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Kategorie: Film & Fernsehen

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. Januar 2017, Teil 8

Danny Krausz

Berlin (Weltexpresso) – Danny Krausz ist einer der Produzenten. Von diesen hören die Zuschauer in der Regel nichts. Sie sind aber diejenigen, die die Finanzierung von Filmen hinbekommen müssen, also eigentlich die wichtigsten Personen, die Ermöglicher. Die Redaktion



Als ich das Drehbuch zum ersten Mal las (das Ur-Drehbuch, das sich vom fertigen Film nur in Details, nicht grundlegend unterscheidet),  bekam  ich  das  Gefühl,  als  füllten  sich  meine  Lungenflügel mit Helium und ich flöge durch einen schwerelosen Raum, in dem oberflächliche und abgestumpft standardisierte gesellschaftliche Gepflogenheiten kein Gewicht mehr hätten.

Als Filmproduzent habe ich nicht immer das Privileg, eigene Lebensstandpunkte und Haltungen ins Kino übertragen zu dürfen. In dem vorliegenden Fall aber ist es so. Das hat nicht nur, aber auch mit meiner Herkunft zu tun. Auf eine andere Art als Deutschland kämpft mein Heimatland Österreich mit seiner Identitätsfindung: Zusammenbruch der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, Umbruch der Zwischenkriegszeit, Genickbruch durch den Zweiten Weltkrieg – aus einem Jahrhundert der Zusammen-, Um- und Genickbrüche ist  die  Zweite  Republik  entstanden.  Als  dieser  Staat  dann  gerade einmal drei Jahre alt war, kam ich als Sohn einer verwaisten Kärntner Bauerntochter und eines jüdischen Heimkehrers in die Welt. In was für eine Welt!

»Hitler war Deutscher, Beethoven Österreicher!« – das ist nicht nur eine Redensart, sondern daran wollte man sich tatsächlich festhalten. Lautstarke Willkommensgrüße hat es beim Einmarsch Hitlers 1938 natürlich nicht gegeben, die Menschenmassen  auf  dem  Heldenplatz  waren  nur  zufällig  da,  und  wenn es doch einmal schüchterne Zeichen des Zuspruchs  gab, waren sie eben ein Kolorit »der damaligen Zeit«. Mit dieser Doktrin lernte ich denken und verstand schnell: Bei uns  daheim  ist  wohl  alles  anders.  Ein  gefallener  Wehrmachtssoldat – der OPA – und eine Auschwitzüberlebende – die OMA – machen das möglich.


In der Pubertät verzieh ich meinem Vater nie, nach Österreich zurückgekommen zu sein. Und ich stellte damit meine Existenz schon deshalb in Frage, verdanke ich diese doch genau dem Umstand der väterlichen Rückkehr – von dem Glück ganz zu schweigen, eine, nein, die beste Mutter auf der Welt bekommen zu haben. Ich blieb, wie meine Brüder auch, »O.B.«. So stand das in den  Schulzeugnissen:  »Ohne  Bekenntnis«.  Eine  Formulierung, gegen die ich mich bald wehrte, hielt ich sie doch für eine ungeheuerliche Bevormundung durch die Schulautoritäten.  Wer  keine  Religion  hat,  kann  doch  dennoch  ein  Bekenntnis haben. Richtig? Dieser Stachel jedenfalls ließ mich schnell eine Nähe, Solidarität  und  Zuneigung  für  Minderheiten empfinden. Bis heute  hält  dieses  Grundgefühl  an  und  die  Tatsache,  dass  mein  Elternhaus  Toleranz eine große Bedeutung gab, wird auch nicht wirkungslos gewesen sein.


Der kleine Ausflug zu meinen Wurzeln mag das Helium in der Lunge erklären. Er mag die Empfindungen verdeutlichen, mit denen ich das Drehbuch von Chris gelesen habe. Meine filmische Biographie ist stellenweise geprägt von dem Bemühen,  qualitätvolle  Unterhaltung  zu  produzieren.  Ich  versuche, die Dinge ernst zu nehmen und relevante gesellschaftliche Themen aufzugreifen. »Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin«  von  André  Heller  oder  jüngst  »Der  letzte  der  Ungerechten«  von  Claude  Lanzmann  sind  Beispiele  dafür.  Filme,  die  um  Schuld  und  Nicht-Schuld  kreisen  und  dem  
manchmal winzigen Spalt dazwischen.

Traudl  Junge,  die  besagte  Sekretärin  Hitlers,  litt  lebenslang  unter ihrer eigenen Geschichte, qualvoll sogar. Benjamin Murmelstein, von dem Lanzmanns Film handelt, war nahezu sieben Jahre  Adolf  Eichmanns  Untergebener  in  der  »Jüdischen  Gemeinde  Wien«  gewesen.  Manchen  Menschen  half  er  zu  überleben, gleichzeitig musste er andere dafür opfern.


In eine Reihe mit diesen Filmen, die auf ihre Art und in ihrer Zeit durchaus riskant und umstritten waren, weil ihre Protagonisten  moralisch  keine  klare  Verortung  zuließen,  passt  auch  DIE BLUMEN VON GESTERN, ein Film, der die Menschen aus einem Zwischenraum beobachtet und schildert, aus der Besenkammer zwischen den gut ausgeleuchteten Sälen der Schuld und der Nicht-Schuld. Diese Besenkammer wird in Deutschland, das ist mein Eindruck, nicht gerne betreten. Deutschland hat die Schuld auf sich genommen und ist mit ihr umgegangen, anders als Österreich. Gleichzeitig sind damit aber auch blinde Flecken entstanden. Langzeitfolgen. Deutschland hat sich  in  eine  Moralparalyse  verstrickt,  die  eine  reife  und  vor  allem nachhaltige Entwicklung ins Heute vereitelt. Und genau an dieser Stelle setzt die BLUMEN VON GESTERN an.


Ich  finde  das  mutig,  richtig  und  notwendig.  Und  ich  finde,  dass  Menschen  wie  die  Hauptfiguren  Zazie  und  Toto  nach  ihrer Façon leben dürfen. Sie müssen mit ihrem Leid – beide sind sie ja alles andere als unbeschwerte Gemüter – genau so umgehen dürfen, wie sie es hier in dieser Geschichte tun: Verdrängend, ehrlich, leicht verstiegen, manchmal banal, ja albern, egozentrisch, aber auch zugewandt, idealistisch und dennoch  nicht  frei  von  Berechnung.  Sie  suchen  Liebe  und  Zuneigung, sind zu beidem bedingt fähig und straucheln im Leben. Wenn wir ihnen helfen, ein Stück weiterzukommen, dann helfen wir uns auch selbst. Und das ist vielleicht das Äußerste, was von einem politisch grundierten Film erwartet werden  darf.  Nehmen  wir  also  den  Protagonisten  die  Last  des Erbes von den Schultern und legen wir sie in den Schoß wahrer  gesellschaftlicher  Bewältigung!  Ja,  die  kann  im  Kinosessel beginnen, das mag pathetisch klingen, aber daran glaube ich.

Auf dem Wege der Verordnung, der institutionalisierten und schmerzfreien  Bühnemechanik,  wird  jedenfalls  kaum  mehr  etwas geheilt. Der Nobelpreisträger Imre Kertesz hat kurz vor seinem Tod in einem Interview der Wochenzeitung DIE ZEIT
gesagt: »Erst war ich Auschwitz-Insasse, dann habe ich die größten deutschen zivilen Auszeichnungen bekommen, das ist lustig und unerklärbar.« Dass dieses angeblich »Lustige« und  »Unerklärbare«  mit  Bitterkeit  einhergeht  und  zutiefst  paradox  ist,  aber  auch  gelebtes  Leben  ein-  und  Schönheit  nicht  ausschließt,  bringt  dieses  Buch  ebenso  wie  der  Film  auf einen zwingenden Punkt.

Foto: (c)