Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Oktober 2025, Teil 7
Redaktion
Rom/Paris (Weltexpresso) - Was war die Inspiration für REFLECTION IN A DEAD DIAMOND?
Alles begann, als wir 2010 Monte Hellmans ROAD TO NOWHERE mit Fabio Testi in der Hauptrolle sahen. Er erinnerte uns an Sean Connery und trug einen weißen Anzug, der uns an Dirk Bogarde in Viscontis TOD IN VENEDIG erinnerte. Da sagten wir uns: „Warum nicht ein Universum schaffen, das zwei gegensätzliche Filme wie James Bond und TOD IN VENEDIG verbindet und sehen, was passiert?“ Im Laufe der Jahre haben die Ausstellungen, die wir gesehen haben, die Welt, in der wir leben, die Orte, die wir kennen, usw. dieses Universum genährt... Schließlich gaben uns Christophe Honorés Inszenierung der Oper „La Tosca“ und sein unkonventioneller Ansatz für einen großen Klassiker den Anstoß zum Schreiben.
Können Sie für diejenigen, die mit einigen der europäischen Filme oder Comics, auf denen ein Teil des Ausgangsmaterials basiert, überhaupt nicht vertraut sind, erklären, was daran am interessantesten und spezifischsten ist?
Die Welt der Superhelden und von James Bond ist hauptsächlich durch die amerikanische Brille bekannt. Aber all diese Figuren gab es auch im Italien der 1960er Jahre. Einerseits mit dem Genre der Eurospy-Filme: billigen, poppigen europäischen James-Bond-Imitaten, andererseits mit „Fumetti Neri“: Comics für Erwachsene wie „Diabolik“, in denen die Bösewichte in einer Grauzone weit entfernt vom „Gut/Böse“-Ansatz angesiedelt sind. Es sind diese Gedanken, die uns heute eine gewisse Frische im Umgang mit diesem Universum verleihen und es uns ermöglicht haben, einige Themen wie Nostalgie, den Verlauf der Zeit und die soziokulturellen Veränderungen dazwischen zu erforschen.
Diese damals populären Filme nutzten oft Tricks aus der Op-Art (Kunst der optischen Täuschung). Wir fanden es daher sehr passend, dieses Thema auch visuell aufzugreifen, indem wir Elemente aus der Op-Art integrierten, ähnlich wie wir es mit dem Jugendstil in DER TOD WEINT ROTE TRÄNEN und dem Nouveau Réalisme in LEICHEN UNTER BRENNENDER SONNE gemacht haben.
Sie haben in Ihrer Karriere als Filmemacher sehr unterschiedliche Genres erkundet, verfügen jedoch über eine ganz eigene Sprache, die sich durch Ihr gesamtes Werk zieht. Gibt es einen Grund dafür, dass sie keinen „geradlinigen“ Ansatz verfolgen?
Wir haben uns für einen „weniger geradlinigen“ Ansatz entschieden als klassische Superhelden- oder James-Bond-Filme, da es sich hierbei um weltweit bekannte Archetypen handelt, sodass wir davon abweichen konnten und etwas anderes bieten wollten. Wir versuchen den Nervenkitzel beim erstmaligen Ansehen eines „geradlinigen“ Erzählfilms mit einer zusätzlichen Dimension der Grauzonen und Zweifel
zu verbinden, die es dem Zuschauer ermöglicht bei jeder Sichtung etwas neues zu entdecken. Wir haben uns für das „stereoskopische Schreiben“ entschieden, das typisch für den Regisseur und Drehbuchautor Satoshi Kon (PERFECT BLUE, MILLENNIUM ACTRESS) ist, da es durch die Entwicklung der Geschichte mit verschiedenen thematischen Schichten eine Illusion von narrativem 3D vermittelt.
Das Prinzip besteht darin, die Geschichte mit verschiedenen Themen- und Erzählebenen zu schreiben, um eine Relief-Effekt zu erzielen, der mit der Wahrnehmung der Figur und des Zuschauers spielt und es so ermöglicht, die Welt im Kopf des Protagonisten organisch zu formen, zusammen mit dem Verlust seiner Orientierung darin. Die Erzählung wird so zu einem „facettenreichen“ Diamanten mit seinen vielfältigen Gitternetzen kaleidoskopischer Interpretationen.
Wie kam es zu der Entscheidung, Fabio Testi in der Hauptrolle des älteren John D. zu besetzen?
Fabio war eine der Inspirationen, nachdem wir Monte Hellmans Film gesehen hatten. Die Tatsache, dass er sowohl Rollen in Autorenfilmen wie DER GARTEN DER FINZI CONTINI (1970) oder Żuławskis NACHTBLENDE (1975) als auch Exploitation-Filmen wie DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL (1972) und RACKET (1976) hatte, ermöglichte uns, diese Art „gegensätzliches“ Kino zu machen, das wir lieben.
Was ist mit Yannick Renier, der den jungen John spielt?
Die Rolle des jungen John war am schwersten zu besetzen. Man kann sich diese Art von Rolle sehr gut als englischsprachigen Charakter vorstellen, aber in der französischen Welt ist es nicht so leicht, jemanden dafür zu finden. Wir haben Yannick getroffen, als er gerade für die Rolle eines Schwerkranken extrem viel Gewicht verloren hatte. Sein Schauspiel passte genau zu dem, was wir suchten, aber er sah einfach sehr schwach aus. Er sagte aber, wir könnten ihm vertrauen und tatsächlich hat er es geschafft, in 4 Monaten 10 Kilo Muskelmasse aufzubauen. Wir waren schwer beeindruckt.
Wie sieht es mit den anderen Casting-Entscheidungen aus. Was macht Maria de Medeiros und die weiteren Darstellerinnen so besonders?
Für die Rolle der Serpentik suchten wir nach einer Darstellerin, die die Rolle verkörperte, aber auch die Stunts selbst erledigen konnte. Bereits seit 2002 sind wir Fans des zeitgenössischen Tanzens seit wir die
Show „Blush“ der belgischen Tanzgruppe „Ultima Vez“ gesehen haben. Eine Tänzerin faszinierte uns ganz besonders, aber wir wussten nicht, wie sie hieß. Während der Vorbereitung auf den Film trafen wir
Wim Vandekeybus, den Choreographen von „Ultima Vez“ im Supermarkt. Wir sprachen ihn an und beschrieben ihm die Tänzerin, die wir meinten und er zeigte uns Photos auf dem Handy: Es war Thi-Mai
Nguyen und wir hatten unser Serpentik gefunden.
Was Maria de Medeiros betrifft, suchten wir nach einer auffälligen, zeitlosen Schauspielerin, die zwischen den beiden Erzählepochen des Films wechseln und ein Gefühl der Unruhe vermitteln konnte, Pierre Foulon, der Produzent des Films, kannte sie und als wir die aktuellen Fotos von ihr sahen, wussten wir, dass sie genau die ist, nach der wir suchen.
Ihre Geschichten spielen oft in ganz bestimmten Umgebungen. Diesmal geht es um die sonnige Südküste Frankreichs. Was bedeutet diese Region für Sie im Bezug auf diese spezielle Genre?
Die Côte d’Azur ist ein Ort der Illusionen und des Scheins, was sie zum idealen Schauplatz macht. In den 60er Jahren nutzten Eurospy-Filme und andere italienische B-Filme den Glamour und Luxus, um das
Publikum zum Träumen zu bringen und ihren Geschichten Prestige zu verleihen. Bruno stammt ursprünglich von dort und dieser Film war für uns auch eine Möglichkeit, Orte, die wir kennen, wieder zu besuchen und sie in unsere Fantasie zu integrieren. Die Riviera ist eine der Hauptfiguren des Films und die Handlung wurde mit Blick darauf geschrieben.
REGIEDUO HÉLÈNE CATTET UND BRUNO FORZANI
Das französische Regie-Ehepaar Hélène Cattet und Bruno Forzani lebt in Brüssel und arbeitet seit dem Jahr 2000 zusammen. Nachdem sie mehrere selbstproduzierte Kurzfilme gedreht hatten, feierten sie mit AMER – DIE DUNKLE SEITE DER TRÄUME (2009) ihr Spielfilmdebüt. 2013 erschien der Nachfolger DER TOD WEINT ROTE TRÄNEN. Im gleichen Jahr steuerten sie den Kurzfilm „O is for Orgasm“ zur amerikanischen Horroranthologie ABC’S OF DEATH bei, der 26 aufstrebende Genre-Regisseure zusammenbrachte.
2017 drehten sie LEICHEN UNTER BRENNENDER SONNE, der auf einem Buch der französischen Kriminalautoren Jean-Patrick Manchette und Jean-Pierre Bastid basiert.
REFLECTION IN A DEAD DIAMOND ist ihr vierter Spielfilm.
Foto:
© Verleih
Info:
„Reflet dans un diamant mort“, B, L, It, F 2025, 87 Minuten, Regie / Buch Hélène Cattet & Bruno Forzani, KameraManu Dacosse, Montage Bernard Beets mit Fabio Testi, Yannick Renier, Thi Mai Nguyen und anderen
Abdruck aus dem Presseheft