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Kategorie: Kulturbetrieb
K ephraimrichtigEine jüdische Stiftung kehrt vierundachtzig Jahre nach ihrer Arisierung nach Berlin in das Stammhaus des Stifters zurück, Teil 1/2

Karl E. Grözinger

Berlin (Welterxpresso) - Die Ephraim Veitel Stiftung wurde 1799 vom Hofjuwelier Friedrichs II gegründet, ab 1934 arisiert und kehrte erst jetzt wieder als jüdische Stiftung in das von der Familie Ephraim erbaute Berliner Ephraim Palais zurück.

Motivationen des Stifters

Es geschah am 6. Februar des Jahres 1799. An diesem Tag unterschrieb der preußisch-königliche Hofjuwelier, Ephraim Veitel Ephraim, sein Testament. Dies war zugleich die Stiftungsurkunde der Ephraim Veitel Stiftung. Ephraim Veitel war, wie sein Vater, Veitel Heine Ephraim, preußischer Münzenterpreneur, Unternehmer in der Gold- und Silbermanufaktur und Großhändler. Diese staatstragenden Unternehmen verschafften ihm bedeutenden Einfluss am preußischen Hof. Seine herausragende Stellung nutzte Ephraim Veitel zugleich, um sich für die Gleichberechtigung der Juden in Preußen einzusetzen. Dafür verfasste er 1785 eigens eine Denkschrift, die vermutlich bis in die Hände des Königs gelangte.

Auch sein Testament, mit welchem er die Ephraim Veitel Stiftung begründete, ist ein Zeugnis, dieses fortschrittlichen bürgerschaftlichen Geistes. Denn sein wesentliches Anliegen galt einer regelmäßigen Schulbildung der ärmeren jüdischen Jugend. Neben dieser aufklärerisch fortschrittlichen Seite zeigt das Testament zugleich, wie tief Ephraim Veitel in seiner traditionellen jüdischen Religiosität verwurzelt war. Als Grund für seine Stiftung schreibt er in der Präambel, dass dieses gute Werk nach seinem Tod seiner Seele in die ewige Seligkeit voranschreiten möge, um ihr den Weg in die ewige Seligkeit zu bahnen. Um diese Hoffnung noch zu unterstützen, ordnete Ephraim Veitel eine weitere klassische Maßnahme an, die seinem Wohlergehen im Jenseits dienen sollte. Er gebot im Testament, dass an seinem Sterbetag während seines Begräbnisses 300 Reichtaler als Almosen an die Armen verteilt werden, denn das Almosengeben hilft Toten wie Lebenden aus jeglicher Pein. Und noch ein Zweites, noch viel Wichtigeres: Ephraim Veitel verfügte die Summe von 100 Reichtalern, damit ein Minjan von zehn Gelehrten vom Eintritt seines Todes bis zur Beerdigung zugunsten des Toten Mischna, also die Grundschrift des Talmud, lernen sollten. Ephraim Veitel setzte also alle Mittel der jüdischen Tradition ein, die ihn bei seiner Reise ins Jenseits unterstützen sollten.

Angesichts dieser Maßnahmen findet vielleicht noch eine weitere Merkwürdigkeit der Stiftungsurkunde ihre Erklärung. Im Haupttext des Testaments werden als Stufungskapital 25.000 Reichsthaler festgesetzt. Und erst am Schluss des Testaments, nach dessen Unterzeichnung, steht das Gebot Ephraim Veitels, dass eine Stunde vor seinem Tod ein weiterer Betrag zugunsten der Stiftung an die Exekutoren auszuzahlen sei. Und dieser Betrag ist auffällig. Er beträgt nämlich die kuriose Summe von 8.333 Reichtalern und 8 Groschen. Diese zusätzliche Summe erhöht das Stiftungskapital auf den weiteren ungewöhnlichen Betrag von 33.333 Reichtaler und 8 Groschen. Diese merkwürdigen Summen wird ein Finanzfachmann wohl kaum verstehen, aber verstehen wird sie der Kabbalist. Denn überträgt man diese Zahlen in die hebräische Schrift, so entfaltet sich aus beiden Summen, der nachgereichten Summe wie der daraus entstandenen Endsumme nichts weniger als der heilige Name Gottes: JHWH. Dieser Gottesname ist das höchste wirkmächtige Mittel zur Hilfe aus allen Nöten. Mehr konnte Ephraim Veitel für sein Seelenheil nicht tun. Ephraim Veitel war, was seine Frömmigkeit anbelangte ein sehr traditioneller Jude. Dies zeigt sich auch daran, dass ein Teil der vorgesehenen Bewilligungsempfänger der Stiftung arme Bräute aus der Familie, sowie Kranke, sein würden, denen kostenlose medizinische Hilfe im jüdischen Krankenhaus bereitgestellt werden sollte.

Hat diese letzte Maßnahme, nämlich das öffentliche Krankenhaus einzubeziehen, einen schon sehr modernen Zug, so trifft dies noch mehr auf den anderen, zentralen Teil der vorgesehenen Stiftung zu. Das entscheidend Neue und Fortschrittliche der vorgesehenen Stiftungsaufgabe war, wie schon gesagt, die Finanzierung der schulischen Bildung der jüdischen Jugend. Diese Beschulung gerade auch armer junger Juden sollte an der von Ephraim Veitels Vater gestifteten privaten Freischule für jüdische Jugendliche stattfinden. Auch hier gibt Ephraim Veitel klare Anweisungen, bei denen er wieder die Tradition mit der Moderne verbindet. An dieser Schule sollte zunächst vor allem die heilige jüdische Schriftgelehrsamkeit und das Talmudstudium betrieben werden. Aber dem fügt nun Ephraim Veitel ausdrücklich hinzu, dass neben diesen Traditionsfächern »zum Nutzen der Schühler« »nützliche Wissenschaften« zu unterrichten sind, »die Einfluß auf ihr Talmudistisches-Hauptstudium haben«. Ephraim Veitel bricht hier, wenn auch noch vorsichtig mit dem alten rabbinischen Konzept, dass 24 Stunden des Tages für das Torastudium vorzusehen sind, und nur der Rest an Zeit für das Übrige. Das heißt de facto man darf nur die Tora studieren, keine anderen Wissenschaften. - Ephraim Veitel weist diese Einschränkung im Dienste der Erziehung einer modernen jüdischen Jugend zurück!


Die Geschichte der Stiftung

Die Ephraim Veitel Stiftung finanzierte an dieser Schule die Lehrer, die Schüler und den Kauf von Büchern. So florierte die Schule bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, ist dann aber gegenüber anderen Schul-Angeboten, wohl vor allem der bekannten jüdischen Freischule (1778-1825) und der 1826 gegründeten jüdischen Gemeindeschule ins Hintertreffen geraten und eingetrocknet.

Inzwischen hatte sich aber ein anderes Bedürfnis und damit eine neue Aufgabe für die Ephraim Veitel Stiftung geltend gemacht. Im Jahre 1848 hatte die Berliner Universität die Errichtung eines Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Literatur endgültig abgelehnt, ebenso das spätere Angebot, aus den Ephraimschen Stiftungsmitteln eine Professur oder zwei Privatdozenturen für jüdische Studien einzurichten. Dies war die neue Gelegenheit der Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt. Getragen von den beiden Ephraimschen Stiftungen, wurde die bisherige Lehrschule im Jahre 1856 zur ersten jüdischen Universität umgestaltet unter dem alten Namen: Veitel Heine Ephraimsche Lehranstalt. An dieser Hochschule, die bewusst parallel zur Universität mit Fach-Lehrstühlen geführt wurde, haben fortan die herausragenden Größen der Wissenschaft des Judentums unterrichtet oder studiert. Der Anstellungsvertrag zwischen dem Nestor der jüdischen Wissenschaft, Leopold Zunz mit der Ephraim Veitel Stiftung ist noch erhalten. Der legendäre Vater der jüdischen Bibliographie und jüdischen Literaturwissenschaft, Moritz Steinschneider hat hier, aus Mitteln der Ephraim Veitel Stiftung, seine einzige Hochschulstelle innegehabt. Auch der wesentliche Theologe des Reformjudentums, Abraham Geiger und viele andere illustre Namen waren an der von der Ephraim Veitel Stiftung getragenen Hochschule als Dozenten oder Studenten vertreten. Die heute in Potsdam stehende Bibliothek dieser ersten jüdischen Universität wurde fast ausschließlich aus Mitteln der Ephraim Veitel Stiftung erworben. Kurz, unsere Stiftung hat mit der Veitel Heine Ephraimschen Lehranstalt die universitäre Laufbahn der Wissenschaft des Judentums begründet und hat weltweit an den jüdischen Universitäten und Lehrstühlen nachgewirkt - bis in die Hebräische Universität in Jerusalem.

Spätestens 1928 wurde die universitäre Lehranstalt von der 1872 gegründeten Hochschule für die Wissenschaft des Judentums überflügelt und kam zwischen 1927-1930 zuende. Viele Dozenten der neuen Hochschule haben aber ihre akademischen Sporen an der Ephraim‘schen Lehranstalt verdient.

Fortan hat die Ephraim Veitel Stiftung neben ihren sozialen Verpflichtungen nun auch Studenten anderer Einrichtungen und andere Fachrichtungen unterstützt, so ab 1931 auch einen Mathematikstudenten namens Ralph Lohan, der uns sogleich wieder begegnen wird.


Die Arisierung

Die kontinuierliche Entwicklung und Anpassung der Stiftung an die neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten wurde im Jahr 1934 jäh abgebrochen. In diesem Jahr begann die systematische Arisierung der Stiftung: Der Name des jüdischen Stifters wurde aus dem Stiftungsnamen entfernt. Die Stiftung hieß von nun an »Stiftung von 1803« - eine bei den Nationalsozialisten übliche Namensgebung arisierter jüdischer Stiftungen. Die Arisierung wurde ab 1936 beschleunigt durch einen neuen Vorsitzenden, den inzwischen promovierten Mathematiker und SA-Mann Lohan, der ab 1937 auch der NSDAP angehörte. Der SA-Mann hat nun systematisch die jüdischen Mitglieder aus dem Kuratorium verdrängt und durch stramme »Arier« ersetzt. Statt seines bisherigen Stipendiums von der Stiftung hat er hat er sich nun als Vorsitzender mittels einer Satzungsänderung ein Salär in der Höhe seines bisherigen Stipendiums bewilligt. Die Satzung der Stiftung wurde nun auch konsequent den neuen nationalsozialistischen Bedürfnissen angepasst.

Die jüdischen Berechtigten wurden vollkommen aus der Liste der möglichen Bewilligungsempfänger gestrichen. Stattdessen findet man nun auch Organisationen der NSDAP auf der Liste der Bewilligungsempfänger. Ab 1937 erscheint als Hauptbegünstigte Lohans eigene Mutter, ab 1942 war sie die Empfängerin der Hälfte der jährlichen Ausschüttungen. Die Stiftung wurde zum Selbstbedienungsladen.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
Ephraim Palais (c) Ephraim Veitel Stiftung 

Info:

Unser Autor, Prof. Dr. Karl E. Grözinger, ist Vorsitzender der Ephraim Veitel Stiftung. Es handelt sich eine gekürzte Version seiner Rede - im Beisein des Kultursenators, des neuen Antisemitismusbeauftragten der Regierung, der Generaldirektors der Stadtmuseen Berlin und des Generalsekretärs der Juden in DE.
Weitere Informationen: http://www.ephraim-veitel-stiftung.de/

Zur weiteren Lektüre: K.E. Grözinger, Die Stiftungen der preußisch-jüdischen Hofjuweliersfamilie Ephraim und ihre Spuren in der Gegenwart, Wiesbaden 2009