phobie, mit der sie nur schwer umgehen kann. Dennoch bewundert sie das Künstlermilieu und das erklärt auch, dass sie sich mit einem Namen als seine Geliebte schmückt. Wir haben uns amüsiert, ihr einen großen Hut anfertigen zu lassen, der viel Platz beanspruchte. Sie nimmt ihn ab, sobald sie zu Hause ankommt. In Wirklichkeit fühlt sie sich nur in der Natur wohl.

Woanders, wie in der Gesellschaft, ist sie nicht in ihrem Element. Martin hatte mich gebeten, einen Unterschied in der Darstellung zu finden, wenn ich in Szenen mit anderen Leuten zu sehen bin oder in der Natur.


Wie sind Sie in Marthes Haut geschlüpft?

Martin bat mich, George Cukors „My Fair Lady“ wegen der sozialen Komponente erneut zu sehen und mich mit der Pastellmalerei vertraut zu machen, damit man Marthe wie einst Séraphine in einer Art verändertem Bewusstseinszustand beim Malen betrachtet. Ich habe auch viel gelesen, weil es sehr viele Aussagen von Zeitzeugen gibt, die Marthe Bonnard kannten. Zwei Zitate schienen mir besonders erhellend; Annette Vaillant, Nichte von Thadée Natanson, ein damals sehr wichtiger Mäzen, sagte über Marthe sie habe „scharfe Augen von einer pflanzlicher Fixierung“, und Thadée Natanson meinte, „dass sie an einen verhuschten Vogel erinnere mit Vorliebe für Wasser und der Lust am Baden und einen schwerelosen Gang habe, der aus den Flügeln komme“. Der erste Teil des Satzes - „verhuscht, Vorliebe für Wasser und Lust am Baden“ - hat mich sehr beeindruckt.

Martin hatte eine sehr klare Vorstellung von dem, was er erzählen wollte. Er ist ein überaus leidenschaftlicher Regisseur, sehr engagiert, begeisterungsfähig und 11 enthusiastisch und er war sehr glücklich, diese Geschichte zu erzählen. Unter seiner liebevollen Regie habe ich mich sehr wohl gefühlt. 


Wenn man Ihr Zusammenspiel mit Vincent Macaigne sieht, spürt man eine große Nähe.

Ich habe einen Schauspieler entdeckt, der sehr engagiert seine Figur darstellt. Ich lasse mich auch immer voll und ganz auf eine Figur ein. Man bewältigt gemeinsam eine Aufgabe und bringt sich dementsprechend ein. Es war faszinierend, zu beobachten, wie er mit Leidenschaft zeichnete, um seiner Rolle gerecht zu werden. Er macht genau das, was ich an meinem Beruf so schätze – sich voll und ganz einsetzen. Dieser Haltung begegne ich mit großem Respekt.


FILMOGRAFIE (AUSWAHL)
2023 DIE BONNARDS – Malen und lieben (Bonnard, Pierre et Marthe) Regie: Martin Provost
2022 Wild wie das Meer (La passagère) Regie: Héloïse Pelloquet
2021 Verlorene Illusionen (Illusions perdues) Regie: Xavier Giannoli
2021 The French Dispatch (The French Dispatch of the Liberty, Kansas Evening Sun) Regie: Wes Anderson
2018 Der Preis der Versuchung (Mademoiselle de Joncquières) Regie: Emmanuel Mouret
2013 Die Möbius-Affäre (Möbius) Regie: Eric Rochant
2013 Beziehungsweise New York (Casse-tête chinois) Regie: Cédric Klapisch
2010 Der Junge mit dem Fahrrad (Le gamin au vélo) Regie: Jean-Pierre und Luc Dardenne
2006 Chanson d'amour (Le gamin au vélo) Regie: Quand j'étais chanteur 12
2004 L'auberge espagnole - Wiedersehen in St. Petersburg (Les poupées russes) Regie: Cédric Klapisch 2002 L'auberge espagnole - Barcelona für ein Jahr (L'auberge espagnole) Regie: Cédric Klapisch