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Kategorie: Kunst

Serie: Jubiläumsausstellung in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden, Teil 5

 

Claudia Schulmerich

 

Dresden (Weltexpresso) – Während die Sixtina zu ihrem 500jährigen Geburtstag sich mit den Zeitgenossen und den Nachfolgern einen Stock tiefer im Gobelinsaal zur Jubiläumsausstellung vereint hat, hängt an der Wand, die sie sonst als Blickfang nach links in der Gemäldegalerie Alter Meister in Dresden einnimmt, ein über die ganze Wand und darüber hinausragender gewaltiger Teppich, den man ganz weitem als Wirklichkeit und immer näher kommend zuerst als Collage und erst ganz am Schluß, dicht vor den Fäden, als gewebten Riesenteppich mit dem Mittelpunkt der Raffaelschen Madonna wahrnimmt.

 

Wie das? Was ist passiert? Katharina Gaenssler, über die wir wenig wissen, nur daß sie 1974 geboren ist und in München studierte, hat ihr Werk ihrer Mutter gewidmet, was man dem höchst interessanten Künstlerbuch entnimmt, das den Teppich mit Worten begleitet und in schwarz-weißen und 224 farbigen Fotografien wie ein Atlas dokumentiert. Katharina Gaenssler also hatte die Idee, mit einer digitalen Kamera die Madonna mit jedem Fitzelchen unter die Lupe zu nehmen und diese Einzelaufnahmen zusammenzusetzen. Allerdings hatte sie noch eine zweite Idee – und diese bringt unser Sehen erst so recht zur Irritation. Sie fotografierte nämlich auch die Inszenierung durch die Räume, die die Madonna für die Museumsbesucher schon immer zum Blickfang machte, weil man durch mehrere, an den Wänden mit italienischen Gemälden bestückten Räume auf die Madonna zuschreiten muß, bis man leibhaftig im letzten Raum vor ihr und nur vor ihr stehen darf. Das heißt auch diese Bilder, die in den Augenwinkeln immer sichtbar bleiben, sind Teil des Gesamtbildes.

 

Für diese Raumflucht hat Frau Gaenssler wohl 5 570 Details fotografiert, so sagt es der Katalog. Die Zusammensetzung der Details ergibt ein ungewöhnlich gerasterten Anblick, der je näher man kommt, desto stärker als Detail wahrnehmbar wird, bis man davorstehend, seinen eigenen Gang reproduziert sieht, weil an der Stirnwand der Madonna jetzt - die Wandecken überlappend - der Teppich so hängt, wie man die Wand eigentlich von weitem sieht und damit auch die Madonna nur durch mehrere Türrahmen im Teppich erblicken kann, was einem die Illusion aufzwingt, man schreite unaufhörlich durch die Räume und komme doch niemals bei der Madonna an. „Durch diesen Kunstgriff wird nicht nur die Abwesenheit der Madonna thematisiert, sondern im übertragenen Sinn auch die Unerreichbarkeit der Gottesmutter“.

 

Das ist schon eine ganz eigenartige Erfahrung, die man schwer beschreiben kann, weil visuelle Geheimnisse über Worte nur unzureichend vermittelt werden können, dazu sind sie ja auch da, sich das mit eigenen Augen anzusehen. Das ist das eine. Aber das andere ist die Form, in der Katharina Gaenssler ihre Fotografien auf einen Teppich bündelt. Der Teppich im Zusammenhang mit Raffael hat einfach seine eigene Geschichte. Nirgends wurden Teppiche so kunstvoll gefertigt wie im Flämischen, weshalb Raffael seine Teppiche nach seinen Gemälden dort produzieren ließ. In London im Albert&Victoria Museum, dessen Chef heute übrigens der vorherige Herr über alle Dresdener Museen, Martin Roth, ist, versammelt im Raffaelsaal die Kartons der Gemälde der Sixtinischen Kapelle zu Petrus und Paulus und zeigt auch einen nach ihnen gewebten Teppich, den Karl X. damals in Flandern machen ließ. Damals dienten also Kartons als Bildvorlage für Teppiche, heute digitale Fotografien.

 

Insofern hat die Unternehmung der Katharina Gaenssler mehr historische und kunsthistorische Wurzeln, als dem heutigen Betrachter ihrer monumentalen „Gobelinorgie“ in der Regel bewußt wird. Was allerdings ganz auf sie geht – und das macht diese Raumsicht durch den Sixtina-Gobelin auch so aufregend – , das ist diese Idee, die Madonna mitsamt des Blicks als Raumflucht auf eine einzige Wand zu bannen. Schauen Sie selbst. Besorgen Sie sich auf jeden Fall das Künstlerbuch dazu.

 

 

P.S. Natürlich haben wir in der Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung, wo im Saal der Madonna im ersten Stock der Gobelin der Gaensslerschen Sixtina uns vor Augen hing, während die echte Madonna nun zur Ausstellung unten im Gobelinsaal hängt – ja so witzig sind die Namenszufälle mit Gobelin, denn im Gobelinsaal hängen sonst keine Teppiche, sondern die herrlichen Cranachs der Dresdner Sammlung – haben wir also nachgefragt, was nach der Rückkehr der Raffaelschen Madonna an den angestammten Platz in der Bel-Etage mit dem Sixtina-Gobelin der Katharina Gaenssler geschehe. Vieldeutig war die Antwort. Man hätte ihn schon gerne. Wir haben keine Ahnung, was es gekostet hat, ein solch technisch aufwendiges Verfahren dann noch weben zu lassen und den künstlerischen Mehrwert hinzuzuschlagen. Dennoch fühlt man einfach instinktiv, daß dieser Raffaelteppich im Haus verbleiben sollte, beispielsweise als Sixtina Gobelin im Gobelinsaal. Daß ein nur an Kunstwerken reiches, aber pekuniär armes Museum solchen Ankauf nicht aus eigener Kraft leisten kann, ist zu verstehen. Aber da müßte es doch genug Sponsoren geben, die diesen Kauf für Dresden wagen. Wir werden weiter nachfragen.

 

Bis 26. August 2012

 

Katalog I: Ein Künstlerbuch

Katharina Gaenssler, SIXTINA MMXII, Edition Minerva 2012. Das Buch fängt ganz harmlos an. Da sind in schwarz-weiß Fotografie die ungerahmte Madonna zu sehen und ihr Konterfei als deutsche Briefmarke, wie sie die Post zum 500 Jahre Jubiläum herausgebracht hat. Aus der Rückseite sieht man dann das hochartifizielle technische Verfahren, das nötig war, damit die Künstlerin Gaenssler wirklich jedes Detail vor die Kamera bekam. Sie ragt auf dem Gestell über den oberen Bildrand der im Januar noch am angestammten Platz hängenden Madonna hinaus und richtet ein gewaltiges Objektiv auf diese. Sieht eher wie ein Fernrohr aus, denkt der unbedarfte Betrachter. Im abgedruckten Galeriegespräch zwischen Michael Hering, Konservator für Moderne und Gegenwart am Kupferstich-Kabinett und Bernhard Maaz, Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister und des Kupferstich-Kabinetts, geht es dann zur Sache, was nämlich von der künstlerischen Intervention des Sixtina-Gobelins mittels fotografischer Hilfestellung zu halten ist. Die Überschrift „Die Sixtina im Blickfeld digitaler Entschleunigung – eine fotografische Distanznahme gibt dabei schon eine Interpretation vor.

 

Tatsächlich beleuchtet das Gespräch alle möglichen Aspekte, die dem Betrachter vor dem Teppich durch den Kopf gehen. Uns gefällt das außerordentlich gut, daß nicht die Künstlerin selbst zu ihrem Werk, ihrer Motivation und ihrer Arbeit nun auch noch die entsprechenden Worte wählt, denn das Werk sieht man ja in Dresden vor Augen und in der Publikation in Fotografien. Die beiden Gesprächspartner nehmen so eher unsere Person als Betrachter ein und kommen im leicht mäeutischen Dialog zu vielen Aussagen, die der Leser nickend absegnet wie die des Restaurators MH: „Der präzise Blick aber, von dem die Detailaufnahmen Katharina Gaensslers künden, der jeder noch so verschwindend geringen Bildinformation ihr Bildrecht gibt, eröffnet einen Blick auf die Sixtina, der scheinbar ungesehene Details zum Vorschein bringt, um deren visuellen Genuß wir uns bei der Betrachtung vor dem Original betrogen fühlen, obwohl sie immer schon da waren!“ Seite 11

 

In der Fotomontage von 5 750 Einzelaufnahmen kann man dies in Schwarz-Weiß sehen, aber 224 Detailaufnahmen dann in der Folge auch im vorliegenden Band in Farbe. Man kann sich vertikal von Aufnahmen 1 bis14 am Madonnenbild orientieren, aber man kann auch horizontal von 1 über 15, 29 bis 211 sich die obere Bildleiste betrachten. An den Bildrändern sieht man erst einmal viel Farbe und Krakelüren. In der Bildmitte unten sieht man dann unter 111 das nie geschaute Weiße im Auge des linken Engel. Außerdem ist dem Band ein Appendix beigefügt, in dem die Stationen von Abhängen, leerem Rahmen und dem Überziehen der Wände mit dem Teppich eindrucksvoll dokumentiert sind.

 

 

Katalog II:

Die Sixtinische Madonna. Raffaels Kultbild wird 500, Prestel Verlag 2012

Gleichnamiges Booklet in den Sprachen Deutsch, Englisch, Italienisch und Russisch.

 

Wer geglaubt hätte, er hätte durch die vorausgehende Ausstellung, den Besuchs der Raffaelschwester bei der Sixtina und den entsprechenden Katalog bei Prestel sowie den Besuch der jetzigen 500-Jahre-Feier schon alles über die Dresdner Madonna gewußt, der irrt sich gewaltig. Denn, was die Ausstellung in ihren vier Sektionen zeigt und erklärt, wird hier im Katalog in zweifacher Weise aufbereitet.

 

Wie immer gibt es auf den Seiten 156 bis 341 den eigentlichen Katalogteil mit den Abbildungen aller Austellungsexponate, nach Sektionen gegliedert, die alle eine kunsthistorisch einwandfreie Dokumentation der Herkunft, eine – bei den italienischen Briefen notwendig – Übersetzung sowie die Klärung des Zusammenhangs haben. Eingeleitet werden die vier Sektionen durch eine Einführung. Im ersten Teil sehen Sie auf Seitengröße der Sixtina Verwandten und ihre Cousinen von Lorenzo die Credi und Filippino Lippi, auch die Zeichnungen und Stiche des Marcantonio Raimondi und Marco Dente , Ugo da Carpi u.a. nach Raffael sowie Gemälde und Fotografien von Piacenza und der Kirche San Sisto.

 

Ab Seite 208 wird in der Dokumentation des Ankaufs der Katalog besonders wichtig, weil er den Briefverkehr auf Italienisch und Deutsch dokumentiert, was zu lesen einem leichter fällt, als vorneübergebeugt in der Ausstellung, wo einem die Bilder an den Wänden eh verleiten, stärker auf diese zu achten. Das haben auch wir genutzt. Die Gouache Adolph von Menzels, die dieser Sektion den Namen gibt, wird in den historischen Kontext ihrer Entstehung gerückt. Im gewissen Sinn ist die dritte Abteilung die interessanteste, weil es diejenige ist, die wir historisch oder auch heute noch selbst erfahren haben. Die Ausführungen und Dokumente sind kulturgeschichtlich spannend, weil sie zu helfen klären, weshalb die Madonna die ersten Jahrhunderte unbeachtet in Piacenza hing und daß das 19. Jahrhundert aus erklärbaren Grünen nur doch das I-Tüpfelchen zur ihrer Prominenz beitrug.

 

Das Leben der Engelchen, das überall ob ihrer eigenen Daseinsberechtigung in dieser Ausstellung betont wird, ist wirklich hinreißend dargestellt, wozu die Einzelabbildungen der gefundenen Devotionalien mit Herkunft und Erklärung für vielfaches Anschauen gut ist. Ehrlich gesagt kann man das alles im Katalog noch viel besser verfolgen, denn die vielen Gegenstände sind in der Ausstellung selbst gar nicht allesamt wahrnehmbar: von der Keksdose, über die neue Bausparförderung zum Luftspray und Angela Merkel Madonna. Herrlich.

 

Und dennoch, wie immer sind für Kunstinteressierte die Essays das Eigentliche. Ausstellungskurator Andreas Henning stellt die Ausstellung in den Kontext: KULTBILD UND BILDKULT. Bekannte Raffaelautoren vertiefen die Ausstellungsthematik, sowohl kunsthistorisch – Arnold Nesselrath über RAFFAELS KINDER, der Leiter der Gemäldegalerie Bernhard Maaz über RAFFAELS Sixtinische Madonna zwischen Religion und Realität – aber auch die gemäldetechnischen Aspekte zur Maltechnik und Restaurierungsergebnis. Uns hat besonders PRÄSENZ IM VERBORGENEN von Thomas Rudert interessiert, der DIE SIXTINISCHE MADONNA zwischen 1939 und 1955 an ihren Auslagerungsstandorten und der Mitnahme nach Rußland verfolgt. Da allerdings hätten wir uns mehr Information über die Zeit der Madonna in der UdSSR gewünscht, die ihre eigene – und schon vorher tradierte - Geschichte hat, weswegen auch heute viele Russen zu dieser Ausstellung kommen und die wir für einen Artikel weiter recherchieren wollen. In diesem Kontext wird auch die russische Beschriftung in der Ausstellung verständlich. Dieser Katalog gehört zu denen, die man fürs Leben kauft. Denn Raffael, die Sixtina und Dresden sind längst eine Symbiose.

 

 

 

www.skd.museum/sixtina

 

 

 

 

Info:

Mit freundlicher Unterstützung des MARITIM Hotel Dresden.

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