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Kategorie: Film & Fernsehen
bruder3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. September 2025, Teil 13

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Was hat Ihnen an dem Stoff gefallen?

HANNO OLDERDISSEN: Mir hat die Mischung von einem Unterhaltungsfilm für ein möglichst breites Publikum in Verbindung mit einer spitzen, sehr kenntnisreichen Beschreibung des Hauptdarstellers mit Down-Syndrom gefallen. Natürlich wusste ich, dass Clemente sich mit dem Down-Syndrom sehr gut auskennt. Aber selbst wenn ich das nicht gewusst hätte, hätte das aus dem Text gesprochen. Man spürt einfach, ob jemand kenntnisreich ist oder nicht. 

 

Warum ist es an der Zeit für einen großen, inklusiven Unterhaltungsfilm, und warum gehört GANZER HALBER BRUDER auf die Kinoleinwand?

 

HANNO OLDERDISSEN: Das europäische Umland ist da sehr viel weiter als Deutschland. Viele Länder haben sehr erfolgreiche Komödien mit inklusiven Themen ins Kino gebracht. Die Spanier zum Beispiel mit „Campeones“, die Franzosen zuletzt mit „Was ist schon normal?“, der in Deutschland ein Remake erhalten soll. In Deutschland ist es mehr als überreif, auch mal einen Film mit einer inklusiven Thematik für ein breites Publikum ins Kino zu bringen. Meines Wissens ist GANZER HALBER BRUDER auch ein echtes Novum, weil es im deutschen Kino noch nie eine so große Kino-Hauptrolle für einen Darsteller mit Down-Syndrom gab.

 

GANZER HALBER BRUDER ist eine Buddy-Komödie, die unterhaltsam, aber auch mit der nötigen Portion Emotionalität erzählt wird. Was waren Ihre Gedanken zur Inszenierung und Tonalität?

 

HANNO OLDERDISSEN: In der Buchentwicklung war es ein stetes Austarieren zwischen komödiantisch sein und ein einladendes Angebot für den Zuschauer zu stricken, abseits des Stempels „Problemfilm“. Ich sehe mich bei GANZER HALBER BRUDER sehr stark als Partner von Clemente. Es ist seine Geschichte, und dieser Geschichte wollte ich dienen. Bei meinem Kinodebütfilm, „Rock My Heart“, der in einem Setting spielt, das mir sehr vertraut ist, der Galopprennwelt, hatte Clemente viele Jahre investiert, damit wir das gemeinsam hinkriegen. Bei GANZER HALBER BRUDER wollte ich nun für Clementes Erzählanliegen kämpfen. Eine Komödie mit inklusiver Thematik zu schaffen, ohne eine Betroffenheitsbrille aufzuhaben. Es geht darum, die Figur von Roland so zu erzählen, wie jede andere Figur auch. In dem Fall lag die Herausforderung nicht so sehr im Finetuning von Humor und Emotionalität. Da war ich mir sicher, dass das Buch alles bietet, was eine gute Geschichte braucht. Hier war für mich die Herausforderung, das mit einer so speziellen Besetzung beim Dreh gut umzusetzen. 

 

GANZER HALBER BRUDER ist eine Reunion nicht nur zwischen Clemente Fernandez-Gil und Ihnen, sondern auch mit Boris Schönfelder. Was hat die Zusammenarbeit dieses Mal ausgezeichnet?

 

HANNO OLDERDISSEN: Wir haben den Film gemeinsam als Trio entwickelt, und jeder von uns hat unheimlich Kraft und Liebe in diesen Film investiert: Clemente in das Drehbuch, Boris natürlich als treibende Kraft in die Finanzierung. Ich in die Drehvorbereitung und in die Dreharbeiten. Man denkt, bei einem solchen Stoff, in einer Zeit, in der alle von Inklusion reden, rennen einem alle die Bude ein. Aber es war schwierig, den Film finanziert zu bekommen. Wir hätten ihn schon viel früher drehen können, das Buch war schon lange fertig. Aber wir haben sehr lange gebraucht, bis wir in die Realisierung gehen konnten. Da war unser Produzent Boris Schönfelder mit seinen immer neuen Überlegungen, Besetzungs- und Verkaufsideen wirklich eine große Stütze. Die Kinolandschaft ist schwierig geworden. Deshalb finde ich es umso schöner, dass wir es nach „Rock My Heart“ wieder gemeinsam geschafft haben, ein sehr eigenes Projekt auf die Leinwand zu bringen – gegen alle Widerstände.

 

Was waren für Sie als Regisseur die konkreten Herausforderungen bei der Arbeit mit einem Darsteller mit Down-Syndrom in einer so großen Hauptrolle? Wie liefen Drehvorbereitung und Dreh ab? 

 

HANNO OLDERDISSEN: Da spielt die Produktionsrealität eine Rolle. Wir konnten uns nur eine bestimmte Anzahl von Drehtagen leisten, von der wir wussten, dass es eigentlich zu wenige waren. Nico Randel, der unseren Roland spielt, ist unglaublich spielfreudig. Er wollte immer und unbedingt. Aber ihm sind auch gewisse Grenzen in der Belastbarkeit gesetzt, sowohl körperlich als auch mental. Wir wussten, dass Nico jemand im Vorfeld braucht, der mit ihm die Rolle in einem Maße erarbeitet, die ihm gerecht wird. Ein absoluter Glückgriff für uns war Anna Gaden, eine Schauspielerin und Coachin, die sich total auf Nico eingestellt hat. Sie hat mehrere Wochen vor Drehstart mit ihm geprobt und war immer mit am Set. Wir wollten Nico gerecht werden, damit er die Rolle mit seinem Naturell gut spielen kann. Anna war für Nico eine wichtige Vertrauensperson, aber auch für mich. 

 

Der Hauptspielpartner von Nico Randel ist Christoph Maria Herbst. Wie haben Sie die Chemie zwischen diesen beiden erlebt?

 

HANNO OLDERDISSEN: Christoph Maria Herbst war sehr professionell und hat viel Rücksicht auf Nico genommen, der im Drehalltag einfach mehr Anleitung, mehr Zeit und mehr Raum gebraucht hat. Er hatte eine unglaubliche Geduld und hat trotzdem immer wieder die Momente, wo er frei spielen konnte, gesucht, und da auch Energie für sich rausgezogen. Die Kunst eines guten Schauspielers ist es, dass er sich die jeweiligen Umstände eines Drehs zunutze macht. Das hat Christoph Maria Herbst getan. Die Brüder sind ja nicht von Anfang an ein Herz und eine Seele. Den Prozess der Annäherung, den die Figuren im Film durchlaufen, habe ich auch ein wenig beim Dreh gespürt. 

 

Roland betreibt mit großer Leidenschaft Gewichtheben. Wie sahen hierfür die Vorbereitungen für Nico Randel aus? 

 

HANNO OLDERDISSEN: Nico hat sein ganzes Leben schon regelmäßig Sport getrieben. Er geht Schwimmen, zum Judo… Zur Vorbereitung aufs Gewichtheben haben wir in Köln einen tollen Gewichtheber-Verein gefunden. Von denen gibt es gar nicht mehr viele. Gewichtheben ist mittlerweile ein absoluter Nischensport geworden. Bei diesem Verein arbeitet Fritz Hermann, der Nico über Wochen gecoacht und ihm die typischen Bewegungsabläufe, die es beim Gewichtheben zu beachten gilt, beigebracht hat. Wir haben für Nico eine Form gefunden, die ein wenig speziell, aber durchaus regelkonform ist. Nico ist ein Pfundskerl, der Kraft hat und aus Spaß auch gerne rangelt. Wir haben ihm dann für den Dreh Fake-Gewichte besorgt, die schwerer aussehen, als sie sind. Aber Nico hat trotzdem beim Dreh der Gewichtheberszenen immer an seiner persönlichen Leistungsgrenze operiert. Die Arme haben schon in echt gezittert. Wir hatten insgesamt sehr viel Support aus der Gewichtheber-Szene. Im Hintergrund, bei dem Turnier am Ende des Films, sind echte Athleten im Einsatz. In diese Sequenz, das Finale in der Turnhalle, ist sehr viel Liebe und Arbeit von allen Departments geflossen.

 

Was ist Ihre schönste Erinnerung an die Dreharbeiten?

 

HANNO OLDERDISSEN: Da gibt es viele! Toll war, als wir die Szene mit dem Cabrio gedreht haben. Ich hatte den Herrn, der uns den Spielwagen zur Verfügung gestellt hatte, gebeten, ob er Nico mal eine Runde mitnehmen kann, bevor wir drehen, damit er sich daran gewöhnt. Es war Freude pur, Nico zu erleben, weil er wirklich die ganze Zeit der Fahrt seinen „Sunny“-Song geschmettert hat, weil er wusste, dass er ihn in der Szene auch gleich singen muss. Der Dreh war angesichts der Zeit, des Budgets und der speziellen Besetzung für alle Beteiligten eine besondere Aufgabe. Diesem Druck kann man sich als Regisseur nie ganz entziehen. Nico hat es auf seine bezaubernde Art immer wieder geschafft, diesen Druck einfach durch sein besonderes Wesen rauszunehmen. Er hat etwas zutiefst Menschliches in diesen doch zuweilen angespannten Drehalltag gebracht. Er war unser Sonnenschein und unser Kraftherd.

 

Der Song „Sunny“ spielt eine große Rolle. Welches ist Ihre liebste Version und warum?

 

HANNO OLDERDISSEN: Schwer zu sagen. Ich kann mich nicht entscheiden. Ich mag die spanische Version gerne, die am Anfang unseres Films zu hören ist, weil sie so schräg ist und gut zu dieser Tristesse passt, in der Thomas in den Film startet, und ich mag die Instrumentalversion, die läuft, wenn Thomas den Brief der verstorbenen Mutter liest. Sie ist sehr emotional und bluesy, sehr originell. Die Boney M.-Version ist für die Stimmung auch super. Ich kann es nicht direkt sagen. Die drei haben alle ihren eigenen Reiz in Kombination mit den Szenen, in denen sie zu hören sind.


Was wollen Sie dem Zuschauer mit GANZER HALBER BRUDER auf den Weg geben?

 

HANNO OLDERDISSEN: Als Filmemacher will ich in erster Linie unterhalten. Und wenn der eine oder andere Zuschauer seine Berührungsängste mit Menschen mit Down-Syndrom abbaut oder sich mehr für das Thema Inklusion in unserer Gesellschaft zu interessieren beginnt, bin ich happy. Mehr kann man mit einem Film nicht erreichen. Menschen wie Roland haben ein unglaubliches Potenzial für uns als Gesellschaft. Ich freue mich, wenn unser Film den Zuschauer*innen Denkanstöße zu diesem Themenfeld gibt. 


Foto:
©Verleih

Info:
GANZER HALBER BRUDER
Deutschland 2025, 102 Minuten
Regie   Hanno Olderdissen
Drehbuch.  Clemente Ferndandez-Gil
Mit
Christoph Maria Herbst, Nico Randel, Sesede Terziyan, Tristan Seith, Martin Brambach, Michael Ostrowski, Tanja Schleiff, Rudolf Kowalski u.a.

Abdruck aus dem Presseheft