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Kategorie: Film & Fernsehen

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. Januar 2017, Teil 9

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wir sind gewohnt, in den Filmen die Welten außerhalb von uns selbst zu sehen, ja den ganzen Weltraum im Film zu erobern und abzubilden. Blicken wir nach innen, in uns selbst, sind es höchstens psychotherapeutische oder psychoanalytische Ansätze, die im Film auftauchen. Den Spiritualismus mit der Sonderform des Spiritismus erleben wir selten.



Oliver Assayas, der gerade DIE WOLKEN VON SILS MARIA auf die Leinwand gebracht hatte, ein Film, der uns persönlich außerordentlich gut gefiel und in dem zwei Schauspieler mitspielten, die auch hier dabei sind: Hauptdarstellerin Kristen Stewart und Lars Eidinger, hatte für seinen Film den Regiepreis von Cannes 2016 erhalten. In PERSONAL SHOPPER taucht er nicht nur in den Spiritismus ein, sondern bringt uns in der Suche nach der verlorenen Hälfte von Maureen, der Personal Shopperin, auch in die philosophischen Gefilde von Platon. Dort allerdings war es die geschlechtliche Frage, daß Männer und Frauen ihre verloren gegangene Hälfte im anderen suchen.

Maureen dagegen, die Amerikanerin, die nach Paris kommt in das Haus, wo sie die Kindheit verbrachte, hat vor einem Jahr hier ihren Zwillingsbruder verloren, der an der Krankheit litt, die auch ihren frühen Tod bedeuten kann: ein angeborener, inoperabler Herzfehler. Ein Fehler am Herzen, das ist mehr als eine Metapher. So fängt es schon an. Maureen kann die neue Wirklichkeit nicht akzeptieren und will zumindest auf übersinnlichem Weg mit ihrem Bruder in Kontakt treten. Daß das geht, zeigt ihr ihr Telefon, wo seltsame Anrufe eingehen. Und als sie durch das große dunkle Haus der Kindheit in Paris wandert, da sieht sie buchstäblich Gespenster und wir mit ihr.

Die tiefere Dimension ihres Spiritualismus haben wir nicht im Film erkannt, sondern erst aus den Aussagen des Regisseurs verstanden. Der erläutert – weshalb wir im Folgenden das Interview mit ihm abdrucken – nämlich überzeugend, wie das Stühlerücken und mit den Toten Reden in der Geisterbeschwörung in spiritistischen Sitzung im 19. Jahrhundert eine selbstverständliche Übung war, konnte man doch auch auf einmal über das Telefon mit Leuten weit weg sprechen oder später in den Fernsehübertragungen diese sogar sehen. Die Welt der Technik ist genauso phantastisch wie Gespenster.

Und hätten Leute wie Victor Hugo und die Malerin Hilma af Klint – da fehlt nur noch, lieber Regisseur Olivier Assayas, der Litauer Mikalojus Konstantinas Čiurlionis mit seinen Gemälden – auch noch mitbekommen, welchem Beruf Maureen nachgeht, hätten sie das auch als Übernatürliches wahrgenommen, schließlich schlüpft Maureen als personal shopper in die Haut einer anderen, hier hauptamtlich in die des deutschen Supermodels Kyra, der Nora von Waldstätten ihr interessantes Gesicht leiht. Für diese muß Maureen das Kindermädchen spielen, Sachen holen und wegbringen, aber auch selbsttätig aussuchen und überhaupt einkaufen. Und dann auch noch deren Liebhaber betreuen, den seltsamen Ingo, den Lars Eidinger gibt.

Aber 'betreuen' ist nicht richtig, denn, wenn Ingo in den Räumen der Arbeitgeberin Kyra auftaucht, ist Maureen eher heimlich dort. Denn sie soll die privaten luxuriösen Räume nur zum Holen und Bringen nutzen, aber sie schläft heimlich dort auf dem Bett der Promi und trägt auch heimlich deren Klamotten. Alles Übergänge und Einverleiben von anderen Personen und Entpersönlichen der eigenen Figur. Dazu verleitet eben auch diese Tätigkeit, muß sie doch ständig die Kategorien dieser Kyra verinnerlichen, um für sie auf den Modemessen und Geschäften das Passende zu finden.

Kurzum, dieser Film bringt Dinge zusammen, die auf den ersten Blick Gegensätze sind: die Äußerlichkeiten der Promiwelt gegen die Kontaktaufnahme mit Verstorbenen, beides findet Platz in Maureen – und Platz auf ihrem Handy. Denn dort findet nun eine Kommunikation statt, bei der Maureen nicht weiß, ob der Absender der Texte aus dem Jenseits kommt oder etwa dieser Ingo sein Spiel mit ihr treibt. Gekonnt wird eine Zwischenwelt konstruiert, die absolut wahrscheinlich ist. Sind nicht solche Textnachrichten eigentlich auch etwas Übernatürliches?

Bei diesem sehr sinnlichen Film wird man, was die modernen Kommunikationstechniken angeht, zurückgeworfen auf Übersinnliches. Daß dann aus der Gespenstergeschichte auch noch ein Thriller wird, mit aufregenden Verfolgungsjagden, gibt dem Film eine zusätzliche Dimension. Ganz schön verwirrend jenseitig und diesseits gleichzeitig.

 

Foto: (c) Verleih