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Kategorie: Kulturbetrieb
Bildschirmfoto 2019 08 10 um 08.31.36Zum Tod von Tuvia Rübner, dem bedeutenden Dichter Israels und letzten Repräsentanten deutsch-jüdischer Kultur, der am 29. Juli im Alter von 95 Jahren im Kibbuz Merchavia gestorben ist


Thomas Sparr

Berlin (Weltexpresso) -  1987 stellte sich Tuvia Rübner der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die den israelischen Dichter zu ihrem korrespondierenden Mitglied ernannt hatte, vor: «Zwölf Jahre, nachdem ich in das alte, in das neue Land gekommen war, schrieb ich deutsche Gedichte. Die meisten machte ich im Kopf, mit den Schafen auf der Weide, sagte sie mir vor und schrieb sie erst auf, als ich wieder im Zimmer war. (...) Ich schrieb in einer Sprache, die ich kaum mehr sprach. Sie war mein Zuhause. In ihr sprach ich weiter fort mit meinen Eltern, mit meiner Schwester, mit den Grosseltern, Verwandten, Freunden der Jugend, die alle kein Grab besitzen.»

1941 war Kurt Tobias 17-jährig aus seiner Heimatstadt Pressburg (Bratislava) ins damalige Palästina gekommen, allein, seine Eltern und seine 13-jährige Schwester Alice waren verschleppt und in Auschwitz umgebracht worden. Deutsch blieb sein Zuhause inmitten einer Jahre währenden Sprachlosigkeit. «Merchavia 1941» heisst ein spät entstandenes Gedicht über das Leben im Kibbuz, von dem Tobias, der sich fortan Tuvia nannte, berichtet: «Tiefland, Weite // sprachlos // schäbiges Grün, karg, grau / Graugrün, Staub, Steine // Staub, Steine, Staub / schattenlos // ein Hügel / im versteinerten Licht // Himmel / und / Menschen // fremd / die Nächte schlaflos // Sterne, unmässig, versiegelt, Feuer- / Steine.» Das unwirtliche Land wurde ihm über die Jahre zur Heimat, Hebräisch zum zweiten Zuhause.

Das Feuer im Stein

«Haesch baewen», «Das Feuer im Stein», hiess der erste Gedichtband von Tuvia Rübner, der 1957 in Tel Aviv erschien. Er zeigt sogleich die grosse Begabung des Dichters zur Verknappung, zum einzeln gesetzten Wort, eine Tendenz, der das Hebräische mit seinen kurzen, aber variationsreichen Wortwurzeln entgegenkommt. Die nachfolgenden Gedichtbände «Kol od», «Solange noch», «Ejnlehaschiw», «Unwiederbringlich, antwortlos», «Schmesch Chazoth», «Mitternachtssonne», «Pessel umassechs», «Bild und Maske» liegen seit 1990 in einer Auswahl unter dem Titel «Wüstenginster», übersetzt von Efrat Gal-Ed und Christoph Meckel, auf Deutsch vor. «Der über den Tisch Gebeugte / setzt Buchstabe an Buchstabe / die Hände brennen // Blühende Bäume violett und gelb // das Land, der Staub, die Bäume / der Staub // in der Luft die Asche // der über den Tisch gebeugt ist // Rette Gott meine Seele vor der Sprache des Betrugs / vor den Zungen der Lüge», lautet das erste Gedicht dieser Auswahl. Immer wieder lenkt Tuvia Rübner den Blick seiner Leser auf Kadenzen, auf die freie, unbeschriebene Fläche der Buchseiten, auf das, was er nicht beschreibt, sondern worauf er in einem suchenden, tastenden Gestus hindeutet. «Asche» ist ein Grundwort dieser Gedichte, das den Toten ein Gedächtnis geben will. «Meine kleine Schwester wacht und schläft / und plötzlich, Feuer ging durch mich. // Ich sass über den Tisch gebeugt. / Weisse Buchseiten. / Buchstabe, Buchstabe, meine Augen tasten durch Asche», so das zweite Gedicht aus «Wüstenginster».

Anfang der 1950er-Jahre kam Tuvias erste Frau Ada bei einem Busunglück in Israel ums Leben, Tuvia Rübner überlebte schwer verletzt.

Rübner wurde ein namhafter Fotograf in Israel. Das Kibbuzleben der 1950er und 1960er Jahre hat er in zahlreichen Bildern festgehalten. Von 1963 bis 1966 war er Abgesandter der Jewish Agency in Zürich. Er hörte Vorlesungen bei Emil Staiger und Wolfgang Binder, freundete sich mit Friedrich Dürrenmatt an und lehrte anschlies­send vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Haifa. Tuvia Rübner übersetzte Franz Kafka, Walter Benjamin, Friedrich Schlegel und Johann Wolfgang von Goethe ins moderne Hebräisch und mit gleicher Gewandtheit, Präzision und grossem Wortreichtum Dan Pagis’ Gedichte und Samuel J. Agnons grossen nachgelassenen Roman «Schira» ins Deutsche.

Vermittler zwischen den Ländern

Tuvia Rübner war ein Dichter zweier Sprachen, ein Vermittler zwischen Israel, Deutschland, Österreich und der Schweiz, und, wie wohl alle grossen Dichter, ein grossartiger Lehrer. Aus keinem Gespräch mit ihm ging ich hinaus, ohne eine Vokabel, eine Fabel gelernt zu haben, ohne dass er einige gerade geschriebene Gedichte vorgelesen hätte. Dabei liess Tuvia Strenge walten, und er liess seinem Zorn freien Lauf, wenn es um die israelische Politik unserer Tage ging. «Lügenland» heisst eines seiner Gedichte. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet: 1999 erhielt Rübner den Jeanette-Schocken-Preis, später den Theodor-Kramer-Preis, den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, 2008 schliesslich den Israel-Preis für Literatur.

Später verloren Tuvia und seine zweite Frau Galila, eine namhafte Pianistin in Israel, ihren Sohn Moran, der von einer Reise nach Südamerika nicht mehr zurückkehrte. Aus der ersten Ehe stammt Tuvias Tochter Mirjam, aus der zweiten der Sohn Idan.

Im letzten Monat schickte Tuvia Rübner mir seinen letzten Gedichtband «Od lo od», «Noch nicht noch», dem Andenken seiner in Auschwitz getöteten Familie gewidmet, und schrieb mir auf Deutsch noch ein Gedicht auf unter Verweis auf das «Er» in Bubers Bibelübersetzung für Gott und mit der Schöpfung eines Wortes, das wohl nur dieser Dichter so schaffen konnte: «Herzensnähe». Das Gedicht ist ein Gebet, Zeugnis einer langen, zornigen, dann wieder zärtlichen Zwiesprache, «Gebet an Wen». Die Verseinteilung, merkte Tuvia an, stamme von Google: «Lieber Gott, der sich hartnäckig vor mir verbirgt – wie erkenne ich Dich? / An Deinen Taten? Mein Gott! An Deiner Barmherzigkeit, Deiner Böswilligkeit? An allen zusammen? [ ... ] Und trotz alldem fällt es mir schwer, diese Welt zu verlassen. / Nicht nur wegen all des Schönen in ihr, sondern vielleicht vor allem wegen dem, was Herzensnähe heisst. / Welchen Sinn haben Trennungen, Abschiede als allein, sie zu überwinden lernen. / Wer glaubt, wird nicht überrascht, und ich, Allerwinzigstes, umfangen von einem unendlich Grossen / weiss bloss nicht / ob Du es bist.»

Der Tod, der so oft gewaltsam in sein Leben einbrach, kam am 29. Juli 2019 sanft im Schlaf zu Tuvia Rübner in Merchavia.


Foto:
Tuvia Rübner war ein Vermittler zwischen Israel, Deutschland, Österreich und der Schweiz
© tachles

Info:
Thomas Sparr ist Editor in Large beim Suhrkamp-
Verlag und langjähriger Lektor von Tuvia Rübner.

Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 9. August 2019