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Kategorie: Film & Fernsehen

oxanaSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Juli 2025, Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn heute Frauen zumindest bei uns selbstverständlich zur Schule gehen, studieren, einen Beruf ergreifen, der auch Politikerin sein kann, mit dem Mann leben, mit dem sie Leben wollen, Kinder haben oder nicht, ihr eigenes Geld verdienen, Autofahren, wählen gehen etc., dann können wir das auf den Schultern all der Frauen, die für Frauenrechte eingetreten, gekämpft, gesiegt, aber auch unterlegen und umgebracht worden sind.

 

Die ukrainische Frauenrechtlerin und Malerin Oksana Schatschko ist ein besonderer Fall. Wie besonders zeigt dieser erstaunliche Film, der mit ihrem Tod, ihrem Selbstmord im Pariser Exil am 23. Juli 2018 beginnt. Da war sie 31 Jahre.

 

Kein Wunder, dass im Zusammenhang mit ihr immer Bezug genommen wird auf das Gemälde von Delacroix DIE FREIHEIT FÜHRT DAS VOLK AN, wo die, die Nation verkörpernde Marianne mit roter Fahne und barbusig insbesondere drei Männer motiviert, einen jungen, einen zerlumpten und einen in Frack und Zylinder mitzukämpfen für die Freiheit aller. Denn das war in der Ukraine ihre Heldinnentat, als sie zusammen mit anderen Frauen gegen die Ausbeutung und Erniedrigung von Frauen in der aufkommenden ukrainischen Sexindustrie – insbesondere mit deren internationaler Ausrichtung, die die ganze Ukraine zu einem Bordell machen wollte – mit Mitteln zurückschlug, die weder im Katholizismus, noch der christlichen Orthodoxie üblich war und mit einem Schlag die ganze Gesellschaft berührte: mit entblößten Brüsten, die später auch noch bemalt wurden öffentlich zu protestieren. Spruchbänder wie: DIE UKRAINE IST KEIN BORDELL machten dabei klar, um was es geht.

 

Daß die von der Diktatur kontrollierte öffentliche Meinung entsetzt und die Staatsmacht zurückschlug, wissen wir und können es fast täglich in den Nachrichten verfolgen, wie die Frauen, die in der Politik auf männlichen Wegen für eine Demokratisierung eintreten, in heimischen Gefängnissen eingesperrt und isoliert werden. Bei den Femen-Aktivistinnen dagegen waren die Herrschenden heilfroh, dass sie ins Ausland flohen, besonders viele nach Paris, der Heimat der aus dem Osten kommenden Asylsuchenden seit dem 19. Jahrhundert. Wie Oksana ab 1913. Warum konnte sie nicht weiterleben, warum suchte sie den Tod?

 

Dieser Film versucht nicht, ihr kurzes Leben zu erklären, er schildert uns die Begleitumstände ihres Lebens, wie aus einem streng gläubigen Mädchen eine aufrührerische Frau wurde. Wir wechseln also ständig die zeitliche Ebene, das aufwachsende Kind und Mädchen, ihre späteren aufrührerischen Aktivitäten und ihr Exil in Paris, wo sie als Malerin gerade ihre erste Ausstellung hatte. So wie die zeitlichen Ebenen wechseln, wechseln auch die Einflüsse auf Oxana. Wir sehen eine behütete Kindheit und eine kleine Sensation, wenn die malende Achtjährige in eine Ikonenmalschule aufgenommen wird. Ikonen malen nur Männer, in einer Ikonenschule lernen eigentlich nur Männer. Und vielleicht zeigt der Film nicht deutlich genug, welche Sensation das ist, dass ein achtjähriges Mädchen hier das Ikonenmalen studieren darf. Denn die Kunst des Ikonenmalens ist es, haargenau, ohne Abstriche das Vorbild zu produzieren. Man lernt, den eigenen Geschmack, den eigenen Pinselstrich, den eigenen Ausdruck, die lieber gewollte Körperhaltung zu ignorieren, denn die Kunst besteht genau darin, eine vom Original ununterscheidbare Kopie zu erstellen.

 

Wenn Oksana ( ALBINA KORZH) in ihrer Pariser Ausstellung eben auch ihre gemalten Ikonen zeigt,Frauen, von Leid, von Leben zeugen, dann ist das für ihr Herkommen die ultraextreme Abrechnung mit beidem: mit der herkömmlichen Ikonenmalerei und dem Patriachat. Das Dazwischen ist mit so viel Extremen befeuert. Man lebt mit den jungen Mädchen mit, die erst einmal in der Ukraine, dann in den umliegenden östlichen Ländern mit FEMEN eine Organisation schaffen, die ihnen Rückhalt gibt und der Obrigkeit eine Zusammengehörigkeit, die man zerschlagen muß. Mitzuerleben, wie in gutbürgerlich großgewordenen jungen Frauen Protest gegen die zementierten Mann-Frau-Ungleichheit aber auch politische Unmündigkeit aller durch Diktaturen entsteht und solche phantasievollen Formen annimmt – vor allem, mit welcher Leidenschaft – ohne die geht es auch nicht – der Kampf aufgenommen wird, also nicht Kärrnerarbeit am Anfang steht, sondern tiefe Lust von jungen Frauen, es der Gesellschaft mal so richtig zu zeigen, wo es eigentlich entlang gehen müßte und wie vertiert, kleinkariert und von gestern die gegenwärtigen Verhältnisse sind, das alles auf der Leinwand mitzuerleben, macht nicht nur Spaß und gibt Auftrieb, sondern läßt einen auch mit Hochachtung zurück, was diese jungen Frauen gewagt haben. Gewagt und teils gesellschaftlich gewonnen, aber privat oft verloren.

 

Die Verlorenste ist dabei Oksana. Denn in Paris beginnen, die auch in der Frauenbewegung vorhandenen Revierkämpfe, wer die Führung hat, wie der Widerstand gegen das häusliche Regime im Ausland fortgesetzt werden soll, wer mit wem koaliert, welche Frauen dazugehören dürfen, es gibt so viel Fallstricke für die Frauenbewegung und so viele Fallen, in die man hineintappen kann. Oksana auf jeden Fall geht verloren.

Tragisch ist das immer, aber noch tragischer wird es, wenn gleichzeitig ihre Malerei erfolgreich zu werden beginnt.

 

Der Film läßt offen, muß offenlassen, was ihre eigentlichen Beweggründe sind. Und aus Respekt vor ihr, will man – man kann es sowieso nicht – nicht weiter eruieren, inwieweit innerpsychische Anlagen entscheidende Faktoren sind. Ein weiterer Dokumentarfilm zeigt ihre Depressionen auf, was ihre Pariser Mitbewohnerin und Freundin bestätigt, die Künstlerin Apolonia Sokal, die hier im Film ebenfalls eine Rolle spielt.

Traurig, aber schön, Oksana Schatschko filmisch ein Denkmal zu setzen. Und lehrreich auch. Und eine tolle Leistung der jungen Schauspielerin Albina Korzh, die sie verkörpert.

 

 
Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung 
OXANA         ALBINA KORZH
INNA             MARYNA KOSHKINA
LADA            LADA KOROVAI
ANNA           OKSANA ZHDANOVA
TRISTAN      YOANN ZIMMER
APOLONIA   NOÉE ABITA

Stab
REGIE     CHARLÈNE FAVIER
DREHBUCH     DIANE BRASSEUR, CHARLÈNE FAVIER, ANTOINE LACOMBLEZ
 

Technische Daten
 
Frankreich, 2024
Länge: 103 Minuten
Bildformat: 1,50:1 (F-150)
Tonformat: 5.1