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Kategorie: Film & Fernsehen

holgerbb59. Internationale Hofer Filmtage 2025

Holger Twelle

Hof (Weltexpresso) - 58 Jahre lang waren die renommierten Hofer Filmtage nur für ein erwachsenes Publikum zugänglich, insofern die dort präsentierten Filme nicht bereits einen deutschen Verleih hatten und von der FSK geprüft worden waren. Aktuelle deutschspra chige Filme, die auch für ein junges Publikum geeignet waren, gab es hingegen schon sehr häufig, zumal gerade junge Filmschaffende sich in ihren ersten Filmen gerne auf eigene Erfahrungen als Kinder und Jugendliche beziehen.


Aus den 153 Kurz- und Langfilmen in diesem Jahr, davon viele Welt- und Europapremieren sowie 44 Langfilmen als Deutschlandpremiere aus mehr als 30 Ländern gab es mit der neu geschaffenen und an den Jugendjargon ausgerichteten Sektion „#of NEXT“ nun erstmals gleich sieben Vorstellungen mit Langfilmen und jeweiligem Kurzfilm für die junge Generation. Sie hatten eine FSK-Freigabe ab 12 oder 16 Jahren erhalten. Darunter befanden sich auch die bereits im Verleih befindliche Beziehungskomödie „Zusammen ist man weniger getrennt“ von Alexander Conrads und der Dokumentarfilm „Manche mögens falsch“ von Stanislaw Mucha (VR China, D 2024) über die schillernde Kunstszene für nachgemachte Werke der Bildenden Kunst im südchinesischen Dafen. In beiden Filmen standen im Unterschied zu den im Folgenden genannten allerdings nicht Jugendliche und ihre Lebenswelten im Mittelpunkt.

 

Gleich zwei der ausgewählten Filme beschäftigen sich mit der Digitalisierung, mit virtuellen Welten und einhergehendem Kontrollverlust. „Cyberpunk Romance“ von Joschka Douma spielt in einer nahen Zukunft, in der sich menschliche Gehirne per Bioport mit Computern und mit anderen Gehirnen verbinden lassen. Ähnlich wie seinerzeit in „Matrix“ wird das Erlernen von Wissen und neuen Fähigkeiten damit zum Kinderspiel, wenn auch um den Preis der Abhängigkeit von einem Megakonzern. Eine Gruppe von Neurohackern probiert diese Techniken lustvoll aus, bis etwas schief läuft und einer von ihnen nicht mehr in die Realität zurückfindet. Seine Freundin, die als einzige in der Gruppe ihre Vorbehalte gegenüber der Technik hatte, steht nun vor der Wahl, ob sie sich selbst einen Bioport legt, um ihn zu retten. Sind es bei Douma eher diffuse Ängste vor der uneingeschränkten Kontrolle und Machtausübung gegenüber dem Individuum durch einen kapitalistisch orientierten Konzern, entwirft Silke Engler in „Sunny“ ein völlig anderes Szenario, wobei die Natur das Ende der Menschheit einleiten könnte. Auch in ihrem Film haben sich fast alle Menschen bereits einen Mikrochip einpflanzen lassen, der die Funktion heutiger Smartphones übertrifft und uneingeschränkte Kommunikation verspricht. Auch ein junges Paar entscheidet sich für diesen Schritt, kurz bevor als eine gigantische Sonneneruption die gesamte Elektronik auf der Erde vernichtet und die Menschen durch den eingepflanzten Mikrochip sterben oder zu Zombies werden. Da sich im Gesamtprogramm mit „Der totale Traum“ von Roman Toulany noch ein weiterer Film mit dystopischem Zukunftsszenario findet, deutet diese Skepsis gegenüber neuen Techniken fast schon auf einen kleinen Trend im aktuellen deutschen Filmschaffen hin.

 

Stärker in der Gegenwart beziehungsweise der jüngeren Vergangenheit verankert sind dagegen zwei sehenswerte Filme mit privatem und familiärem Kontext. Aus der Perspektive zweier minderjähriger Mädchen und ihren ambivalenten Gefühlen statt aus der von Erwachsenen erzählt, geht es in „When we were Sisters“ von Lisa Brühlmann (CH/GR 2024) um das Scheitern einer Patchwork-Familie in spe. Gemeinsam verbringt die 15-jährige Valeska mit ihrer ausgeflippten Mutter und deren neuem Freund samt dessen wohlbehüteter Tochter die Ferien auf einer griechischen Insel. Valeska, durch negative Erfahrungen frühreif, aber völlig im Unreinen mit sich und ihren gewaltsam unterdrückten Gefühlen, sehnt sich nach einer funktionierenden Familie, auch wenn sie mit ihrer zukünftigen Stiefschwester zunächst nur wenig gemeinsam hat. Während die beiden dennoch langsam zueinander finden, sogar zu Freundinnen werden und sich als Schwestern begreifen, beginnen die unterschwelligen Konflikte zwischen den beiden Elternteilen zu eskalieren, bis es zum offenen Bruch kommt und jede Hoffnung auf die Fortsetzung der Urlaubsidylle zunichte macht.

Eine besondere Erwähnung ist auch „Louisa“ von Julia Roesler wert. Es ist selten genug, dass der leider gar nicht seltene sexuelle Missbrauch von behinderten Menschen im Kinofilm so klar und deutlich thematisiert wird. Auch die Produktionsweise lässt viel Mut und große Sensibilität erkennen. Die Hauptrollen wurden paritätisch mit Nichtbehinderten und einer aktiven Theatergruppe aus Behinderten besetzt, die sich ein Stück weit selbst spielen und auch deswegen besonders authentisch wirken. Im Mittelpunkt steht die 20-jährige Louisa, die in einer betreuten Wohngruppe lebt: ein lebensfroher Mensch, der bei allen beliebt ist und sich plötzlich ohne ersichtlichen Grund immer weiter von der Gemeinschaft zurückzieht. Später stellt sich heraus, dass Louisa schwanger ist. Der Vater des Kindes bleibt lange unerkannt, zumal Louisa, die sich wie alle ihre Freunde nach Liebe und Zuneigung sehnt, selbst nicht genau weiß, was ihr geschehen und angetan worden ist. Dieser dicht, einfühlsam und sehr eindringlich erzählte Film wurde verdientermaßen in Hof mit dem Förderpreis Deutsches Kinos ausgezeichnet und erhielt zusätzlich den Bild-Kunst-Förderpreis für das beste Szenenbild, das der Geschichte zusätzliche Tiefe gibt.

 

Natürlich gibt es zahlreiche Gründe, warum eine FSK-Freigabe vor einem Festival noch möglich ist oder nicht. Schön wäre es gleichwohl gewesen, wenn zwei weitere Filme der neuen Sektion eine wichtige thematische Erweiterung gegeben hätten. Beide deutschen Produktionen greifen rassistische Strukturen und rechtsextreme Gesinnung in Deutschland in Bezug auf die junge Generation auf. Und beiden gelingt es auf sehr unterschiedliche Weise, sich in der Darstellung ihrer Hauptfiguren von gängigen Klischees und Stereotypen zu befreien. „Doppelherz“ von Christian Koch spielt in Thüringen, wo Menschen mit deutlich sichtbarem Migrationshintergrund es zunehmend schwerer haben, sich frei und ungezwungen in der Öffentlichkeit zu bewegen. So auch die in Deutschland geborene Liza, die allein ihres Aussehens wegen in der U-Bahn von drei jungen Frauen angegriffen und niedergeschlagen wird. Was genau passierte, erfährt man dramaturgisch geschickt erst am Ende des Films. Zu Beginn feiern die drei Jugendlichen auf einer Autofahrt ihre vermeintliche Heldentat. Dann kommt es zu einem Unfall, den nur eine von ihnen überlebt. Vanessa landet im selben Krankenhaus wie Liza, erkennt ihr Opfer aber nicht gleich und freundet sich mit Liza an, die herausfinden möchte, warum sie krankenhausreif geschlagen wurde.

Noch konsequenter verweigert sich Tor Iben in seinem Film „Hier war ich noch nie“ der eindeutigen Charakterisierung seiner Hauptfigur. Entstanden nach einer wahren Begebenheit beginnt der Film wie eine Coming-of-Age-Geschichte über einen türkischstämmigen jungen Mann, der sorglos in den Tag hineinlebt und nicht weiß, wie er sein zukünftiges Leben gestalten soll. Selbst seine sexuelle Orientierung gibt dem Publikum Rätsel auf, denn obwohl er auch an einer queeren Theatergruppe mitwirkt, deutet nichts auf seine besondere Affinität zu dieser Gruppierung hin. Sein Leben gerät plötzlich aus den Fugen, als er auf offener Straße angeschossen wird, ohne dass Täter und Motiv ihm bekannt und begreifbar werden.

Die Idee, dem in die Jahre gekommenen Festival mit der Sektion „#of NEXT“ einer neuen Generation von Filmfans den Zutritt zu ermöglichen, ist in jedem Fall begrüßenswert. Es bleibt zu hoffen, dass diese beim 60. Jubiläum im kommenden Jahr mutig weitergeführt und sogar noch erweitert wird.


Foto:
Plakatmotiv der Hofer Filmtage 2025