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Kategorie: Film & Fernsehen
Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Mai 2017, Teil 13

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) – Austin, Texas, ist eine Stadt der Kontraste – relaxte Bohemiens treffen mit Wucht auf ambitionierte Künstler, alteingesessene Texaner sehen sich mit Gentrifizierung konfrontiert und die Musikszene ist im Umbruch. Austin, auch bekannt als „Welthauptstadt der Live-Musik“, ist berühmt für seine zahllosen Musikfestivals, seine Bars und Spelunken.

Aber man kennt die Stadt auch dank der zig Musiker, die dorthin gereist sind, um ihre Träume zu verwirklichen. Musiker, die sich kreativ ausleben wollen, Musiker aller Stilrichtungen, ob nun Country, Folk, Blues, New Wave, Punk, Tejano oder Rock.

Für diese Seite von Austin interessiert sich Terrence Malick in SONG TO SONG. Seit längerer Zeit hat er schon eine zeitgenössische Liebesgeschichte in diesem Milieu ansiedeln wollen. In einem Austin, das dem Musiker auf der Bühne zu einem absoluten Hochgefühl verhilft – dem dann, wenn der Auftritt vorbei ist, das Leben wieder, fast grausam, in die Realität zurückholt. Dem High folgt der Katzenjammer... und man kann an nichts Anderes mehr denken, als an den nächsten Auftritt, der einen wieder glücklich machen wird.

In einer frühen Phase des Projekts hatte Malick als Titel WEIGHTLESS im Sinn – inspiriert von einem Zitat aus Virginia Woolfs Roman „Die Wellen“, in dem das zentrale Dilemma der modernen Welt auf den Punkt gebracht wird:

How can I proceed now, I said, without a self,
weightless and visionless, through a world weightless, without illusion?


Die Paare in SONG TO SONG stehen stellvertretend für dieses Zitat. Sie leben in einer Welt, in der ihre Identität nicht festgemacht werden kann, wo sie vermeintlich frei sind, sich ihren Launen und Gefühlen hingeben können, ohne sich festlegen zu müssen. Trotz der geglaubten Freiheit fühlen sie sich verloren, haben keinen festen Boden unter den Füßen. Im Zentrum der Gruppe steht Faye, eine junge Songschreiberin, die sich mutig kopfüber ins Leben und in die Liebe stürzt, sich selbst für ihre Kunst aufgibt. Und dennoch fühlt sie sich nicht richtig wohl. Sie fühlt sich nicht zugehörig, weiß nicht was die Freiheit, die sie sucht, wirklich bedeutet. Wird sie in der Realität ankommen? Und wie soll sie das tun?

Bei den Dreharbeiten zu The Tree of Life konfrontierte Malick seine Produzenten Sarah Green, Nicolas Gonda und Ken Kao erstmals mit seinen Vorstellungen, die schließlich in SONG TO SONG mündeten. Alle waren von der Idee begeistert, eine in Austin angesiedelte Liebesgeschichte zu drehen.

„Austin ist ein großartiger Mikrokosmos für diese Figuren und Terrys Ideen”, sagt Gonda. „Es ist ein Ort der Künstler und Freigeister seit Jahrzehnten angezogen hat und der heute rapide wächst und sich enorm schnell wandelt. Die Stadt zieht Leute an, die sich Konventionen verweigern. Man spürt den Wunsch nach Veränderung – und auch die Widersprüchlichkeit unserer Zeit. Aus diesem Grund glaube ich auch, dass man sich mit unseren Figuren gut identifizieren kann. Sie versuchen es in Austin zu etwas zu bringen, sie suchen nach dem Sinn des Lebens und treffen dabei auf Leere und Ungewissheit. Hier herrscht ein ewiges Tauziehen: Wie schaffe ich es ein modernes Leben zu führen und mir dabei trotzdem treu zu bleiben?“

Green dazu: „Der Film ist für mich eine verwobene Vierecksgeschichte, die auch von dem Wert der Liebe und der Möglichkeit zu verzeihen erzählt. Der Film gleicht dem Leben, das diese Figuren führen – es ist wild, spaßig und extrem. Aber er ist auch ernsthaft und man erfährt, was in den Köpfen der Protagonisten vorgeht und wonach sie streben. Wenn Rooney Mara als Faye sagt: ‚Ich dachte mir, wir könnten von Song zu Song, von Kuss zu Kuss leben’, dann trifft das den Nagel auf den Kopf. Der Satz steht sinnbildlich dafür, wie viele Leute zu einem gewissen Zeitpunkt leben wollen. Und er macht zudem klar, dass das so nicht geht. Die absolute Freiheit funktioniert nicht und kann entsprechend nicht unser Ziel sein.”

Kao fügt hinzu: „Im Grunde haben wir es hier mit einem Film über Selbsterkenntnis zu tun – und Austin ist ein perfekter Platz für diese Figuren, um zu sich selbst zu finden. Die Stadt wächst extrem schnell. Sie ist eine Art Brennglas durch das wir die Charaktere, die zu wachsen versuchen, sehen.”

Es gibt wohl keinen anderen Beruf, der mehr Momente des Hochgefühls bereit hält als der eines Popmusikers, der auf der Bühne steht, während ihm seine Fans huldigen. SONG TO SONG konfrontiert sein Publikum mit jenen Augenblicken, zeigt aber auch was in der Zeit zwischen den Auftritten geschieht, „Die Figuren bewegen sich von einem Hoch zum nächsten“, erläutert Gonda. „Auf einem Musikfestival kommen Menschen zusammen und es herrscht eine schier grenzenlose Energie. Aber wenn die Musik vorbei, das Festival zu Ende ist, werden die Besucher wieder mit sich selbst konfrontiert. Trotz aller Ablenkungen und Versuchungen müssen sie sich letztendlich mit sich selbst auseinandersetzen“.


Green, Gonda und Kao erkennen in Malicks Film ein neues Kapitel seines schöpferischen Könnens. Er verbindet eine starke Geschichte voller sensationeller Momente mit spielerischen Dialogen und zutiefst privaten inneren Monologen, die in die Herzen und Seelen der Figuren blicken lassen. Green führt aus: „SONG TO SONG ist ein sehr aktiver, schneller, atemloser Film. Terry erzeugt extreme Intimität indem er häufig einen Off-Kommentar über die Dialoge legt. So hört man nicht nur, was die Figuren zu sagen haben, sondern erfährt gleichzeitig, was sie gerade denken.”

Gonda fügt hinzu: „Terry, der sich bei Thin Red Line, New World und The Tree of Life stark auf einen ganz bestimmten visuellen Stil konzentriert hat, arbeitet bei SONG TO SONG mit einem Stil, der darauf abzielt das wir die Gefühle der Figuren selbst förmlich spüren. Der Rhythmus des Films ist sehr zeitgemäß, zugleich ist er aber überaus intim.”

Für Kao ist die Art Malicks, sich selbst zu erforschen und zu pushen, eine Inspiration. „Er kommt nicht zur Ruhe, verharrt nicht, trotz aller seiner hervorragenden Arbeiten”, merkt er an. „Dieser Film evoziert ein ganz spezielles Gefühl und man sieht, wie er seinen Stil weiterentwickelt hat.”

SONG TO SONG ist vielleicht zuallererst ein Musikfilm. Malick hatte immer schon sehr viel für Musik übrig – auch in dem Sinn wie er die Musik einsetzt, vor allem klassische Musik von Barock bis hin zu postmodernen Tönen. Sie ist untrennbar mit seinen Bildern verbunden. In SONG TO SONG ist es nun die populäre Musik, die als verbindendes Element für die Figuren dient. Schon von Beginn des Projektes an versuchte Malick die Bands und Musiker, die Austin bevölkern, in seinen Film einzubauen – ob nun lokale Gruppen oder Musikikonen, die für ein Konzert in der Stadt weilen.


Bereits als der Film noch besetzt wurde, drehte Malick mit seiner agilen kleinen Crew auf den drei größten Musikfestivals von Austin: dem Austin City Limits Festival, das die gleichnamige, langlebige PBS-Show inspiriert hat, dem riesigen und überaus einflussreichen South by Southwest Festival, das sich seit März 1987 dem Film, der Musik und den interaktiven Künsten verschrieben hat, sowie dem Fun Fun Fun Fest, eine Independentveranstaltung, die dafür bekannt ist, dass hier junge Talente entdeckt werden.


„Auf den Festivals zu drehen verlangte Spontaneität und gab uns die Möglichkeit zu zeigen wie es kurz vor einem Konzert hinter der Bühne bzw. während der Show davor zugeht. Es herrscht eine angespannte, energiereiche Atmosphäre. Es ist furchtbar laut und man spürt die Musik förmlich im Gesicht“, weiß Green. „Dass es uns gelungen ist, diese Atmosphäre einzufangen, macht unseren Film unglaublich zeitgemäß.”

Foto: (c) Verleih

Info: Abdruck aus dem Presseheft von






Als die Produktion damit begann, die Festivals zu besuchen, fing sie auch damit an nach unterschiedlichsten Musikern zu suchen, die an der Seite der Oscargewinner spielen sollten. „Wir suchten zunächst nach Musikern, die vielleicht daran interessiert wären, neben unseren Figuren zu spielen – und waren schließlich begeistert über die Vielzahl der Zusagen“, erklärt Green. „Die Welt, in der wir drehten, ist sehr spontan und das kommt Terry und seiner Art zu arbeiten, sehr entgegen. Wir filmten mit einem Miniteam und konnten so schnell und leicht diese Backstagewelt betreten und verlassen. Diese Flexibilität passte ideal für das Chaos, das auf Musikfestivals herrscht.”




Gonda fügt hinzu: „Es war förmlich eine chemische Reaktion, als wir unsere Schauspieler und Musiker zusammen brachten. Ihre gemeinsame Energie wirkte wie ein Katalysator. Alles wurde plötzlich echter.”