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Kategorie: Film & Fernsehen

67. BERLINALE vom 9. bis 19. Februar 2017, WETTBEWERB, Teil 16

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Ob in einem Spielfilm schon je so viele Babys geboren wurden – wobei man sich immer fragt, wie die das hinbekommen, ob die gerade Geborenen und noch vom Schleim bedeckten Kleinen in die Spielfilmszenen hineinkopiert werden? Dann fällt auf, daß andere völlig sauber und geputzt dem Mutterschoß entschlüpfen, auf jeden Fall lernt man viel über Pressen und andere Geburtstechniken.

Nein, lieber Filmemacher, so viel wäre nicht nötig gewesen, um uns zu zeigen, welche patente Frau diese Claire (Catherine Frot) ist, die nicht nur einen herangewchsenen Sohn hat, den sie alleine erzog, sondern eine begnadete Hebamme ist. War, muß man sagen, denn die Entbindungsstation soll geschlossen werden, die Entlassenen sollen sich woanders eine Stelle suchen, was für Claire nicht in Frage kommt, denn die Entbindungsstation war ihr Ding, sie hatte das auf- und durchgezogen und woanders kann ein solches Vertrauen nicht aufgebaut werden, was durch den intensiven Kontakt der Hebamme mit den werdenden Müttern von ihr zeitinsensiv vorbereitet wurde.

Mitten in den Streß der letzten Tage vor der Schließung bei vollem Betrieb, kommt ein weiterer hinzu. Béatrice, die letzte Geliebte ihres Vaters, die diesen verlassen hatte, was ihn in den Tod trieb, kommt aus dem Ausland zurück und will Claire dringend sehen. Sie ist bei Freunden untergebracht und bittet, sie dort zu besuchen. Schon ihr Anblick zeigt der Tochter, daß Béatrice (Catherine Deneuve) die alte geblieben ist – verwöhnt, Grande Dame, total auf sich bezogen, laut, bunt und anspruchsvoll, aber auch witzig. Was will sie bloß von Claire? Das wird dieser schnell klar und die Bitte geht in Dimensionen, die genauso schwer abzulehnen wie zu akzeptieren sind. Nicht mehr und nicht weniger als sie in den Tod zu begleiten, ist die Bitte von Béatrice. Sie hat einen Gehirntumor. Der wird erst einmal vorübergehend mit guten Erfolgsaussichten operiert, wobei ihr Claire wirklich eine große Hilfe ist. Und nicht nur Claire.

Die, anfangs eine verhärmte und spröde Frau, die sich in ihrem Garten austobt, verändert sich, woran am allermeisten der Gartennachbar Schuld trägt. Obwohl er ihr zuerst nicht gefiel, hat seine pragmatische und zupackende Art ihre Reserve gelockert, bis sogar sie diejenige ist, die ihn verführen wird – und sich dabei selber nicht mehr kennt. Wir sehen sie im Film aufblühen zu einer glücklichen Frau. Nun gut, nicht übertreiben, auf jeden Fall passiert mit ihr sehr viel, so daß sie abgeben kann. Abgeben an Béatrice.

Die kommt mit Paul, dem Nachbarn blendend zurecht, denn sie kann einfach mit Männern, die sowieso am liebsten haben, wenn die Frauen ihnen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Im Film wird viel gegessen, noch mehr getrunken, gepflanzt und gegossen, der Sohn kommt auch vorbei, der mit der Freundin gleich ein Baby ankündigt, so daß Claire auch hier wieder involviert ist und wir wissen, irgendwie geht es schon weiter. Auch mit ihr und Paul. Aber Béatrice, ach so, der Kuß, ja die zaudert nicht, dem Paul einen richtigen Kuß auf den Mund zu verpassen, was die gefestigte Claire nicht mehr unsicher macht, denn Béatrice  ist ja wirklich krank, hat also Narrenfreiheit. Sie hält sich tapfer und als sie auf einmal verschwunden ist und später ein Boot gefunden wird, da wird in der Schwebe gelassen, ob sie zu anderen Ufern aufgebrochen ist, in dieser oder einer anderen Welt.

Französische Komödien schaffen das, was schwer zu bewerkstelligen ist. Sie sind einfach gestrickt, aber nicht banal, sie schildern abtörnende Begebenheiten aus dem normalen Leben, die aber durch Mutterwitz und Charme bewältigt werden. Die beiden Frauenrollen sind fast zu perfekt besetzt. Man glaubt, die beiden Frauen orginal zu sehen, so sehr sind die jeweiligen Rollen auf sie, d.h. auf unser Bild von ihnen zugeschnitten. Die Bälle werden hin- und hergeworfen und die beiden so unterschiedlichen Frauen und Schauspielerinnen sorgen dafür, daß sie einzigartig bleiben und keine die andere aussticht und daß außerdem unsere Gegenwart einige kleine Sticheleien versetzt erhält, die sie nötig hat.

Foto: © berlinale.de


Info:
Martin Provost
Frankreich / Belgien 2017
Französisch
117 Min · Farbe
mit Catherine Frot, Catherine Deneuve, Olivier Gourmet, Quentin Dolmaire, Mylène Demongeot