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Kategorie: Kulturbetrieb
P1160331 Hier hat Hesse in Jugendjahren gewirkt S. Zoller

Hermann Hesse und seine Heimatstadt Calw

Sabine Zoller

Calw (Weltexpresso) »Zwischen Bremen und Neapel, zwischen Wien und Singapore habe ich manche hübsche Stadt gesehen, Städte am Meer und Städte hoch auf Bergen, und aus manchem Brunnen habe ich als Pilger einen Trunk getan, aus dem mir später das süße Gift des Heimwehs wurde. Die schönste Stadt von allen aber, die ich kenne, ist Calw an der Nagold, ein kleines, altes, schwäbisches Schwarzwaldstädtchen.“
Hermann Hesse: Heimat, Erinnerung (1918) 


Eine der schönsten Liebeserklärungen von Hermann Hesse gilt seiner Geburtsstadt Calw.  Am 2. Juli 1877 wird er in dem schwäbisch pietistisch geprägten Schwarzwaldstädtchen geboren, das er später als Schriftsteller von Rang so liebevoll und umfassend portraitiert. 

Mit einer Gesamtauflage von über 150 Millionen Exemplaren gilt Hesse weltweit als der meistgelesene deutschsprachiger Autor des 20. Jahrhunderts. Seine Bestseller "Narziß und Goldmund" erschien 1930 und wurde als eines seiner erfolgreichsten Werke in 30 Sprachen übersetzt. Neunzig Jahre später nun hat der österreichische Oskarpreisträger Stefan Ruzowitzky 2020 die romantische Erzählung für das Kino adaptiert. Mit Starbesetzung wird die Freundschaft zwischen einem Künstler und einem Mönch auf die Kinoleinwand gebannt, obwohl Hesse diesem Medium stets ablehnend gegenüberstand.

 P2940958 Hesse Rose

Hesse, der als Vierzehnjähriger aus dem evangelisch-theologischen Klosterseminar Maulbronn floh, weil er »entweder Dichter oder gar nichts« werden wollte, ist ein genau beobachtender Erzähler der bis heute fasziniert. Als Autor macht er Mut, jeden neuen Tag mit Neugier und Zuversicht zu beginnen und verarbeitet dabei auch autobiografische Komponenten getreu der Devise: „Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.“ Der deutsche Rockmusiker, Schriftsteller und Maler Udo Lindenberg urteilt darüber als bekennender Hesse-Fan: »Wie Hermann Hesse von klein auf seinen ganz eigenen Weg gegangen ist, trotz aller Schwierigkeiten, die ihm das brachte, das hat mich früh beeindruckt und beeinflusst auf meinem eigenen Weg.« 

Die spannende Geschichte seiner Kindheit und Jugend dokumentiert Hesse in seinen Briefen aus den Jahren 1882 bis 1904. Von klein auf entwickelte Hermann Hesse ganz eigene Vorstellungen von seinem Lebensweg, was nicht ohne Konflikte abging. Seine Eltern, die in Indien als Missionare tätig waren, bestimmten ihn zur theologischen Laufbahn. Doch er widersetzte sich den Berufsplänen seiner Familie, brach das Studium ab und begann eine Buchhändlerlehre. 1904 erscheint sein erstes Werk „Peter Camenzind“ im S. Fischer-Verlag, Berlin. Ein sensationeller Erfolg, der ihm nun ein Leben als freier Schriftsteller ermöglichte. In seinem 1906 erschienenen Roman „Unterm Rad“ hält er jedoch seiner Geburtsstadt die Treue und schildert Calw als Schauplatz der Handlung. Dabei gibt Hesse der Stadt allerdings den poetischen Namen „Gerbersau“, und beruft sich damit auf ein altes Handwerk, das einst viele Calwer als Gerber in der Aue betrieben haben. Er beschreibt darin die verwinkelten Gassen und die Umgebung der Stadt, in denen er in seinen "Lausbubenjahren" eine perfekte Spielwiese gefunden hat. 

 

„Gerbersauer Lesesommer“ 

1946 erhält Hesse den Nobelpreis für Literatur und ein Jahr später wird er in seiner Heimatstadt zum Ehrenbürger ernannt. Seinen 125. Geburtstag feierte die Stadt 2002 mit einem neun Wochen dauernden Festival, das zum Auftakt der nun alljährlich stattfindenden Veranstaltungsreihe „Gerbersauer Lesesommer“ wurde, die mit Hesses Geburtstag am 2. Juli startet und an seinem Todestag, 9. August, endet. Im Zentrum der Lesungen stehen die Gerbersauer Erzählungen, umrahmt von einem musikalischen Programm unter der Regie von Literaturwissenschaftler Herbert Schnierle-Lutz. Über unzählige Treppen und enge Gässchen führen dazu Stadtführungen durch die einstige Gerber- und Flößerstadt, die Calw mit den Augen von Hermann Hesse sehen lassen. Zudem locken an schönen Sommerabenden zahlreiche Veranstaltungsorte in der pittoresken Freiluftkulisse der Altstadt mit den anrührenden Hesse-Erzählungen.

 

Hermann-Hesse-Museum Calw 

Mit Blick auf den Marktplatz und das Geburtshaus von Hermann Hesse würdigte Calw 1990 ihrem großen Sohn der Stadt mit einem Museum. Die Dauerausstellung im historischen Gebäude am Marktplatz Nr. 30 läßt auf knarrenden Holzdielen in die Welt des Dichters eintauchen und zeigt in zehn Räumen die Lebens-, Werk- und Wirkungsgeschichte des populären Schriftstellers. Neben Hesse-Utensilien von der Brille bis zur Schreibtischunterlage ist das Fayence-Schreibzeug der Eltern mit dem programmatischen Spruch erhalten: "Was man schreibt, das immer bleibt." Zudem besticht die große Sammlung an Drucksachen, die Hermann Hesse seit 1916 als Privatdrucke herstellen ließ, um sie dann an Freunde und Korrespondenzpartner zu versenden.

Fotos:
Bei der Führung wird gezeigt, wo Hesse in Calw Spuren hinterlassen hat.
Dese Rose wurde nach Hesse zur Hesse-Rose
©Zoller

Info:

Kulinarische Stadtführung

Unter dem Motto »Hermann Hesses Lieblingsspeisen« beschreitet Calw mit der Maxime Identität und Individualität einen Weg, um sowohl Einheimische als auch Touristen in die Stadt an der Nagold zu locken. Bei einem Stadtrundgang werden daher nicht nur wissenswerte Details der Stadt vermittelt, sondern zudem Köstlichkeiten kredenzt, die als Menü gekonnt mit dem Leben des Literaten verknüpft sind. Gerstensaft und eine Cremesuppe aus heimischem Bärlauch lassen die Naturverbundenheit von Hesse im Calwer Brauhaus erkennen, während die Küche »Zum Alten Calwer« kulinarisch an eine Hommage an Hesses Reise nach Indien wagt, die er 1911 unternommen hatte, um mehr über das Land zu erfahren in dem seine Großeltern, sein Vater und seine Mutter im Missionsdienst tätig waren. Nach Hühnerbrust auf indische Art mit Currysoße und Ananas serviert geht es vorbei an der gern fotografierten Hesse-Statue auf der Nikolausbrücke zum Hermann-Hesse-Platz. Hier endet die kulinarische Wanderung mit dem Besuch der ältesten Gaststätte, dem bereits im Jahr 1671 erwähnten »Rössle«, das als Dessert frühlingshafte Variationen von Erdbeeren und Rhabarber serviert.

Hermann Hesse Wanderung

Als begeisterter Wanderer war Hesse bereits in seiner Jugend viel im Nordschwarzwald unterwegs. Auf einem rund fünf Kilometer langen Waldspaziergang geht es nach Zavelstein und über den Badeort Teinach ins Nagoldtal. Und von dort aus wieder zurück in die Hermann-Hesse-Stadt Calw. Wer den Weg nach Bad Liebenzell nicht scheut, kann dort im SOPHI Park auch den Duft der Hermann Hesse Rose genießen.

https://www.hermann-hesse.de/museen/calw