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Kategorie: Kulturbetrieb

Eine deutsch-russische Dichterfreundschaft in dürftiger Zeit

Konrad Hüther

Erfurt (Weltexpresso) - Auch ohne persönliche Begegnung waren der Russe Maxim Gorki und der Deutsche Gerhart Hauptmann einander zugetan. Als Gorki vor 80 Jahren, am 18. Juni 1936, starb, berührte die Nachricht den Dichterkollegen sehr. 10 Jahre später, am 6. Juni 1946, starb auch Hauptmann.


Im deutsch-russischen Verhältnis ist es aktuell nicht zum Besten bestellt. Da lohnt es sich, den Blick auf die respektvolle und von gegenseitiger Hochachtung geprägte Beziehung zweier Dichter zu werfen, deren runde Todestage in diesem Jahr begangen wurden. Es geht um den Russen Maxim Gorki und um den deutschen Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann. Der eine starb vor 80 Jahren in Moskau, der andere vor 70 Jahren in seiner schlesischen Heimat. Persönlich begegnet waren sich beide nie.

Bewegt nahm Hauptmann seinerzeit die Nachricht von Gorkis Tod auf und bedauerte denn auch, daß es nie zu einer persönlichen „näheren Berührung von Mensch zu Mensch“ gekommen sei. Dabei war das Verhältnis beider von großer gegenseitiger Hochachtung geprägt.

Bereits 1905, als der russische Dichter in der Peter-Pauls-Festung eingekerkert war, setzte sich sein deutscher Kollege für dessen Freilassung ein.

In einem Geburtstagsgruß an Hauptmann schreibt dann Gorki sieben Jahre später über den Dichterkollegen, daß sein „empfindendes und tiefes Talent den Menschen viel Gutes gegeben hat und ihren Geist und ihr Herz mit bezaubernder Schönheit bereichert.“

In den Jahren des Ersten Weltkrieges trat wohl eine gewisse Entfremdung ein. Im Sommer 1921 allerdings nahm Gorki den Kontakt wieder auf.

Mit ein Grund waren die Folgen der Oktoberrevolution von 1917. Übernommen hatte die Sowjetmacht vom Zarismus ein rückständiges und verarmtes Land. Mißernten im Wolgagebiet, in Georgien und Armenien zogen eine furchtbare Hungersnot nach sich. Tausende Menschen starben auf der Flucht aus verödeten Dörfern.

Im Zuge vieler Hilferufe und Appelle, die damals in die Welt hinaus gingen, wandte sich auch Gorki direkt an Hauptmann.

Hans von Hülsen, Hauptmanns Freund, der ihm den französischen Text des Appells übersetzte, erzählt, wie Hauptmann erschüttert ausgerufen habe: „Bedenken Sie doch nur, was das heißt: Rußland hungert!... Es ist entsetzlich... wo die Menschlichkeit angerufen wird, hat die politische Sympathie und Antipathie zu verstummen.“

Am 25. Juli 1921 antwortete Hauptmann auf den Hilferuf Gorkis mit den Worten: „Vielleicht trägt der übergrelle Strahl ihres Notrufs dazu bei, das wiederum aus der blutgetränkten armen Erde hervorzulocken, was Sie die schöpferische Kraft und die Menschlichkeit der Völker nennen... Die ganze zivilisierte Welt hat Ihren erschütternden Ruf nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem Herzen gehört!“

Persönlich bat Hauptmann den damaligen deutschen Außenminister Walter Rathenau um eine „große, warme, von Menschenliebe getragene Aktion von Volk zu Volk. Zudem unterstützte er das Auslaufen eines Sanitätsschiffes mit Ärzten, Sanitätern und Medikamenten in Richtung Sowjetunion.

Für die Broschüre „Rußland und die Welt“, in der der norwegische Polarforscher und Nobelpreisträger Fridtjof Nansen von Fahrten durch die Hungergebiete berichtete, schreibt Hauptmann das Geleitwort; der Erlös der Veröffentlichung kommt im Mai 1922 den Hilfsaktionen zugute. In einer „Geburtstagsfestschrift“erklärt Gorki 1922, daß er für Hauptmann die größte Verehrung empfunden habe und seine Bedeutung für das russische Kulturleben sehr groß sei. Er habe „besonders den ´Fuhrmann Henschel´ liebgewonnen“, dessen „mächtiger Schattenriß“ ihn nachhaltig beeindruckte

Hauptmann wiederum sah in Gorkis „Nachtasyl“ (1902) das „Kolossalste epische Bild des Elends, das je auf der Bühne gezeigt wurde“, und in der „Mutter“ (1907) die künstlerisch vorweggenommene Revolution.

Durch das gemeinsame humanistische Wirken von Maxim Gorki, Gerhart Hauptmann und Fridtjof Nansen gelang es damals, die Weltöffentlichkeit zu mobilisieren. Schade, daß es für uns heute keine vergleichbaren Hoffnungen zu geben scheint.



Anmerkung der Redaktion:  Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Thüringer Allgemeinen vom 9. 7. 2016. Der Erfurter Autor Konrad Hüther ist Mitglied der Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft, e. V. Berlin und schreibt regelmäßig über diesen Dichter und Schriftsteller sowie andere literarisch und kulturhistorisch relevante Themen im Zusammenhang mit Thüringen und seiner Geschichte. Wir danken ihm für die Genehmigung zur Wiederveröffentlichung dieses Artikels. Der Text wurde geringfügig bearbeitet.