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Kategorie: Kunst

John Skoogs Filmarbeiten knüpfen an das Frühe und das Älteste im Menschen an – Preisträger des Baloise-Kunst-Preises 2015 im Frankfurter MMK

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Aus den kürzlich begangenen Räumlichkeiten des Museums für moderne Kunst (MMK) in Frankfurt war noch zu berichten und zu verbreiten, dass hier drei Kurzfilmstreifen der ungewöhnlicheren Art zu sehen sind, die etwas von der ungewöhnlichen Art der menschlichen Natur - nämlich einer zutiefst imaginierenden - zu erfahren geben, die als rätselhaft verschlüsselt – codiert - in Erscheinung tritt.

 

Die vornehmliche Arbeit: 'Reduit (Redoubt)', von 2014 ist in einem etwas verstiegenen Ausstellungstrakt angesiedelt, ein Umstand, der dem Komplex, dem hier Raum geschaffen werden soll, entgegenkommt. Die Projektionsfläche ist von einem nicht erst kürzlich entstanden Kinoguckkastenverschlag eingehaust, der das Improvisierte einer Installation unterstreicht, deren Form, Inhalt und Erscheinen Leben und Existenz eines Menschen, der längst gestorben ist, bestimmte; einen, der von dem Gezeigten mehr als nur bestimmt, vielmehr gar manisch eingenommen wurde; womit er – indem er eine gesonderte Realität schuf - die Vorleistung für ein späteres Kunstwerk erbrachte.

 

Der Streifen entstand mit einer einzigen sorgfältig geführten Kamerabewegung. Die Kamera gleitet über das stark verwitterte und eingebrochene Mauerwerk eines Bollwerks, das mehr mit Händen als mit hochgerüsteten Werkzeugen aus einer vormaligen Hütte zum Bollwerk geformt wurde. Das Wehrwerk, durch die Kamera des Künstlers in die Filmform gebannt, entstand als Reaktionsbildung auf die tiefen Ängste im Kalten Krieg. Es entstand auch als aktive Gegenleistung einer von Angst erfüllten menschlichen Existenz. Genährt wurde dies durch Lehrhefte der schwedischen Regierung, die technische Instruktionen erteilte, wie im Fall des Falles und unter konkreten Umständen gehandelt oder reagiert werden sollte, um Schutz und Rückzug zu finden. Graphische Reproduktionen der Hefte zeigt der Ausstellungsraum nebenan. Der Erschaffer des Wehrwerks sah sich als Schutzgeber auch für die Mitmenschen seiner Umgebung, denen er Sonderling war. Der Film liefert stimmliche Einblendungen der Nachbarn aus dem Off.

 

Der Film könnte als ein Werk der Ruinenromantik erscheinen, indessen entspricht eine solche Ausdrucksweise nicht dem Existenzgetriebenen dieser mauernden Tätigkeit. Der Ausdruck Ruine aber zieht an und geleitet in die Atmosphäre des Artefakts. Die Bewegung der Kamera ist gehalten wie ein Scannen. Sichtbare Realität wird abgetastet, wie jetzt alte Filme abgetastet werden. Sie werden dadurch brillanter und geeignet für Hochauflösung. Der Prozess der Umformung holt Qualitäten aus ihnen hervor, die bislang verborgen blieben. Der Künstler mischt sich im vorliegenden Fall mit einer Idee von einem allseits kurios erscheinenden Werk der Alltagshandwerkskunst ein, dem er die Güte und Würde erteilt, die es in den Rang einer Wesentlichkeit hebt, durch die es in die Installation des emphatischen Kunstwerks eingeht. Das Gebilde wird überführt in Gedächtnis, Erinnerung und Fragestellung. Was ist, was war jener Mensch mit seiner Vorstellung, die ihn eingenommen, ja beherrscht hat. Was hatte das noch mit einer wirklichen, tatsächlichen Realität gemein? Hat hier nicht ein Mensch maßlos überzogen? Was ist daran planvoll ausgeführte Vernunft, was unergründlicher Geist, oder entspricht es dem, was wir aufgeladen als Psyche bezeichnen, ein Ungreifbares, schwerlich Kalkulierbares.

 

Die schnittlose Kamerabewegung beginnt mit dem letzten Meter der Abtastung der Struktur der Oberfläche zu enden. Sie schwenkt ab und wechselt zu Landschaft und Horizont, vom Dunklen zum Hellen. Himmel überwölbt wieder eine gewohnte Welt. Das Artefaktische wird verlassen, Illusion und Fiktion, das Bedrohliche und Ruinenhafte sinkt in sich zusammen, alles ist wieder wie gewöhnlich, der Alpdruck der beklemmenden Eindrücke verschwunden.

 

Der Filmsequenz leistet eine Illustration und Umkreisung von Einsichten, die mit dem Werk Freuds verbunden sind, leitet sich ab aus spannenden Begriffen wie: das Unbewusste, die Verdrängung, die Übertragung, die Projektion, die Wiederkehr der Vergangenheit usw. Mit den freudschen Termini sind Menschen der Welt angemessener verstehbar als mit Begriffen aus dem Hause 'Politik', die mehr an Oberflächensymptomen hängen bleiben. Hauptbereiche bleiben so ausgeblendet. Denn es gibt ein tiefer Gelegenes, ein längst Entstandenes, das weder ursprünglich noch einfach fertig ist; es lässt sich nicht in Schubladen pressen. Menschen mit ihren Vorstellungen sind weder ganz nur im Realen behaust noch in einer wissenschaftlich konstruierten Psyche. Vielmehr leben sie irgendwo in einem Bereich zwischen Realität und Fiktion: sie sind intermediäre Wesen, die sich in Zwischenbereichen aufhalten, dadurch so unergründlich werden, unkalkulierbar wie nur etwas - und zwar umso mehr noch als Kultur sich weiter über die Natur ausbreitet.

 

Das Unheimliche, das die Introspektion der Fahrt über das Mauerwerk vermittelt, ist weder allein dem Gemauerten zuzuschreiben, noch bloß dem Motiv der Angst im Hintergrund, z.B. der Atombombe oder der Überfallsgefahr durch die Sowjets (ein Motiv das gegenwärtig modifiziert wiederkehrt). Es ist eine eigene Welt, die das kindliche Schauern, das im Dunkel des Kellers auftrat, längst hinter sich gelassen hat. Sie hat Eigenständigkeit angenommen. Eine kleine Träne bietet aber für die künstlerische Interpretation des Menschen doch der Umstand, dass es jetzt eine spaltende globale Ökonomie gibt. Die Atombombe ist erweitert durch die „Massenvernichtungswaffen“ der Finanzökonomie mit ihren strukturierten Wertpapieren, so deutete es zumindest Warren Buffet, der wohl größte aller begnadeten Anleger, 2009 an. Wie das künstlerisch zu fassen wäre, ist die Frage. Beuys hatte ein eigenes, alternatives Geldsystem entworfen.

 

Zwei weitere Filme, die den Besuch komplettieren, sind: 'Sent på Jorden' und 'Förår'.

Ihnen kann man sich hingeben; sie erinnern zurück an die seligen Eindrücke und Stunden der frühen Jahre, wenn dem unmittelbaren Wahrnehmen der Natur und des szenischen Umher sich ungehindert und anlaßlos hingegeben wurde. An Endzeit wurde damals zwar noch kaum gedacht, aber als ganz geheuer erschien die Welt auch schon damals nicht. Das Unheimliche hält sich also auch im weiteren Filmmaterial. Hat das Weltbetrachten – später dann der Eingriff in die Welt - nicht auch die Spur der Sinngebung eines möglicherweise Sinnlosen? Die Poesie alltäglicher Momente lässt Unvermitteltes einbrechen, dann kann Unerwartetes eintreten.

 

Die Szenen spielen im Lebens- und Landschaftsraum, kindliche und jugendliche Spiele inbegriffen. Natürliche Perioden, wiederholte Handlungen, Gespräche mit den fast schon Ahnen, Spiele unter Seines- und Ihresgleichen stehen im Fokus der Aufnahmen. Der Übergang in die nächste Lebensphase korrespondiert und harmoniert mit den Übergängen der jahreszeitlichen Natur. 'Erwachen' wird initiiert vom Zwischenzustand der Abend- und Morgendämmerung. Kein zunehmendes Bewusstsein ohne Zwischenzustände. Unheimlichkeit und Endzeit, Nihilismus und Sinnsuche liegen als Chiffren zwischen Fußballspiel, Feldarbeit und Alltagstätigkeit.

 

Läppische Spiele, wie das Werfen von Steinen an die Innenwand eines Tunnels, um das Klacken endlos zu wiederholen, wirft zurück in die graue Vorzeit der Erinnerung. Aber die Würfe verlangen auch ein genaues Winkelabschätzen.

 

Info:

 

Das MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main erhält von der Baloise Group eine Schenkung über drei Werke des schwedischen Künstlers John Skoog für seine Sammlung. Skoog ist der Preisträger des renommierten Baloise-Preises, der seit 1999 jedes Jahr jungen Künstlerinnen und Künstlern verliehen wird. In diesem Rahmen werden die Arbeiten des Preisträgers in einer Ausstellung in zwei bedeutenden europäischen Museen – in diesem Jahr dem mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien und dem MMK Museum für Moderne Kunst – präsentiert und ein Ankauf für die Museumssammlung finanziert“. (Pressemitteilung des MMK)

 

John Skoog. Slow Return · Ausstellungsort. MMK1, Domstr. 10, 60311 Frankfurt am Main, Tel. 069/212 30447