Sehenswerter Film nicht nur für Jugendliche am Pfingstsonntag Nachmittag, 8. Juni 2025 bei ONE
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) – Da im Frühjahr 1941 die Nationalsozialisten auch Wien besetzt halten, sind die dort lebenden Juden nicht mehr sicher. Deshalb muss sich die 14-jährige Betty Liebling (Sophie Stockinger) auf Veranlassung ihres besorgten Vaters (Christian Dolezal), der sich nach Amerika durchschlagen möchte, einer Gruppe jüdischer Kinder anschließen, die von einer Hilfsorganisation nach Palästina geschleust werden sollen. Dadurch verliert Betty alles, was ihr wichtig ist: ihr Zuhause, ihre Oma (Karoline Zeisler) und auch ihre beste Freundin Paula Zwickel (Johanna Mahaffy), die obwohl Jüdin nicht mitgehen wird. Allerdings trifft sie unter den ausreisenden Kindern auch die 17-jährige, aus Berlin stammende Tilla Nagler (Muriel Wimmer).
Auf dem beschwerlichen Weg über Graz nach Zagreb findet die Gruppe in einem Landhaus kurzzeitig Unterschlupf. Doch als sie auffliegen und ihr erwachsener Begleiter Georg Bories (August Zirner) auf der Straße erschossen wird, müssen die Kinder, nun angeführt vom jungen Josko Indig (Ludwig Trepte) und dessen Helferin Helga Herrnstadt (Nina Proll), deren Mann bereits in Palästina ist, ganz auf sich gestellt ihre Flucht fortsetzen. Sie führt zuerst in ein heruntergekommenes Jagdschloss in Lesno brdo in Slowenien, bevor sie ihre Weiterreise nach Italien fortsetzen müssen.
Schließlich erreichen sie das italienische Dorf Nonantola bei Modena und beziehen im Juli 1942 dort die leerstehende Villa Emma, die von einer jüdischen Hilfsorganisation angemietet wurde und in der auch eine zweite, aus vierzig jüdischen Kindern und Jugendlichen aus Kroatien bestehende Gruppe untergebracht wird. Für ein paar Monate können die Jungen und Mädchen wie andere Gleichaltrige sein: sie schließen Freundschaften und es kommen erste romantische Gefühle auf.
Doch bald werden die Flüchtenden von der harten Realität des Kriegs eingeholt, denn nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 wird es für Juden auch in Italien zu gefährlich. Die Kinder und ihre Begleiter müssen erneut weiterziehen und versuchen über die Grenze in die Schweiz zu fliehen…
"Die Kinder der Villa Emma" ist nicht der einzige Jugendfilm über unbegleitete jüdische Flüchtlingskinder in Europa während des 2. Weltkriegs, die in den letzten Jahren entstanden sind. Der bekannteste Film ist vermutlich ″Auf Wiedersehen, Kinder″ (1987) von Regisseur Louis Malle, basierend auf Erlebnissen in seiner Zeit als Schüler eines katholischen Internats während des Zweiten Weltkriegs.
Ebenso bekannt ist sicher der französische Film "Belle & Sebastian" (2013), in dem jüdischen Flüchtlingen von Frankreich aus in die Schweiz zur Flucht geholfen wird. ″Fannys Reise″ (2016) beruht auf einem Roman von Fanny Ben-Ami, in dem eine unbegleitete Gruppe jüdischer Kinder versucht, aus Frankreich und Italien in die Schweiz zu flüchten. 2020 ist dann der britische Film "Nur ein einziges Leben" (nach dem Jugendroman Warten auf Anja von Michael Morpugo) entstanden, in dem ein junger Schäfer unter den Augen der deutschen Soldaten einer Gruppe jüdischer Kinder hilft über die Pyrenäen nach Spanien zu fliehen.
Ein weiterer Film ist "Der Pfad" (2022), in dem ein Junge versucht, über Frankreich und Spanien nach Portugal zu gelangen, dessen Familie aber nicht jüdisch ist, sondern aus politischen Gründen von der Gestapo verfolgt wird.
In dem Filmdrama ″White Bird″ (2023) nach dem gleichnamigen Jugendbuch von Raquel J. Palacio wird ein in Frankreich lebendes jüdischen Mädchen von der Familie eines Klassenkameraden versteckt.
Der britischen Fernsehfilm ″Die Kinder von Windermere″ (2020) beschreibt das Schicksal jüdischer Waisenkinder, die den Holocaust in Polen überlebt haben und für vier Monate im Ort Windermere aufgenommen wurden.
Auch ″Die Kinder der Villa Emma″ beruht auf wahren Begebenheiten (wie gleich zu Beginn des Films mitgeteilt wird). Im österreichischen Fernsehfilm fliehen die Kinder und Jugendlichen, die aus Österreich und Deutschland stammen, über Kroatien, Slowenien und Italien letztendlich in die Schweiz.
Der Film von Regisseur Nikolaus Leytner erzählt in seinem Drama nach wahren Begebenheiten von einer gefährlichen Flucht, denn 1942/1943 war das italienische Dorf Nonantola tatsächlich Zufluchtsort von 73 jüdischen Kindern, die sich auf ihrem Weg nach Palästina dem Zugriff der Nationalsozialisten entziehen wollten.
Die Dreharbeiten fanden im Juli und August 2015 statt. Gedreht wurde in Österreich, Italien und Slowenien. Drehorte waren unter anderem Wildon, Deutschlandsberg und das Schloss Hornegg in Preding in der Steiermark sowie Originalschauplätze in Nonantola. Dabei fungierte der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der Jerusalem Post Ari Rath als historischer Berater, der selbst mit einem Kindertransport von Wien nach Palästina gelangt ist.
Der Regisseur schildert die gefährliche Reise als spannende Bewährungsprobe. Dabei kann man sich als Zuschauer sehr gut in die Situation von Betty und den anderen jüdischen Kindern hineinversetzen. Auch wenn der Film in einigen Szenen für einen Jugendfilm recht dramatisch und grausam ist (z.B. wenn der Betreuer auf offener Straße erschossen wird oder eines der Kinder zurückgelassen werden muss), hat er trotz aller Tragik auch viele glückliche Szenen, in denen die Kinder an kleinen Dingen Freude finden können und versuchen während ihrer Flucht trotzdem einfach Kind zu sein.
Ganz sicher entfaltet die historische Geschichte eine besondere Aktualität angesichts des Schicksals von Kindern und Jugendlichen, die heute unbegleitet vor Kriegen auf der Flucht sind und in Deutschland oder Österreich ankommen.
Insgesamt ist ″Die Kinder der Villa Emma″ ein sehr gut inszeniertes TV-Drama mit einer talentierten jungen Besetzung, das historisch nah am wirklichen Geschehen bleibt und konsequent aus der Sicht der Kinder erzählt wird. Die jugendlichen Darsteller spielen ihre Rollen hervorragend. Bei aller Dramatik ist es ein Film, der Hoffnung schüren kann, aber der auch zeigt, wohin Gewalt und Hass führen können, wer zu aller erst darunter leidet und wie sinnlos eine solche Menschenverachtung eigentlich ist.
Foto 1: Betty Liebling (Sophie Stockinger, 2. v. re.), Tilla Nagler (Muriel Wimmer, re.), die kleine Milli Birnbaum (Amy Lee Wörgötter) und die anderen Kinder schöpfen neue Hoffnung © ARD Degeto / ORF / Graf Film
Foto 2: Georg Bories (August Zirner) und Helga Hermstadt (Nina Proll) sind Fluchthelfer der Kinder © ARD Degeto / ORF / Graf Film
Foto 3: Helga Herrnstadt (Nina Proll, 2. v. li.), Betty Liebling (Sophie Stockinger, 3. v. li.), die kleine Milli Birnbaum (Amy Lee Wörgötter) und Josko Indig (Ludwig Trepte) fliehen mit anderen Kindern und Jugendlichen vor den Nazis und werden von Schweizer Grenzbeamten ins Visier genommen © ARD Degeto/ORF/Graf Film/Volker
Info:
Die Kinder der Villa Emma (Österreich / Deutschland 2016)
Genre: Drama, 2. Weltkrieg, jüdische Kinder auf der Flucht
Filmlänge: ca. 105 Min.
Regie: Nikolaus Leytner
Drehbuch: Agnes Pluch
Darsteller: Sophie Stockinger, Ludwig Trepte, Nina Proll, Muriel Wimmer, Laurence Rupp, August Zirner, Maximilian Paier, Juri Zanger, Haris Begić, Justus Schlingensiepen, Enzo Gaier, León Orlandianyi, Mila Voigt, Amy Lee Wörgötter, Johanna Mahaffy, Karoline Zeisler, Christian Dolezal, Giorgio Lupano, Soraya Sala u.a.
FSK: ab 6 Jahren
″Die Kinder der Villa Emma″ wird am Pfingstsonntag, 08.06.2025 um 14:50 Uhr bei ONE gezeigt und dort am Do. 10.06.2025 um 01:05 Uhr wiederholt.