
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Wie entstand die Idee zu RAVE ON?
Viktor Jakovleski (VJ): Die Idee zu RAVE ON ist im (Techno-)Club entstanden. Ich habe über viele Jahre beim Clubben Inspiration gesammelt und mir den Kopf darüber zerbrochen, wie diese intensive Club-Erfahrung filmisch einzufangen bzw. so reproduzierbar ist, dass ein Kinopublikum sie bestmöglich nachempfinden kann. Um dieses Nachempfinden im Kinosaal ging es mir auch bei meinem Dokumentarfilm BRIMSTONE & GLORY, bei dem ich ein Feuerwerk-Festival in der mexikanischen Feuerwerk-Hauptstadt Tultepec kinematisch eingefangen habe, bei dem tausende von Menschen kathartisch im Feuer tanzen.
Nach Jahren der Ideen- und Stoffsammlung zu RAVE ON erzählte ich meinem alten Freund Nikias beim Clubben von der Idee. Er war sofort angefixt und wir begannen, aus der Idee einen Film zu schreiben. Wir kamen dann irgendwann auf die Idee des Tracks auf der Platte, die zum DJ muss. Und so nahm die Geschichte der Rave-Odysee durch den Club ihren Lauf.
Nikias Chryssos (NC): Als Viktor mit der Idee auf mich zugekommen ist, ging es anfänglich erst einmal um die Weiterentwicklung seiner Idee. Ziemlich schnell hat er dann gefragt, ob wir das nicht als gemeinsames Regie-Projekt angehen wollen. Ich fand das spannend und sehe auch jetzt, wie das Projekt sowohl an unsere individuellen Projekte davor anknüpft (wie Viktor das oben schon für sich
beschreibt - und bei mir vielleicht die Untersuchung von Mikrokosmen und eskalierenden Räumen) und gleichzeitig etwas eigenes, gemeinsames entstanden ist. Mir hat es auch gefallen, einen Film mit so einer Freiheit und Dynamik zu entwickeln. Die Arbeit als Regie-Duo war ein Abenteuer, das aber durch unsere langjährige Freundschaft und die gemeinsame Entwicklung des Buchs, in dem wir schon viele Fragen klären konnten, möglich war.
Was verbindet euch selbst mit der Thematik und inwieweit seid ihr mit der Szene verknüpft?
VJ: Ich habe unzählige DJs und ProduzentInnen in meinem Freundeskreis und gehe seit Anfang der 2000er regelmäßig in Clubs. Vorrangig in Berlin, aber auch in anderen Städten und Ländern. Elektronische Musik und die damit verbundene Möglichkeit der Selbstfindung im Trance-Zustand, den ein Club-Dancefloor durch Sound, Licht, Nebel und andere Tanzende erzeugen kann, hat mich schon immer fasziniert, so auch die tiefe Verbundenheit, die dort entstehen kann, auch mit wildfremden Menschen. Gleichzeitig habe ich durch meine vielen FreundInnen auch den Struggle kennengelernt, der für viele Realität ist, die nicht bereits sehr erfolgreich sind und regelmäßig Gigs haben. Hier geht es teils um etwas sehr existentielles. Viele meiner FreundInnen haben Familie und den Druck, zu providen. Das ist etwas, was oft ungesehen bleibt. Der DJ-Beruf als „normaler“ Job.
NC: Ich bin in Heidelberg aufgewachsen. In den 90ern war damals Source Records das bekannteste Label. Meine erste Technoplatte war dann auch Alex Cortex' Tengenenge auf Source. Vielleicht war es auch eine Platte von Shitkatapult, die damals ebenfalls in Heidelberg waren, eine der Cozmick-Suckers-Platten. Das dürfte so um 1999 gewesen sein. Ich habe um die Zeit selbst angefangen, elektronische Musik zu produzieren und mache das auch heute noch gern. Im elektronischen Bereich mochte ich anfänglich vor allem die Elektro-Richtung, Sachen wie Dopplereffekt, Drexcya, die Sachen von Bunker
Records in Holland oder I-f. Auch EBM und Dark Wave. Als ich Ende der 90er nach München gezogen bin, war ich dort ab und zu im Ultraschall, das war damals ein Techno-Club mit einem legendären Holz-Floor, in dem DJ Hell Resident war. Trotzdem gab es damals nie „nur“ Techno für mich, wobei sich das nochmal intensiviert hat, als ich nach Berlin gezogen bin. Ich erinnere mich, wie mir damals jemand erzählte, es gibt da eine Bar, die macht nie zu, und ich, der gerade aus Süddeutschland hergekommen war, fand das irgendwie erstaunlich. Das war die Bar 25.
Wie habt ihr euch dem Thema angenähert?
VJ: Die Idee des halb-dokumentarischen Ansatzes, auf echten Parties drehen zu wollen, stand ganz am Anfang. Mir war früh klar, dass, wenn wir ein größtmögliches Maß an Authentizität liefern wollen, wir keine gestellten „Film“-Parties mit „Musik an, Musik aus und alles auf Anfang“ drehen können. Auch das Film-Grundlicht, das es in vielen anderen Filmen gibt, wollten wir umgehen und lieber die Dunkelheit zwischen den aufblitzenden Clublichtern und des Strobos miterzählen. Wir hoffen, dass genau das dem Film dieses einmalige Dancefloor-Gefühl verleiht. Auch die Begegnungen sollten spontan und unmittelbar wirken. Gleichzeitig wussten wir, dass die Geschichte einen zentralen roten Faden benötigt, um den Zuschauer bei Laune zu halten. So kamen wir, wie schon erwähnt, auf die Platte, die ziemlich simpel von A nach B muss.
NC: Es war schon in der Entwicklung ein ständiges Austarieren zwischen dem Gefühl, so immersiv und frei wie möglich durch den Club zu gehen, und einer eher klassischen Dramaturgie zu folgen. Kosmos Mission war da ein guter Aufhänger.
Welche Herausforderungen gab es bei der Entstehung des Films zu bewältigen?
VJ: Der angesprochene halb-dokumentarische Ansatz war sehr herausfordernd, denn auf einer echten Party zu filmen mit einem ballernden Soundsystem ist nicht einfach. Einerseits mussten wir als Filmcrew unauffällig bleiben, um den Rave nicht zu stören, andererseits mussten wir untereinander kommunizieren und Regieanweisungen geben, was bei brachialer Lautstärke maximal schwierig war. Auch die Limitierung auf zwölf Drehtage war eine enorme Herausforderung, die wir nur durch konstruktive Zusammenarbeit und einen großen Zusammenhalt und Rückhalt mit dem gesamten Team und Cast bewerkstelligen konnten.
NC: Es ist unheimlich schwer, gute Club- oder Party-Szenen zu drehen. Was uns an echter Drehzeit fehlte, mussten wir mit Energie und Ideen ausgleichen. Wir hatten nur acht „echte“ Drehtage in unserem Haupt-Clubmotiv. Davon waren in den ersten beiden Wochen jeweils zwei Tage „normale“ Drehtage und ein Tag (bzw. eine Nacht) ein Party-Drehtag. Um die Drehzeit gut zu nutzen, haben wir davor mit unserem Cast im Motiv geprobt, auch die beiden Party-Drehtage mit den echten Partys wurden am Tag vor den Partys so gut es ging vorbereitet. Auf der Party selbst herrschten dann ohnehin teilweise unkontrollierbare Bedingungen. Der ganze Dreh hatte so ein hohes Level an Adrenalin.
Wie habt ihr es geschafft, diesen Film zu einem so authentischen Trip zu machen, in den man regelrecht hineingezogen wird?
VJ: Zusätzlich zu dem beschriebenen haben wir mit dem Kameramann, Jonas, ein Konzept gewählt, bei dem wir immer nah an der Hauptfigur Kosmo bleiben, so, als wären wir im Club auch ständig an seiner Seite. Die Kamera sollte an ihm kleben und das Sounddesign sollte dies auf der Tonebene noch weiter unterstützen. Wir wollten seine inneren Gefühlszustände maximal nachempfindbar machen – vom anfänglichen Unwohlsein hin zu ekstatischen Momenten bis zur Klaustrophobie und der Befreiung am Ende.
NC: Kosmos Zustand, sowohl seine psychische Verfassung als auch die Drogen, die ihn begleiten, haben eine Art Fieberkurve für uns gebildet, die auch einen Leitfaden für die visuelle Seite (Farben, Optiken, Effekte) und die akustische Umsetzung geboten haben.
Wie habt ihr euer Team, vor und hinter der Kamera, zusammengestellt?
VJ: Neben der menschlichen und fachlichen Kompetenz war für uns wichtig, dass Cast und Crew auch Club-Erfahrung mitbringen sollten. Die meisten haben diese Komponente dann tatsächlich auch mitgebracht, was die Zusammenarbeit und Kommunikation vereinfacht hat. Zum Beispiel ist die Kostümbildnerin Tatjana Jung schon lange im Nachtleben aktiv, war Türsteherin bzw. Selektorin und weiß somit genau, wie Clubgänger gekleidet sind.
NC: A spirit for adventure. And as many ravers as possible.
Wie seid ihr auf Aaron Altaras gekommen – stand er für euch sofort als Hauptdarsteller fest?
VJ: Aaron war anfangs auf dem Papier eigentlich zu jung für Kosmo, der mal als 40-Jähriger angelegt war. Er hat uns während unseres ersten Treffens aber sosehr vom Hocker gerissen mit seiner authentischen Art und dem Enthusiasmus für das Drehbuch, dass wir gar nicht anders konnten, als ihn direkt zu besetzen. Für ihn war das Projekt die Möglichkeit, seine enorme Leidenschaft für elektronische Musik und Film perfekt zu vereinen. Dieses Leidenschaft und sein Commitment gab uns die Sicherheit, hier nicht nur einen Schauspieler, sondern einen echten filmemacherischen Partner für das Projekt zu gewinnen, dessen Anspruch an Authentizität mindestens so hoch war wie unser eigener. Für ihn haben wir die Rolle dann leicht umgeschrieben und im Endeffekt hat das alles perfekt gepasst.
NC: Es war eine Freude, mit Aaron zu arbeiten, der sich komplett in das Projekt hineingeworfen hat – ob er jetzt durch einen engen Schacht robben oder wichtige Szenen auf einer echten Party drehen musste, bei der wir womöglich nur einen oder zwei Takes machen konnten. Seine Mischung aus Authentizität, Humor, Spielfreude und Intelligenz haben mich beeindruckt.
Wie würdet ihr die Figuren beschreiben – Kosmo, aber auch die „Nachtgestalten“, denen er auf seiner Reise im Club begegnet?
VJ: Kosmo steht für einen Musikliebhaber und Puristen. Einen Nostalgiker, der Widerstände hat, sich dem Neuen zu öffnen, und der in der Vergangenheit lebt. Viele seiner Werte, was die Szene angeht, sind valid, z. B. der Fakt, dass er den Ursprüngen der Musik, die zum größten Teil in Detroit und Chicago liegen, würdigt. Gleichzeitig kann er aber auch nicht der neuen Garde an DJs einen Vorwurf machen, wenn sie erfolgreich sind und er nicht. Nach jahrelangem Frust zieht er in Betracht, mit dem Musikmachen aufzuhören. Er denkt, er braucht einen Erfolg im Außen, was er aber in der Nacht lernt, ist, dass der Erfolg nur von Innen kommt. Und fast jede Figur, der er begegnet, steht für einen Teil von Kosmos Vergangenheit, mit dem er abschließen muss.
NC: Kosmo ist zu Beginn der Geschichte lost, eine schon etwas gebrochene oder „angebrochene“ Figur, die das Gefühl hat, ihre Chance verpasst zu haben und Gefahr läuft, über dieses sich im Kreis drehende Bereuen und Festhalten an der Vergangenheit, verbittert zu werden. Er steht am Scheideweg: Aufhören mit der Musik oder Weitermachen. Es ist ein Gefühl, das sicher viele Menschen in kreativen Berufen kennen und wir als Filmemacher auch. Wie Aaron sinngemäß sagte: Es ist die Geschichte einer Figur, der kaputt in den Club geht und etwas weniger kaputt aus dem Club kommt. In gewissem Maße gilt das auch für die anderen Figuren in unserem Film.Wie entstand der Soundtrack? Habt ihr mit KünstlerInnen aus der Szene zusammengearbeitet?
VJ: Der Soundtrack entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Technokünstler und Labelbetreiber Ed Davenport (alias Inland), einem langjährigen Freund von uns. Er produziert seit fast zwei Jahrzehnten Techno und House und legt regelmäßig in den größten Clubs der Welt auf, wie z. B. dem Berghain. Mit ihm haben wir versucht, nicht nur die richtigen Clubtracks für den Dancefloor zu wählen, sondern eben auch für die Szenen zwischendrin. Ob im Backstage, auf der Toilette, in den Gängen: Es war uns wichtig, all diese Orte so klingen zu lassen, wie es im Club tatsächlich klingt. Ed hat uns schon während der
Schnittphase einen ganzen Ordner von Musik geschickt, aus dem unser Editor, Anselm Koneffke, sich bedienen konnte für die jeweiligen Szenen. Anselm muss man an der Stelle besonders hervorheben, denn er hat, als ehemaliger Techno DJ, einen gehörigen Anteil am Rhythmus des Films und die Art und Weise, wie die Musik im Film eingebunden ist. Der Prozess zwischen Montage und Musik war organisch und ging oft hin und her, sodass Szenen teils nach der Musik geschnitten wurden, Tracks umgekehrt aber auch anhand der Montage angepasst werden mussten. So entstand der musikalische Flow des Films.
NC: Neben diesen Originaltracks konnten wir auch einige Klassiker aus den 90ern lizensieren, wie z. B. vom legendären CJ Bolland oder den trancigen Team Deep-Track, der in der Toilettenszene läuft. Darüber hinaus waren wir wahnsinnig froh, das Glück zu haben, Hieroglyphic Being für den Film zu gewinnen – nicht nur als Schauspieler, sondern auch durch die Beisteuerung eigener Tracks. Für
mich ist er einer der großartigsten Techno-Producer und ein sehr besonderer Mensch. Es war eine Freude, mit ihm zusammen zu arbeiten.
Waren auch Institutionen aus der Szene, wie Clubs, am Film beteiligt?
VJ: Der Club, in dem wir drehen durften, hat normalerweise ein strenges Foto-und Videoverbot. Erst durch Aufklärung darüber, dass unser Projekt anders ist als ein normaler Filmdreh, bei dem einfach eine Location benutzt wird, entstand die Offenheit, dieses Verbot für uns und den Film aufzuheben. Mein Ansatz war immer, dass ich gerne mit den Club-Betreibern und dem Personal, das dafür offen war, kollaborieren und ein gemeinsames Werk erschaffen wollte. Einen fiktionalen Ort, der auf dem echten Ort basiert. Zusätzlich haben wir viele Mitarbeitende des Clubs in den Dreh eingebunden, z. B. das Barpersonal, die Garderobe, und v. a. Lara, die Awareness-Person am Ende des Films. Sie ist die echte Awareness-Person des Clubs und hat uns bei der Drehbucharbeit zu der Szene unterstützt, um ihr diese Authentizität zu verleihen.
NC: Den Support des Clubs zu haben, in dem wir letztendlich gedreht haben, war ein echter Glücksgriff. Der Club selbst mit seiner labyrinthischen Struktur ist ja quasi selbst ein Charakter in unserem Film. Wir haben den Film dann vor kurzem den Verantwortlichen des Clubs gezeigt und waren sehr froh, dass sie ihn wirklich gefeiert haben und voll dahinter stehen. Für Leute, die den Club kennen, ist er vielleicht erkennbar – trotzdem haben wir ihn für den Film an zahlreichen Stellen verändert und verfremdet. Die Clubkultur leidet zunehmend unter finanziellen Einbußen und steht unter existenziellem Druck – es ist sogar von einem Clubsterben die Rede.
Was macht für euch den Club als Erfahrungsort so außergewöhnlich, aber auch so elementar und wichtig für die Gesellschaft?
VJ: Der Club als Ort der Begegnung, als Ort der Heilung, und vor allem als Safe Space für alle, v. a. marginalisierte Gruppen ist elementar wichtig und muss mit allem Elan verteidigt werden. Das gemeinsame tanzen und feiern schweißt zusammen und räumt Gegensätze aus. Wir benötigen diese Ort gerade jetzt, in einer Zeit der Spaltung, mehr denn je.
NC: Es ist ein Ort, der einen Gegenpol zur Leistungsgesellschaft und zum alltäglichen „Funktionieren“ darstellt. Dunkelheit, Freiheit, Albernheit und Exzess. Eine Mischung aus Sicherheit und Gefahr. Ob Karneval, Oktoberfest oder Dorfparty – die Menschen suchen Rausch als Ventil. Beim Techno kommt noch das psychedelischere Element hinzu, das Verspulte der Sounds, die das Bewusstsein triggern und in andere Zustände führen. Man sollte den Ort nicht überromantisieren – aber ihn schützen, gerade in Zeiten, in denen er von außen bedroht ist. Von wirtschaftlichen Fragen, von Fragen der Gentrifizierung, aber
auch politisch. Auch in diesem Sinn könnte unser Film eine Art Zeitdokument sein. Ich finde es spannend, wie Menschen in zehn oder zwanzig Jahre drauf schauen würden, und wie sich bis dahin alles verändert hat.
Foto:
©Verleih
BESETZUNG
KOSMO AARON ALTARAS
KLAUS CLEMENS SCHICK
ALEX JUNE ELLYS MACH
MARNIE RUBY COMMEY
KATI BINETA HANSEN
TROY PORTER HIEROGLYPHIC BEING
RICHARD ISAAK DENTLER
ROXY J. LUCIA LU
STAB
REGIE. NIKIAS CHRYSSOS, VIKTOR JAKOVLESKI
DREHBUCH VIKTOR JAKOVLESKI, NIKIAS CHRYSSOS
Abdruck aus dem Presseheft