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Kategorie: Film & Fernsehen

 Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Februar 2016, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es gibt Filme, die einen einfach beglücken, aus denen man besser und stärker herauskommt, als man hineinging, weil einem auf der Leinwand eine Kraft begegnete, die sich im wirklichen Leben einfach fortsetzen muß, junge türkische Mädchen, die sich auf ihre Abrichtung als Ehefrauen auflehnen – und das dazu in herrlichen Bildern.

 

Regisseurin Deniz Gamze Ergüven gelingt zudem, so schwierige Situationen wie die Kasernierung junger Mädchen auf ihre Lebensrolle in einer Zwangsehe hin in einer solchen Leichtigkeit uns vor Augen zu zaubern, daß wir staunend der Geschichte folgen, die wir von den Bildern und dem erst einmal großbürgerlichen Ambiente eher in Frankreich angesiedelt hätten, bis wir merken, es geht um die Türkei. Daß es sich bei diesem Film für die türkische Regisseurin zudem um ein Debüt in Langfilmregie handelt, ist dem flüssigen, bildgewaltigen, ja spannenden Film in keiner Sekunde anzumerken.

 

Wir werden erst einmal eingefangen in pures Lebensglück junger Menschen, die am letzten Schultag vor den Ferien am Meer herumtollen und im Wasser Reiterkämpfe veranstalten, wie sie wahrscheinlich jeder aus der Kindheit kennt: auf den Schultern eines anderen sitzen und das Gegenüber ins Wasser zu stoßen versuchen. Für die züchtigen, rigide gewordenen und die Männerideologie lebenden älteren Frauen des Ortes ein Sündenbabel, was sich da abspielt, denn die Schultern gehören fünf Jungen und auf ihnen sitzen die fünf Mädchen dieser Familie, deren Eltern verunglückt sind und die bei der Großmutter und einem Onkel aufwachsen.

 

Auf jeden Fall wird aus dem puren und kraftvollen Glück im Wasser der Anlaß, warum es schlagartig mit der Freiheit dieser jungen Mädchen vorbei ist. Eine Nachbarin – ätzend in ihrer Selbstgerechtigkeit und Übernahme männlicher Herrschervorgaben im Verleugnen ihres Geschlechts durch die kuttenartige Gewandung und salbungsvollen Worte – spricht der Großmutter davon, die Mädchen hätten ihre Schenkel und Scham an den Köpfen der Jungens gerieben, es hurenhaft getrieben. Eine tolle Szene. Selten kann man so direkt die Freudsche Erkenntnis von Verdrängung erleben. All das, was diese Frau nicht erlebt, legt sie in die Schenkel und Scham dieser jungen Mädchen, die ganz anderes zu tun haben und empfinden, als Geschlechtsakte. So wird pure Unschuld zu etwas Schuldigem.

 

Solche Szenen, in denen wie ein Hall die Motive der anderen bei den jungen Dingern ankommen, gibt es öfter und alle sprechen für eine Filmkunst, die man einer 1978 in Ankara geborenen Türkin, die all das erlebt hat, nur deshalb zutraut, weil sie ihre Ausbildung durch französische Regisseure erhielt. Der Film ist aber überhaupt keine Adaption irgendeiner Handschrift eines anderen, sondern wirkt durch kraftvolle Sinnlichkeit, die diese fünf Mädchen im körperlichen und seelischen Miteinander leben. Sie sind ja sowieso durch ihr elternloses Schicksal stärker auf ihre Schwesternrollen geworfen und das Hinreißende ist dieses auch körperliche Miteinander sein, wo Haut, wo Berührung, wo das Kreuz- und Querliegen an einen Wurf junger Tiere erinnert, es steckt in den Bildern so viel Kreatürliches, daß es einfach eine Freude ist.

 

Und wie ein Schock trifft es uns Zuschauer dann genauso wie die Mädchen, was die Folge der Verleumdung durch die Nachbarin ist: vorbei mit Freiheit und Schule. Die Mädels werden in diese Kutten gesteckt, von der Schule abgemeldet, zu Hause kaserniert, was wirklich einem Gefängnis entspricht. Nichts wie aus dem Hause, denkt sich die doch eigentlich die Mädchen liebende Großmutter, Ehemänner suchen, denn nur die Ehe ist Zweck weiblichen Daseins.

 

Der Trick des Films besteht nun darin, mit der Jüngsten die Person zu haben, aus deren Perspektive wir das alles beobachten. Warum die Eingangsszenen auch die Verabschiedung einer beliebten jungen Lehrerin bringen, die den Mädchen – darunter unsere junge Protagonistin , die Lale heißt– von einem freien Leben künden, weshalb sie auch nach Istanbul zieht, wo das leichter als in der Provinz ist, warum diese Eingangsszenen so wichtig sind, das zeigt dann der Schluß, den wir nicht verraten wollen.

 

Dazwischen liegen – immer aus der Beobachtung von Lale – die Abrichtungsversuche der Großmutter, die vielfältig sind. Aus den Schulmädchen sollen zukünftige Ehefrauen werden mit allen häuslichen Tugenden wie Kochen, Schneidern, Putzen und dem gesellschaftlichen Verhalten, das es braucht, bei einer Brautschau eine gute Figur zu machen und vor allem die Anbahnungsgespräche einer Ehe durch die jeweiligen Eltern durchzustehen, bzw. in ihnen so ekelhaft zu erscheinen, daß potentielle Schwiegereltern und Ehemann fluchtartig das Haus verlassen. Es hilft nur nichts, der nächste wird kommen.

 

Geschickt reiht das Drehbuch nun unterschiedliche Konstellationen aneinander. Die erste hat Glück. Sie ist in jemanden verliebt, der auch seitens seiner Eltern um ihre Hand anhalten darf und so erleben die anderen vier Mädchen Ehe erst einmal als etwas Spannendes, was glücklich machen kann. Aber längst wird dies als Ausnahme durchschaubar. Nie macht sich die Regisseurin dabei über dieses Instrument der Zwangsehe in dem Sinn lustig, daß wir darüber wie in einer Komödie lachen könnten. Zwar gibt es diese lächerlichen Situationen, aber wir wissen um die Konsequenz, die solche Ehen für diese jungen Mädchen bedeuten und solidarisieren uns in ihrer Abwehr. Die führt dann für die Unglücklichste zur Einzelhaft.

 

Die Dezenz der Regisseurin, die eben trotz solcher deftigen Vorlagen nicht mit dem Holzhammer zuschlägt, sondern das Weiterdenken des Zuschauers einfordert, zeigen auch die Szenen, in denen man nur beiläufig mitbekommt, wie der Onkel, der tagsüber den sittenstrengen Pascha gibt, sich des Nachts zu einer der Nichten schleicht und ...sie mißbraucht, führt der Zuschauer aus, was am Verhalten des jungen Mädchens auch zu spüren ist.

 

Die Jüngste rettet sich in eine ungewisse Zukunft. Wie aber solche Verhältnisse in der Türkei weitergehen können, wenn junge Mädchen nicht mehr wie junge Pferde gezähmt werden können, da sieht der Zuschauer eher einen Lichtstreifen am Horizont. Mehr von solchen Mädchen und der Spuk ist vorbei.