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Kategorie: Lust und Leben

Bildschirmfoto 2025 05 31 um 04.07.36Alma Mahler-Werfel: Femme fatale und unheilbare Antisemitin, Teil 1

Elvira Grözinger

Berlin (Weltexpresso) - 

„Gefährlich ist’s den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.“ (Friedrich von Schiller, aus Das Lied von der Glocke, 1799)

 

Von einer behüteten höheren Tochter zur „last femme fatale of the century“1

Als vor 20 Jahren zum 40. Todestag die Biographie der berühmten Witwe aus der Feder von Oliver Hilmes unter dem Titel Witwe im Wahn: das Leben der Alma Mahler-Werfel erschien, enthielt sie viele bis dahin unbekannte oder verschwiegene Fakten über die Frau, die der Nachwelt als das „Monster of our Century“ 2 bekannt geworden ist. Alma Margaretha Maria Schindler wurde am 31. August 1879 in Wien geboren und als Alma Mahler-Werfel bekannt, gemeinhin Alma genannt, starb sie am 11. Dezember 1964 in New York. Von ihrer Jugend auf verkehrte sie in den Künstlerkreisen der Heimatstadt dank ihres Vaters Emil Jakob Schindler, der zum bekannten und geschätzten Landschaftsmaler avancierte. Ihre Mutter Anna Sofie, geborene Bergen, war eine Sängerin, die das musikalische Talent der Tochter zwar erkannte aber mit der sie ein spannungsreiches Verhältnis verband. Ihre Mutter gab in ihrem Haus und auch außerhalb gelegentlich Konzerte, hatte Affären und man vermutet, dass Almas Schwester Margarethe Julie einer solchen entsprang. Eine weitere langjährige Affäre hatte Almas Mutter mit dem Schüler ihres Mannes, Carl Moll, den sie einige Jahre nach dem frühen Tod des Gatten geheiratet hat. Ihre Promiskuität vererbte sie ihrer ältesten Tochter und ihrer Enkelin Anna Mahler.3 Alma vergötterte ihren Vater, der ihre musikalische Begabung und künstlerische Fähigkeiten förderte, allerdings seinen Töchtern die formelle Bildung verwehrte, da diese nicht als für Frauen notwendig betrachtet wurde. Als er an einer verschleppten Blinddarmentzündung starb, war Alma erst 13 Jahre alt und litt schwer an dem Verlust. Sie betrachtete die Wiederheirat ihrer Mutter als Verrat und lehnte ihre zwanzig Jahre jüngere Halbschwester Maria Moll ab, zumal diese ausgerechnet am siebten Todestag ihres Vaters geboren wurde.

Die familiären Verhältnisse waren problematisch, sie hatten nach Ansicht der Biographen einen gravierenden Einfluss auf die charakterliche Entwicklung der jungen Frau, die sich in ihrer Selbstwahrnehmung und in ihren Tagebüchern zu einer „Göttin“ und „Herrin“ stilisiert und also solche der Nachwelt präsentiert hat. Dass man den Selbststilisierungen und Retuschen auch heute noch auf den Leim geht, sieht man an einem „Festival“, das 2025 gar ihr zu Ehren in einer westdeutschen Stadt veranstaltet wird. Man findet ihre Verzerrungen der Wahrheit aber auch bei der Lektüre der Edition der Briefe ihres ersten Mannes, Gustav Mahlers, an sie.4 Ihre Briefe an ihn sind von ihr vernichtet worden, um nur einen günstigen Eindruck von sich zu vermitteln. Dabei machte sie alle ihre drei Ehemänner unglücklich und war es selbst – sie ertränkte ihre Nöte im Alkohol und ruinierte schließlich ihr Aussehen und ihre Gesundheit. Sie war schon seit einer Masernerkrankung in der Kindheit auf einem Ohr taub, im Alter wurde sie schwerhörig. Bevor sie 85jährig starb, war sie schon lange krank - litt an Herzinsuffizienz, hatte mehrere Schlaganfälle, wollte sich aber nicht untersuchen lassen und verklärte auch noch dies mit falschen Tönen, als sie 1958 an Lion Feuchtwanger schrieb, „Seit Franz Werfel von mir gegangen ist, schleppte ich mich so hin, bis ich vor einem Jahr durch Aufregung eine Coronal-Thrombosis bekam – von den Folgen dieser wollen wir schweigen.“

Sie war, um den Fotografien und ihren Verehrern zu glauben, eine durchaus hübsche, großgewachsene junge Frau, allerdings keine „Schönheit“, wie sie sich selbst sah und wie sie den Männern, von denen sie bewundert werden wollte, suggerierte. Sie suchte sich die vielversprechenden bzw. bereits berühmten Männer aus, die ihr den Glanz verliehen, den sie suchte, hörte ihnen konzentriert zu und gab ihnen das Gefühl, von ihr bewundert zu werden, was meistens wirkte. Je berühmter der Mann, umso intensiver bezirzte sie ihn. Sie litt zugleich unter geringem Selbstwertgefühl und kompensierte es eben durch diese „Eroberungen“. Hilmes beschreibt in seinem Kapitel „Hysterie“ Symptome, die sich bereits bei der jungen Alma finden und die von Psychologen definierten klassischen Hysterie-Züge, zu der „narzisstische, egozentrische, geltungsbedürftige Einstellung mit Darstellungstendenzen und einem infantilen Bedürfnis nach Anerkennung“ gehören. Herrschsüchtiges Verhalten, Lügen, die Unfähigkeit, Kritik zu ertragen, gehören dazu. Die Hysteriker verhalten sich „sexuell provokativ, jedoch selbst frigide“ sind und „sind nicht in der Lage, das Sexuelle zu integrieren, sie bleiben unfähig zu einer reifen genitalen Sexualbeziehung und Befriedigung. Hysteriker sind gewöhnlich sehr begabt darin, ihre Konflikte zu verdrängen, ja sie vollkommen vom Bewusstsein abzuspalten.“ Ihre Tochter Anna Mahler, zu der Alma ein ähnlich schwieriges Verhältnis wie sie zu der eigenen Mutter hatte, beschrieb ihre Mutter so: „Sie hat ein ungeheures Talent gehabt, Sklaven zu machen. Und wenn jemand nicht Sklave geworden ist, war er nichts wert.“ Diese Eigenschaften, ihr „extrem ausgeprägtes Bedürfnis, andere Menschen, insbesondere Männer zu unterdrücken und klein zu halten“ hat Alma besonders gegenüber den von ihr allerdings verachteten jüdischen Männern, oft körperlich kleiner als sie, an den Tag gelegt, vielfach offen antisemitisch, derer Genie sie allerdings brauchte, um sich in deren Ruhm zu sonnen und von ihren Honoraren zu leben. Diese Taktik hat sich ausbezahlt.

1897 wurde die Vereinigung bildender Künstler Österreichs (Secession) von ihrem Stiefvater mitgegründet und dort lernte sie auch weiter bekannte Künstler kennen. Als Teenager wurde sie von Gustav Klimt (1862-1918) fast verführt, was ihre Familie allerdings durch energische Intervention zu verhindern wusste. Als dieser als Frauenheld bekannte Maler starb, soll er 14 uneheliche Kinder hinterlassen haben. Er ließ schnell von Alma ab, was sie in ihrem Tagebuch so darstellte: „Meine Liebe beginnt sich langsam in Hass umzuwandeln […] Er hat sich feige zurückgezogen, hat mich verrathen […] und hat sich als Schwächling erwiesen.“ Alma erlitt eine narzisstische Kränkung, denn sie hielt es als ihr natürliches Recht, die Männer zu verlassen, wer sie nicht verehrte oder gar verließ, galt fortan als ihr persönlicher Feind. Hilmes weist auf ihre Minderwertigkeitskomplexe hin, die von ihrem Mangel an formeller „philosophischer“ Bildung herrühren, denn sie fühlte sich zu „höherem“ berufen: „Ich möchte eine große That thun. Möchte eine wirklich gute Oper componieren, was bei Frauen wohl noch nie der Fall war.“ Sie meinte, dass ihr nicht die Begabung, nur der Ernst dazu fehlte, und klagte, dass sie nur eine „Halbnatur“ wäre und wünschte, „ein Mann“ zu sein. Deswegen wurde sie auch irrtümlich von manchen Biographinnen als Kämpferin für die Frauenemanzipation dargestellt. Sie war aber keine!

 Fortsetzung folgt
 

Anmerkungen

1 dor-film-com: Zeitzeugen beleuchten im Film von Susanne Freund von 2007 „‘das komische wie tragische Leben‘ der ‚Big Alma‘, zwischen einer begnadeten Muse und Männer mordenden Schlampe“.

2 Siedler Verlag München 2004. Diese Biographie halte ich für zuverlässig und beziehe mich darauf in diesem Artikel wie auch auf die schmale Biographie von Astrid Seele, Alma Mahler-Werfel, rororo monographien, Rowohlt Taschenbuchverlag 2001, 8. Auflage Oktober 2023, S.7.Zitate, wenn nicht anders vermerkt, sind aus diesen beiden Quellen.

3 Anna Mahler (eigentlich Anne Maria, wie auf der Todesanzeige für Gustav Mahler steht, 1904-1988), die ihren Vater mit 7 Jahren verlor, floh, erst 17jährig, vor ihrer Mutter in die erste Ehe mit dem Dirigenten Rupert Koller, die aber nur wenige Monate hielt. Anna war eine schöne Frau, studierte Malerei in Berlin und der zweite Gatte Ernst Krenek folgte bald. Allerdings hielt auch diese nur einige Monate, um sich bei der Scheidung gegenseitig sexueller Abnormitäten (sie warf ihm sexuelle Unersättlichkeit, er ihr Frigidität vor) zu beschuldigen. Sie wurde Bildhauerin, war dann kurz mit dem Verleger Paul Zsolnay verheiratet, mit der sie eine Tochter Alma hatte und Anfang der 1930er Jahre hatte sie eine Liaison mit dem späteren Kanzler Schuschnigg, unterstützte die Sozialdemokraten und musste 1939 nach dem Anschluß Österreichs als Tochter eines Juden nach London fliehen, wo sie den ukrainischen Dirigenten Anatole Fistoulari heiratete und eine Tochter Marina hatte. Ab 1950 lebte sie in Los Angeles, in der Nähe ihrer Mutter, lebte mit dem Drehbuchautor Albrecht Joseph, den sie 1970 heiratete aber 1984, mit 80 Jahren, verließ, um in der Nähe ihrer Tochter Marina in London zu leben. 

4 Ein Glück ohne Ruh‘. Die Briefe Gustav Mahlers an Alma. Herausgegeben und erläutert von Henry-Louis der La Grange und Günther Weiß, btb Goldmann Verlag 1997.(Zit. als Glück)

  

Foto:
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