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Kategorie: Film & Fernsehen
Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Mai 2017, Teil 2

Filmheft

Paris (Weltexpresso) - Da es sich hier nicht um eine der 08/15 Komödien des französischen Kinos handelt, sondern um ein exquisites Stück Gegenwartsfilm, veröffentlichen wir das Interview mit der französischen Regisseurin, deren zweiter Film dies ist.


Warum eine Komödie?

Weil ich glaube, dass ich so auf charmantere Weise von meinen Obsessionen erzählen kann – den schwierigen Beziehungen zwischen Männern und Frauen, Einsamkeit, Kinder, Justiz, Geld, Sex. Man könnte sagen, dass mir dieses Genre eine größere Distanz erlaubt. Ich wollte das Porträt einer Frau drehen, die man erst ganz allmählich kennenlernt, jede Schicht für sich. Eine Frau, deren problematisches Sexleben von anderen Sachen zugedeckt wird: die Strafverteidigung eines alten Freundes, den Nachstellungen durch ihren Ex.
VICTORIA – MÄNNER & ANDERE MISSGESCHICKE handelt nicht von einem armen unschuldigen Ding und ist auch nicht die Chronik ihres Liebeslebens. Es ist die Geschichte einer komplizierten Frau, die sich in einem emotionalen Ausnahmezustand befindet, der durch ihre berufliche Situation noch verstärkt wird. Wie die Arbeit das Privatleben durchdringt – auch davon erzählt der Film. Mein Ehrgeiz bestand darin, all das zu zeigen: wie Victoria zu Fall kommt, aber auch, wie sie sich selbst wieder aufrichtet.


Hatten Sie Vorbilder? VICTORIA – MÄNNER & ANDERE MISSGESCHICKE erinnert stark an bestimmte US-Komödien…

Ja, unbedingt. Howard Hawks, Billy Wilder und Blake Edwards, auch Sacha Guitry haben mich sehr inspiriert. Vor allem Guitrys Film DÉSIRÉ mit seinem angespannten Klassenverhältnis, in dem sich Hausdiener und Herrin gegenseitig verführen. Aber ich habe mich auch von James L. Brooks’ Filmen inspirieren lassen, die ich erst spät entdeckt habe. SPANGLISH oder WOHER WEISST DU, DASS ES LIEBE IST? mag ich sehr. Ich habe zwar ein bisschen gebraucht, um mich mit der Komödie anzufreunden. Inzwischen stehe ich aber selbst auf Comedy-Serien wie „Silicon Valley“ und – man darf es kaum zugeben – die Sitcom „Mom“, die meiner Meinung nach den Genre-Mix von Komödie und Drama so großartig hinbekommt wie keine andere Serie. Jedenfalls hat sie mir die Augen dafür geöffnet, wie weit man beim Erzählen von düsteren, trashigen Dingen gehen darf, solange man es mit Humor tut.


Es zieht sich ein komischer roter Faden durch den Film, und das sind die Treffen, bei denen Victoria sich Rat von ihrer Freundin holt, von Seelenklempnern, einer Hellseherin, einem Akupunkteur…

Beim Schreiben war es mir wichtig zu zeigen, dass Victoria ihr Herz immer wieder den falschen Menschen und am falschen Ort ausschüttet. Den Kerlen, mit denen sie eigentlich schlafen sollte, erzählt sie von ihren beruflichen Ängsten; einer Klientin, die sie eigentlich verteidigen sollte, von ihrem Ex; ihrem zweiten Psychiater von ihrem ersten usw. Es besteht ja häufig eine große Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Rolle eines Menschen und dem, was er wirklich tut. Ich habe versucht, die dramatischen Aspekte des Films in eine Komödie zu verwandeln und aus diesem Widerspruch etwas Lustvolles zu zaubern.


Aber VICTORIA – MÄNNER & ANDERE MISSGESCHICKE benutzt schon die Muster der romantischen Komödie, oder nicht?

Ja, mit dem Unterschied, dass das, was die Figuren bei mir sagen, häufig viel grausamer ist als das, was man normalerweise in romantischen Komödien zu hören bekommt. Das gilt auch für die sozialen Unterschiede. Ich finde, dass die letzte Sequenz die Ambivalenz des Films gut widerspiegelt. Wir befinden uns nämlich auf halber Strecke zwischen Romantik und Zynismus, wenn Victoria, die alles verloren hat, Sam ihre Liebe eingesteht, und der plötzlich anfängt, mit ihr zu schachern und zu feilschen.


Außerdem spielen Sie mit den Mustern eines weiteren Genres, nämlich des Gerichtsfilms.

Stimmt. Ein paarmal erweise ich sogar Otto Premingers ANATOMIE EINES MORDES meine Reverenz, etwa mit dem kleinen Hund im Zeugenstand oder mit der Unterwäsche. Trotzdem ist VICTORIA – MÄNNER & ANDERE MISSGESCHICKE alles andere als ein realistischer Gerichtsfilm, und das haben wir den Tieren zu verdanken. Meine Geschichte basiert ja auf einer wahren Begebenheit, dem Fall einer Frau, die erhängt aufgefunden wurde, und ihres Dalmatiners, mit dem Tests gemacht wurden, weil man herausfinden wollte, wie er auf die Gerüche der verdächtigen Verwandtschaft reagiert. Dank dieser Geschichte entwickelt sich VICTORIA – MÄNNER & ANDERE MISSGESCHICKE nicht in Richtung zwielichtiger Sexskandal. Wenn Victoria bei ihrem Plädoyer förmlich neben sich steht und beinahe in Ohnmacht fällt, während sie die Glaubwürdigkeit des Hundes in Zweifel ziehen will, ist das einfach nur noch komisch – weil dabei die Grenze zwischen Absurdität und Realismus völlig verschwimmt. Zudem fand ich es wichtig, dass Victoria nicht bloß Opfer ist. Als Anwältin ist sie sehr ehrgeizig, und das half mir, den Zynismus herauszuarbeiten, der typisch ist für ihren Berufsstand. Ich weiß, wovon ich rede, denn während der Arbeit am Drehbuch habe ich mit vielen Anwälten gesprochen.


Zwischen den Zeilen handelt der Film eindeutig von Sex.

Ja, es wird sehr oft über Sex geredet, aber zu sehen ist fast nichts. Im Grunde ist der Film eine Satire über Sex und Beziehungen. Vincent hat sexuelle Probleme mit seiner Freundin, die ihn des versuchten Mordes beschuldigt. David legt in seinem Blog Victorias vergangenes Sexleben offen. Und Victoria besucht eine Hellseherin und ein paar Seelenklempner, die ihr Mut machen, es mal wieder mit Sex zu versuchen. Sie lässt sich darauf ein, doch jedes neue Treffen ist trauriger als das davor. Im Film ist das natürlich lustig, es zeigt aber auch die große Einsamkeit der Körper. Und das obskure Objekt der Begierde entpuppt sich letzten Endes als die Person, die diskret, vorsichtig und beinahe jungfräulich geblieben ist, nämlich Sam.

Foto: Victoria (c) Verleih