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Kategorie: Film & Fernsehen

67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 19

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Wer nach diesem Film noch leichtfertig in Spanien eine Bar betritt, ist selber schuld! Denn das, was doch sonst Entspannung und mindestens ein Gläschen verspricht, entpuppt sich hier als die Hölle. Die Hölle sind wir nämlich selber.


Mit der jungen hübschen Frau beginnt es, die ein Handy mit Foto in der Hand denjenigen sucht, mit dem sie verabredet ist. Sie läuft über die belebte Straße, betritt eine Bar, die sie für lange nicht verlassen wird. Aber erst mal trinkt sie nur was, schaut den jungen Bärtigen an der Theke an, und beschäftigt sich weiterhin mit ihrem Telefon, weil sie keinen Empfang. Wir sagen es gleich. Sie wird übrig bleiben, wird überleben. Und das hat gute Gründe. Die Schauspielerin heißt zudem - nomen est omen - Blanca, die Weiße, die Unschuldige. Wenn wir dann die einzelnen Figuren in der Bar durch deren Verhalten schon mal kennenlernen, ist das nicht Ablenkung, sondern führt ins Zentrum: hier geht es darum, als was sich Menschen unter besonderer Belastung und scheinbarer Ausweglosigkeit entpuppen, ob sie also Belastungen standhalten oder zu etwas werden, war in ihnen schlummert, aber was sie verdrängen wollten.

Nein, kann man gleich sagen. Zum Standhalten und Beibehalten der bisherigen Rolle im Leben. Aber der Reihe nach. Da gibt es die Spielerin, die dickliche, die ihr Glück am Spielautomaten sucht. Die Barbesitzerin ist eine resolute, die gleichzeitig ein Herz für den, wie ein frühchristlicher Eremit auftauchenden Obdachlosen hat, der die Bibelsprüche nicht nur zitiert, sondern als Motto lebt und Israel heißt. Die reine Apokalypse deutet sich an. Doch erst einmal lachen wir über ihn. Weniger über diesen Unterwäschevertreter und den zweiten älteren Mann, einen ehemaligen Polizisten und schon gar nicht über den Bärtigen, den ein Geheimnis umgibt, zumindest verhält er sich so. Fehlt noch der beleibte Kellner, Nacho, dessen Name deshalb so in Erinnerung bleibt, weil ihn alle andauernd rufen.

Doch das sind noch immer nicht alle. Da gibt es  zwei weitere, die man deshalb so schnell vergißt, weil der eine die Bar verläßt, bevor es dort heiß hergehen wird. Und dieser Mann ist gleichzeitig der Anlaß für alles, was dann passiert, denn er wird direkt vor der Bar erschossen. Schock. Der Platz ist sofort leer. Angst. Das schockiert erst mal die Barbesucher, bis einer die Starre löst und auch die Bar verläßt, um draußen nach der Polizei zu rufen, denn in der Bar kann man weiterhin nicht telefonieren. Doch kaum ist er draußen, wird auch er erschossen.

Wo ist der Mörder? Man sucht durch die Fenster die Dächer ab. So was kennt man ja aus Amerika, daß von den Dächern geschossen wird. Ein Attentat? Was sagt das Fernsehen. Nichts. Und während noch alle darüber räsonieren und die Idee entwickeln, daß der Mörder auch bei ihnen drinnen sein könne, ja einer von ihnen sein müßte,  werden sie aufgeschreckt durch Krach auf der Toilette, wo sie dann einen dicken Mann finden, eine Spritze neben sich, der im Todeskampf liegt, sich noch in die Bar schleppen kann, aber dort zusammenbricht. Insbesondere seine heraustretenden wässrigen Augen zeigen, hier stimmt was nicht und schon ist er tot. Das ist wirklich ein besonders unschöner und unheimlicher Anblick und jetzt wissen wir: wir befinden uns in einem Horrorfilm.

Man findet sein Telefon und verfolgt aus dem SMS-Verkehr, daß der Mann in Afrika war und sich mir irgendetwas Tödlichem infiziert hatte, wogegen er ein Serum mit sich führt. Doch vorher ist er ja schon tot. Daß die Gruppe dann einen Behälter mit 3 Spritzen findet, die gegen die Infizierung durch den Körperkontakt helfen sollen, wird dann die weitere Handlung bestimmen.

Zurück zur Situation: Einige haben dem Dicken, Kranken helfen wollen und ihn angefaßt; diese Tatsache nutzt die Wirtin zur Spaltung der Gruppe. Sie erklärt, daß diejenigen nun ansteckend infiziert sind und zwingt mit der Pistole des Polizisten diese Leute in den Keller. Nur sie und die beiden Älteren bleiben oben. Es wird für diese  nicht gut ausgehen, das sagen wir gleich. Denn sie werden von der Polizei, die dann doch gekommen ist, wegen der Ansteckungsgefahr für ganz Spanien lieber gleich erschossen. Das bemerken die Untergetauchten, als sie kurz nach oben kommen und beim erneuten Untertauchen die Pistole und die Hilfsspritzen mitnehmen.

Ab jetzt findet alles erst im Keller und danach in der Kanalisation statt. Dorthin waren nämlich die Spritzen gefallen und die Dünnste, die junge Frau, soll sich durch ein Loch nach unten seilen. Damit sie besser rutscht, wird sie erst bis auf die Unterwäsche ausgezogen und mit Öl eingeschmiert. Das sind jetzt unglaubliche Bilder, denn der Dreck und dies schmierige Wasser läßt einen einen Schauer nach dem anderen nicht nur den Rücken herunterrieseln.  Sie findet die Spritzen und alle wissen, daß ein Ausweg nur über die Kanalisation möglich ist, also wird das Loch erweitert und nach und nach rutschen alle durch: gewaltige, komische, erschreckende Bilder.

Und jetzt kommt die eigentliche Abrechnung miteinander. Jeder kämpft gegen jeden und das kann man nicht darstellen, sondern muß es selber sehen. Da tauchen schon Totgeglaubte wieder auf, lange Zeit wird die Pistole eine Rolle spielen. Einen Selbstmord gibt es auch. Und der Kampf ums Überleben wird nicht solidarisch ausgetragen, sondern alle gegen alle. Das hat Folgen. Als dann die junge Frau übrig bleibt, die als einzige niemandem etwas zu Leide tat, findet sie den Ausgang über einen Deckel in der Kanalisation, halbnackt und dreckig entsteigt sie der Unterwelt. Jemand streift ihr fürsorglich einen Mantel über, der sie rettet. Denn so entgeht sie der Polizei und mit diesem Bild endet dieser Horrorstreifen, der außer Konkurrenz läuft.



Aus der Pressekonferenz

Das Umfeld ist das eigentliche Thema, das Eingesperrtsein Licht und Gegenlicht macht die Figuren schärfer und ist Kontrapunkt zu dem, was man sieht. Der übliche spanische Wahnsinn, Literatur und Kunst – stimmt schon, diese dunkle Seite Spaniens. Die drückte auch Goya und andere aus, hinzukommt der Magischer Realismus Lateinamerikas, was alles den Regisseur beeinflußt hat. Wahnsinn als Teil des Lebens, um die Hölle auszuhalten. Man versucht immer, sich einen anständigen Anstrich zu geben, aber ..
Die Bar ist auch sonst Abstieg n die Hölle...deus ex machina. Gott des Schicksals oder nur Pech. Aufgrund eines Schusses oder sonstwas. Fegefeuer, sie müssen ihre Sünden büßen, reinigendes Feuer. Dabei befreien sie sich von ihren Sünden. Dann sagen die einzelnen, wer sie wirklich sind. „Ich bin dieses kleine Häufchen Mensch, diese kleine Ratte, die überleben will.“ Unsere einzige Möglichkeit, uns von den Sünden zu reinigen, ist die Selbsterkenntnis, daß niemand uns davon befreien kann. Klingt alles sehr katholisch, was der Regisseur erläutert.

Foto: © berlinale.de

Info:
Álex de la Iglesia
Spanien 2017
Spanisch
102 Min · Farbe · Dolby Atmos

mit Blanca Suárez, Mario Casas, Carmen Machi, Secun de la Rosa, Jaime Ordóñez