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Kategorie: Film & Fernsehen

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. Mai 2016, Teil 8

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) – Laura Lackmann ist für Filmkundige längst ein gesetzter Name, auch wenn MÄNGELEXEMPLAR ihr erster Langfilm ist. Der normale Zuschauer bekommt viel zu wenig die Vielfalt von Filmen, von kurzen, von Dokumentarfilmen etc. mit, weshalb wir darauf verweisen, daß Laura Lackmann einerseits erfahren und anerkennt und dennoch ein Langfilmdebüt hat. Darum wird nachgefragt. Die Redaktion


MÄNGELEXEMPLAR IST DEIN ERSTER LANGFILM – UND GLEICH EINE BESTSELLERVERFILMUNG. HATTEST DU RESPEKT DAVOR?

Auf jeden Fall! Als Zuschauer einer Buchadaption erwartet man ja immer, dass man den Roman in den DVD-Player schiebt und ihn sich dann einfach eins zu eins als Film angucken kann.

Man will das Kopfkino sehen, das man sich vorher zusammengesponnen hat, und ist enttäuscht wenn das nicht so ist. Aber es ist eben nichts so schön wie die eigene Phantasie. Deswegen glaube ich persönlich natürlich, dass mein Film eine sehr gute Interpretation von Sarahs Buch ist.
 
Doch es ist auch der Film geworden, den ich beim Lesen vor Augen hatte. Es gibt noch hunderttausend andere Kopfkinofilme von den Lesern, die „Mängelexemplar“ zum Bestseller gemacht haben. Bestimmt sind da auch ein paar interessante Blockbuster dabei.


WIE SCHWER WAR ES, DEN ROMAN FÜR DIE LEINWAND ZU ADAPTIEREN?

Auf den ersten Blick schien es gar nicht schwer zu sein. Das Buch selbst liest sich schon wie ein Film. Doch wenn man es aufbricht, bleibt nicht viel übrig, was einem für einen Film weiterhilft. Es gibt sehr viel inneren Dialog, viele Zustandsbeschreibungen, die meisten Figuren tauchen auf und verschwinden wieder, ohne eine eigene Geschichte zu haben.


DER FILM UNTERSCHEIDET SICH DAHER ERHEBLICH VON DER LITERARISCHEN VORLAGE.

Ein Unterhaltungsfilm ist wie ein Fußballspiel. Es gibt bestimmte Regeln, die eingehalten werden müssen, damit es funktioniert und damit die Zuschauer dran bleiben. Es war zum Beispiel klar, dass wir ein paar Figuren zusammenlegen müssen, um dann die übrigen mit mehr Erzählzeit auszubauen. Anna zum Beispiel, die beste Freundin der Hauptfigur Karo, hat im Roman eine Seite. Der Konflikt zwischen der Mutter und der Oma ist nur unterschwellig spürbar. Ich wollte, dass jede Figur, die mit Karo in Beziehung steht, auch sein eigenes Säcklein zu tragen hat. Das macht es spannender, und eine Hauptfigur ist schließlich immer nur das, was der Support aus ihr macht.


WAS EBENFALLS NUR IM FILM VORKOMMT, IST DAS INNERE KIND. WIE KAM ES DAZU?


Während der Recherche zum Buch fand ich ein Selbsthilfebuch mit dem Titel „Aussöhnung mit dem inneren Kind“. Es basiert auf der Annahme, dass jedem Menschen ein Kind innewohnt, das man früher gewesen ist – und dass man idealerweise im Laufe seiner Entwicklung zu einem „erwachsenen Erwachsenen“ wird, der mit seinen kindlichen Anteilen im Einklang lebt.

Im Kern ist das bei Karo wie bei allen anderen Menschen: Sein größter Gegner ist man selbst, also tut man gut daran, sich mit sich selbst zu befreunden. Das wollte ich visualisieren und erfand einen Charakter, mit dem sich Karo auseinandersetzen und vor allem später auch versöhnen kann.




MÄNGELEXEMPLAR SUCHT UND FINDET EINEN FORMAL WIE ERZÄHLERISCH SEHR VERSPIELTEN UND IDEENREICHEN UMGANG MIT DEM THEMA DEPRESSION.

Ja, ich wollte, dass der Film trotz seines Themas nicht abschreckend wirkt, sondern für jeden zugänglich ist. MÄNGELEXEMPLAR ist wie ein Märchen – von außen bunt, wild und phantasievoll – und hat trotzdem einen ernsten Kern. Im Kostüm haben wir zum Beispiel einen Pullover mit einem schwarzen Punkt auf dem Herzen, der mit Karos Trauer wächst. Wenn Karo den Mut verliert, gehen stellvertretend in ganz Berlin die Lichter aus. Vergleicht sie in Gedanken ihren Freund mit ihrem Vater, wechselt Christoph Letkowski mit Detlev Buck die Plätze und Kostüme. Der Film ist reich an Details, die man entdecken kann, und wirkt deswegen manchmal ein bisschen so, als hätte ein Gastgeber zu viel Zeit gehabt, einen Tisch zu decken.




WAR CLAUDIA EISINGER DIE WUNSCHBESETZUNG FÜR DIE ROLLE DER KARO?

Wir haben mehrere Frauen gecastet, darunter natürlich auch welche, auf die ich besonders gespannt war. Dazu gehörte Claudia Eisinger. Sie ist eine superattraktive Frau, trotzdem ist sie nicht glatt, sondern speziell. Sie hat Kraft, besitzt aber auch etwas Zerbrechliches. Sie spielt großartig klein und hat ein sehr großes komisches Talent.
Die Aufgabe, die sich uns stellte, war: Für Karo einen Menschen zu finden, der es schafft, sie liebenswert zu machen, obwohl sie zeitweise eine nervige, unsympathische Bratze ist. Claudia hat diesen Spagat geschafft und die Rolle so perfekt verkörpert, dass ich mich manchmal wundere, wo Karo ist, wenn ich Claudia treffe.




DER FILM HAT EINEN CAST AUS STARKEN UND CHARISMATISCHEN FRAUEN: NEBEN CLAUDIA EISINGER, KATJA RIEMANN, BARBARA SCHÖNE, LAURA TONKE UND MAREN KROYMANN – DAZU NOCH DIE MÄNNLICHEN HAUPTDARSTELLER CHRISTOPH LETKOWSKI, DETLEV BUCK UND MAXIMILIAN MEYER-BRETSCHNEIDER. WIE WAR ES, MIT SO EINEM NAMHAFTEN ENSEMBLE ZU ARBEITEN?

Großartig und aufregend. Ich hatte ja noch nie einen Langfilm gemacht. Vielleicht war aber auch genau das mein Vorteil: Ich ging viele Sachen eher blauäugig an. Dem Feedback meiner Schauspieler nach zu urteilen, habe ich trotzdem was richtig gemacht, denn ich habe zum Dank viele Geschenke bekommen: Pullover, Schnaps, Blumen und von Claudia sogar einen Ring.




WIE SAH DIE KONKRETE ARBEIT MIT DEN SCHAUSPIELERN AUS?

Wir probten ganz normal die Szenen. Außerdem hatte ich mir so eine Art Blind-Dates überlegt. Das waren Schauspielpaarungen jeweils mit Claudia Eisinger, für die ich mir etwas Überraschendes ausgedacht hatte, damit sie Zeit miteinander verbringen konnten. Maximilian Meyer-Bretschneider und Claudia schickte ich zu einem Tanzkurs, damit sie sich beim Tanzen näherkommen konnten. Laura Tonke und Claudia gingen zum Heidelbeer-Pflücken und kochten aus ihrer Ernte danach gemeinsam Marmelade. Katja Riemann und Claudia schenkte ich Karten für den Berliner Zoo. Und Barbara Schöne und Claudia backten einen Kuchen. Das war besonders witzig.


WARUM?

Weil Barbara und Claudia nicht gerade die größten Köchinnen sind. Ich hatte alle Zutaten besorgt und die Backform und ließ die beiden drei Stunden allein. Als ich zurückkam, war das ganze Haus in tiefe Rauchschwaden gehüllt. Die Butter war irgendwie aus dem Blech gelaufen, und Claudia hatte den halben Teig roh gegessen. Wir haben sehr gelacht. Im Nachhinein waren diese Verabredungen aber in der Tat eine gute Entscheidung. Beim Drehen hatte man das Gefühl, sich zu kennen, weil man zuvor gemeinsam etwas erlebt hatte. So war es für alle einfacher, sich bei der Arbeit zu entspannen. Es gab keine Befindlichkeiten, man konnte ehrlich miteinander sein.


WIEVIEL VERBINDET DICH PERSÖNLICH MIT SARAH KUTTNER UND DER HAUPTFIGUR KARO IN DER GESCHICHTE?

Sarah und ich sind unterschiedliche Menschen, aber wir haben in unserer Biografie bestimmt noch mehr Schnittmengen als unsere kleinen Hunde. In meinem Leben gab es auf jeden Fall viele Parallelen zum Roman.
Was Karo hat, ist vielleicht keine Depression in einem klassisch-klinischen Sinne. Sie leidet wie viele unserer Generation daran, dass sie als Mensch nicht mehr gebraucht wird. Die Mischung aus Ziellosigkeit, zu viel Phantasie und Emotion treibt sie quasi in die Krankheit. Weil sie nicht geliebt wird, liebt sie sich nicht, dabei wird sie nur nicht geliebt, weil sie sich nicht liebt. Am Ende ist es die Trennung von einem Mann, den sie eigentlich nicht liebt, die ihr den Boden unter den Füßen wegreißt. Das ist für viele Frauen schon fast pathologisch.




IST MÄNGELEXEMPLAR FÜR DICH EIN FRAUENFILM?

Ich glaube, dass der Film viele Frauen jeden Alters ansprechen wird, weil er eben von Frauen jeden Alters erzählt. Man sieht drei Generationen von eigensinnigen Weibern zu, mit denen man schon, wenn man eine Mutter oder eine beste Freundin hat, automatisch einiges teilt.
Witzigerweise scheint der Film aber auch 40-jährige Männer sehr anzusprechen, denn ich hab es bei Screenings häufiger erlebt, dass gestandene Typen mit Bart und allem am lautesten gelacht und am dollsten geweint haben. Aber ich glaube eh: Männer sind die neuen Frauen.
Ich hoffe einfach sehr, dass man sich wiederfindet und dass der Film, so wie schon vorher der Roman, vielen Menschen mit depressiver Veranlagung hilft, verstanden zu werden. Es wäre toll, wenn er so ist wie Aspirin in der Hausapotheke.

 


WIE SCHWER IST ES FÜR DICH, DEN FILM – UM ES ETWAS PSYCHOLOGISIEREND AUSZUDRÜCKEN – „LOSZULASSEN“?

Für mich ist MÄNGELEXEMPLAR gar kein Film, sondern eine Person. In der Zeit haben ganz viele Leute um mich herum mehrere Kinder gekriegt. Ich hatte diesen Film, um den ich mich jeden Tag 24 Stunden gekümmert habe. Weil es acht mal neun Monate gedauert hat, ihn fertigzustellen habe ich zu meinen Freunden immer gesagt: Dieser Film ist wie einen Igel gebären, er kommt einfach nicht raus. Für mich ist er wie ein eigenes Wesen, und es ist eine komische Vorstellung für mich, dass er irgendwann in einem Kino um 15 Uhr gezeigt wird – und ich bin nicht dabei.

 

Foto:

Hauptdarstellerin Karo mit ihrem visualitsierten inneren Kind, dessen sie sich entledigen muß, will sie erwachsen werden. Für den Film geschickt von der drehbuchschreiberin und REgisseurin Laura Lackmann hinzuerfunden.

 

Info: Aus dem Presseheft des Filmverleihs