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Kategorie: Film & Fernsehen

GespärchVERSO SUD. 31. Festival des italienischen Films im Kino des Deutschen Filminstituts und Filmmuseums (DFF) Frankfurt, Teil 2


Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Man glaubt es kaum. Schon wieder ein Jahr herum. Spätestens beim neuen VERSO SUD Festival, dieses Jahr tatsächlich zum 31. Mal, wird man daran erinnert und auch, daß bestimmte dieser italienischen Filme noch bis Ende Dezember weiterlaufen, was man nutzen sollte, denn in den deutschen Kinos sind sie selten anzutreffen, anders als noch im vergangenen Jahrhundert, wo italienische Filme einfach für gutes Kino standen. Und um es offen zu sagen, es liegt nicht an der mangelnden Qualität italienischer Filmkultur, dass wir heute hauptsächlich amerikanische Filme sehen, die paar englischen, französischen und deutschen Filme einbegriffen.

 

andreasBildschirmfoto 2025 11 23 um 16.41.38So ist einmal dem hiesigen Andreas Beilharz  (Foto rechts) zu danken, Mitarbeiter des DFF, der mit den italienischen Kollegen, unter denen immer Franco Montini aus Rom als Gesprächsleiter nach den Filmen die Hauptrolle spielt, auch diesmal ein interessantes Programm zusammengestellt hat, bei dem es einem so geht, wie bei allen guten Sachen: kaum hat man Blut geleckt, hat gelesen und im tollen Programmheft  (links mit dem Foto aus dem heutigen Film) starke Filme gefunden, will man eigentlich alles sehen, was angeboten wird. Was nicht geht. Normalerweise. Aber es ist schön, diese Wünsche zu haben. Und wer überhaupt nicht dabei sein kann, sollte sich das Programmheft von VERSO SUD 2025 besorgen, das es auch digital gibt, denn allein das Lesen macht einen klüger und glücklich auch. So viele Themen, so viele menschliche Schicksale und immer wieder anders und von so vielen Schauspielern dargeboten.

 


montiniregisseursohnNun sind wir aber am Anfang. Und es beginnt immer mit den Eröffnungsreden, 2. Filmdie diesmal kürzer, prägnanter waren als sonst! Es eröffneten Andreas Beilharz, Massimo Darchini, Italienischer Generalkonsul in Frankfurt, Franco Montini und der Sohn des Regisseurs, dem die Hommage gilt, die jeweils, wie in den letzten Jahren von Marina Grones lebendig übersetzt wurden (oben und Titelbild) , am zweiten Abend begrüßte darüberhinaus Jolanda Lamberti, Direktorin des Italienischen Kulturinstituts in Köln (rechts) .


Und schon ging es los mit einem ausgesprochen vielschichtigen Film, der einen rühren mußte, denn es geht um ganz grundsätzliche Dinge, die man niemandem wünscht, wie hier, wo der neunjährige Massimo (Valerio Mastandrea), der wie ein Fünfjähriger wirkt, von einem Tag auf den anderen seine Mutter verliert, ohne daß er weiß, was passiert ist, wo sie ist und am Schluß stellt sich heraus, dass eine Stimme in ihm die Wahrheit immer wußte. Doch das ist dreißig-vierzig Jahre später und so erleben wir in Rückblenden hin und her, wie das Leben von Massimo unter einem solchen Hammer des plötzlichen Mutterverlustes verlief. Warum das gerade jetzt geschieht, lernen wir auch zu verstehen, denn da gibt es mit Elisa (Bérénice Bejo) die Frau, der er sich nahe fühlt und spürt, dass er etwas zu klären hat, ehe er fähig ist, sich voll auf sie einzulassen, auf die Frau, auf die Liebe, auf das Leben.

 

träum was mutterDie Szenen, in denen wir das Kind mit seiner Mutter erleben, sind deshalb so anrührend, weil es eine Mutter ist, wie Kinder sie sich wünschen! Sie tanzt mit ihm, das ist nicht Rock'n Roll, das sind die Töne und Bewegungen von Twist, erkennen das junge Zuschauer heute noch? Auf jeden Fall ist da eine Lebensfreude und Bewegungslust, ein Versteckspielen mit dem Kind, überhaupt eine Einheit zwischen Mutter und Kind, verbunden mit einem Ambiente, wie es halt in bürgerlichen Wohnzimmern aussah in den Fünfziger/Sechziger Jahren, eine wahre Augenlust kommt also dazu, zu diesem tiefen Gefühl von Verbundenheit von Mutter und Sohn.

 


filmverleihDie Gegenwart dagegen zeigt einen durchaus erfolgreichen Journalisten Massimo, der aber durch eine seltsame Distanziertheit gegenüber seiner Umwelt auffällt. Daß er nicht abgelehnt wird, spürt man. Das ist nicht das Problem. Aber er hat eines mit sich selber.Das wird in vielen Szenen deutlich, sei es im Kreis der Verwandten oder der Freunde.  Und da er endlich in einem anderen Menschen, in Elisa ein wirkliches Gegenüber spürt, wird es höchste Zeit, daß er das Unbewältigte in sich selbst angeht. 

Daß der 131 Minuten lange Film von 2016 einem Roman folgt, liest man dann, aber auch, dass der Film immer dann besonders einprägsam wird, wenn Regisseur Marco Bellocchio ganz eigene Szenen dazuerfindet. Sein Sohn, Pier Giorgio Bellocchio, der beim anschließenden Gespräch, das Franco Montini mit ihrem führt, Rede und Antwort steht – der 86jährige Vater ist gerade bei Dreharbeiten unabkömmlich! - , wird die Fähigkeit des Vaters Vergangenheit und Gegenwart in Beziehung zueinander zu setzen und dies in Bildern zeigen zu können, als künstlerisches Verdienst seines Vaters bezeichnen. Und so sind es wirklich auftauchende Figuren, deren Geschichte man schnell mitbekommt, die dem Film über das Mutter-Sohn-Thema hinaus eine bereichernde menschliche Ebene geben. Das Verhältnis zum Vater ist überaus wichtig, denn wenn Mutter und Sohn so zusammenhalten, hat das meist auch mit Distanz zum Vater zu tun, auf beiden Seiten: der der Mutter und deshalb auch der des Sohnes. Eine andere Ebene stellt die Wut des Kindes, des Erwachsenen dar, die aufgearbeitet werden muß und kann, oder die vielen Gedanken und Gespräche zum Tod. Es ist eine Binsenweisheit, dass je stärker das Leben pulsiert, der Gedanke an den Tod sich aufdrängt und eine Antwort verlangt. Eben auch der Tod der anderen, der geliebten Menschen.

 

Der Film ist nie sentimental, dabei handelt es sich um Themen, die leicht dazu verleiten. Er hält eine Spannung zwischen Leid und Lebensfreunde, weil ohne das eine das andere nicht zu haben ist. Dazu aber muß man selber etwas tun, das lernt – zum Nachahmen empfohlen – hier im Film Massimo. Spät zwar, aber nicht zu spät.

 

Im Gespräch danach wird Sohn Bellocchio wirklich Nettes über seinen Vater sagen, Informatives auch und dann, das bleibt im Gedächtnis, warum er, der sowohl Produzent wie auch Schauspieler ist, er kommt auch in diesem Film vor!, mit seinem Vater nur noch als Schauspieler arbeitet, nicht mehr als Produzent, wobei er hinzufügt, dass er ein erfolgreicher Produzent ist, für Regisseure und Filme wie die seines Vaters „oder bessere“.



Fotos:
© Redaktion

Info:
ItalienFrankreich
2016
Original-Titel: Fai bei sogni
Filmstart in Deutschland: 17.08.2017
R: Marco Bellocchio
B: Valia Santella, Edoardo Albinati, Marco Bellocchio
P: Beppe CaschettoK: Daniele Ciprì
Sch: Francesca Calvelli
M: Carlo Crivelli
A: Marco Dentici
V: Movienet Film
L:134 Min
FSK: 12
D: Valerio Mastandrea, Bérénice Bejo, Guido Caprino, Nicolò Cabras, Dario Dal Pero, Barbara Ronchi, Emanuelle Devos

https://www.dff.film/kino/kinoprogramm/filmreihen-specials-november-2025/verso-sud-31/