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Kategorie: Kulturbetrieb

Nacht 7260Das Gesamtkunstwerk „Wilde Reise durch die Nacht“ eröffnete die 31. Steinauer Puppenspieltage

Hanswerner Kruse

Steinau a.d. Straße (Weltexpresso) – In der Katharinenkirche entführt das dreiköpfige Ensemble „Theater der Nacht“ sein Publikum in die irrationale und groteske Kehrseite des Tages. Wie im Traum werden Logik und Kausalität aufgehoben: Warum soll man sich nicht selbst begegnen oder einem gefährlichen Drachen einen Backenzahn ziehen?

Nacht 7229 2Menschliche Schauspieler verwandeln sich in monströse Schweine mit Flügeln oder zusammen geknuddelte Bettdecken werden monsterartige Riesen. Ständig changieren die Handlungsorte – mal fliegen wir mit in den Weltraum, mal besuchen wir die Insel der nackten Jungfrauen. Geheimnisvolle Landschaften werden mit unterschiedlichen Medien an die durchscheinenden Stoffwände im Bühnenhintergrund projiziert.
Diese abwechslungsreiche und vielschichtige Inszenierung folgt der gleichnamigen Erzählung von Walter Moers. Dem zwölfjährigen Gustave erscheinen der schwarzgewandete Tod und dessen verrückte Schwester Dementia („Ich bin nicht verrückt“). 


Nacht 7271Gerade träumte der Junge noch, sein Schiff sei untergegangen und er der einzige Überlebende – freiwillig soll er nun dem Tod seine Seele geben. Doch Gustave kann den Bösen zu einem Deal bewegen: Sollte er sechs groteske, eigentlich unlösbare Aufgaben bewältigen, wäre er frei.

Sich selbst kann der Junge tatsächlich in einem Zeit-Raum-Kontinuum als 82-jähriger begegnen, der Drache hat wirklich entsetzliche Zahnschmerzen und lässt sich helfen. Am Ende kann er sämtliche Aufgaben lösen, auch tapfer durch den Wald der Kobolde reisen oder eine schöne Jungfrau befreien.

Der Tod muss den jungen Maler laufenlassen, der während des gesamten Stückes immer wieder Situationen zeichnerisch festhielt. Bei Moers ist die Figur des Gustave eine Hommage an den französischen Künstler Doré. Der Schriftsteller und Zeichner Moers fertigte keine eigenen Illustrationen, sondern übernahm 21 szenische Blätter von seinem Idol. Die wurden vom „Theater der Nacht“ auf vielfältige Weise – mal humorvoll, mal philosophisch – umgesetzt. Dabei nutzte das Ensemble fantastische Möglichkeiten, die weit über das traditionelle Puppenspiel hinausweisen: Menschliches Theater. Radikale Verwandlungen mit Masken der humanen Figuren. Eine kleine Gestalt, das Alter Ego von Gustave. Schattenspiele und Lichtprojektionen mit durchaus digitalen Effekten. Umbauten auf offener Bühne. Eine singende Säge…

Großartig präsentierte das Eröffnungsstück als Gesamtkunstwerk die gesamte Bandbreite des zeitgenössischen Puppentheaters, das Festivalleiter und Direktor des Theatriums Detlef Heinichen beschrieb: „Puppe. Figur. Objekt.“ Er interpretierte auch das diesjährige Motto der Festspiele: „Wer, wenn nicht wir?“ Das könnten die Figuren sagen, wenn das Sprechen der Menschen an Grenzen komme. Und natürlich seien die Kulturschaffenden zur Stelle, wenn es um die aktuell bedrohte Demokratie ginge: Wer, wenn nicht wir, müsste sich engagieren.

Zum Start der Puppenspieltage kamen zahlreiche prominente Gäste aus den benachbarten Gemeinden, dem Main-Kinzig-Kreis und vom Land Hessen. In deren Grußworten wurde deutlich, großartige Kultur blüht nicht nur in den Zentren Frankfurt oder Wiesbaden, sondern auch im ländlichen Bereich. Rund 150 Besucherinnen und Besucher füllten die Kirche und waren fasziniert.

Fotos
© Hanswerner Kruse

Service:
Die 31. Puppenfestspiele in Steinau gehen noch bis zum 21. September 2025
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