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Kategorie: Kulturbetrieb
Scherenschnitt 2891Ein Besuch der Proben für die Kriminalkomödie „Scherenschnitt“

Hanswerner Kruse

Frankfurt / Steinau (Weltexpresso) - Das neu gegründete Theaterensemble ImmerDaneben präsentiert dem Besucher ihr Stück in einem ersten Durchlauf. Ein Friseursalon ist in einer leerstehenden Wohnung angedeutet, die Akteure kommen herein:


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Der Figaro macht ordinäre Bemerkungen über Körperbehaarung, die feine, aufgedrehte Dame neigt zur Hysterie, der düstere „Ausländer“ bleibt undurchsichtig, die freizügige Gehilfin des Friseurs ist zunächst noch verhalten. Dazwischen lässt sich der Kommissar inkognito rasieren. Es sind scherenschnittartig wirkende Figuren, die hier mal fröhlich, mal sarkastisch aufeinandertreffen. „Soll ich hier getoastet werden?“, blafft die feine Dame unter der Haube. 

Entsetzlich laute Klaviermusik von Nachbarin Frau Czerny in der Wohnung obendrüber ertönt, der Barbier flippt aus: „Tagein, tagaus dieser Krach!“ Mit dem Rasiermesser fuchtelt er am Hals des Kunden: „Eines Tages bringe ich sie um.“ Kurze Zeit später ist die ältere Pianistin wirklich tot. Ermordet! Alle Auftretenden sind mal draußen gewesen, jeder kann sie getötet haben.

Hatte die reiche Czerny eine Beziehung mit der jungen Friseurin? Begrabbelte der Friseur seine Mitarbeiterin? Hat die feine Dame einen Lover? Ist der „Ausländer“ gar kein Fremder? Hat er eine Affäre mit der Coiffeurin? Während der Ermittlung kommen allerlei Geheimnisse und Bösartigkeiten ans Licht. Bald weiß man gar nicht mehr, wem man noch glauben kann.

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Alle haben ein Mordmotiv, unaufhörlich gibt es neue Wendungen: perfide Beschuldigungen werden konstruiert, aber scheinbare Beweise wieder zerpflückt. Und es gibt viel zu lachen. Doch häufig entfernt sich die Handlung von der „Tatort“-Struktur, löst sich von gehässigen oder intimen Annäherungen der Beteiligten. Denn im Spiel geht es auch um alltägliche Ereignisse, die plötzlich eine andere Bedeutung bekommen, die Hinterfragung von scheinbar eindeutiger Wahrnehmung und unbewussten Vorurteilen.


Die Zuschauer dürfen im „Scherenschnitt“ mitschnibbeln (müssen es aber nicht), es gibt Raum für Diskussionen oder Nachfragen an die Verdächtigen. Bereits zu Beginn wird das Publikum gefragt, welcher Figur es einen Mord zutraut. Am Ende entscheidet es dann mehrheitlich, wer die Tat begangen hat und schuldig ist. Damit ist die Aufführung aber noch nicht zu Ende, denn der Täter oder die Täterin wehrt sich gegen das Urteil. Deshalb kann das Stück jeden Abend anders ausgehen...

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„Scherenschnitt“ ist ein häufig gespieltes Bühnenwerk aus den 1970er-Jahren, das bereits früh die starre Grenze zwischen Publikum und Ensemble aufzuheben begann. Die Gruppe ImmerDaneben besteht aus professionellen Theaterleuten mehrerer europäischer Länder, die sich in einer Regieausbildung kennenlernten und nach dem Abschluss gemeinsam weiterarbeiten wollten. Die Premiere war mittlerweile in Frankfurt.



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Aufführungen:

Frankfurt:
Autoren-Theater Brotfrabrik am 17. und 18. November um 20 Uhr, am 19. November um 18 Uhr
Steinau a.d. Straße:  
Theatrium am 24. und 25. November 2023 um 20 Uhr


Fotos:

© Hanswerner Kruse
Rechts: Eine Probenszene, gelegentlich greift Regisseur Thomas Strolz (links) noch ein.