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Kategorie: Lust und Leben
latzelqTheologische Impulse (173)

Thorsten Latzel

Rheinland (Weltexpresso) - „Wenn Sie Gott eine Frage stellen könnten, welche wäre das?“ In der letzten Woche wurde ich das gleich zweimal danach befragt – bei einem Schulbesuch und einem Interview. Die Frage hat mich auch im Nachgang noch länger beschäftigt.

Nun gibt es viele Dinge, die ich gerne von Gott wüsste: Warum gibt es überhaupt Böses auf der Welt? Und warum lässt du, Gott, all das Böse, Gewalt, Krieg und Leid zu? Was ist der Sinn des Lebens, meines Lebens? Wie ist das mit der Auferstehung und mit dem Leben nach dem Tod? Manche der Fragen haben mich während meines Studiums oder im Pfarrberuf lange beschäftigt. Mit anderen habe ich mit den Jahren zu leben gelernt. Der katholische Theologe Karl Rahner hat das einmal schön formuliert: „Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten.“

Aktuell spüre ich, wie sich die Richtung meiner Fragen verändert hat: Das fragliche Wesen bin ich. Was ist deine Frage, Gott, an mich? Wer bin ich in deinen Augen, Gott? Was willst du, dass ich konkret tue? Wie schaffe ich es, Liebe zu leben?

Für mich ist Gott nicht die „Ich sag dir alles“-Maschine, die auf jede menschliche Frage eine passende Satz-Antwort gibt. Keine himmlische Intelligenz, die wie eine KI doch bitte liefern soll. Gott ist vielmehr das Geheimnis der Welt und meines eigenen Lebens. Ich kann das Leben, die Welt, mich selbst ohne Gott nicht begreifen – und umgekehrt kann ich Gott nicht begreifen, ohne dass es dabei unbedingt um mich selber geht. Die Bibel erzählt in vielen Geschichten von den wechselseitigen Fragen Gottes an uns Menschen und der Menschen an Gott.

Das beginnt schon ganz am Anfang mit den beiden Schlüsselfragen Gottes an uns Menschen: „Wo bist du, Adam?“ Und: „Wo ist dein Bruder, Kain?“ Nicht, dass Gott das nicht wüsste. Seine Fragen sind vielmehr heilsame Impulse, wenn ich mich wieder einmal selbst verloren habe – und meine Geschwister. Es ist tröstlich zu wissen, dass es jemand gibt, der nach mir und allen anderen fragt. „Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin und leite mich auf ewigem Wege.“ (Ps. 139,24) Auch Jesus begegnet Menschen interessanterweise, indem er sie fragt: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Bei einem Blinden, Lahmen oder Aussätzigen könnte man ja meinen, dass sei offensichtlich. Doch Jesus überfällt sie nicht mit ungefragter Hilfe. Er nimmt auch den, der Hilfe sucht, als eigenständigen, autonomen Menschen wahr. Gott wahrt die Freiheit unserer Person wie das Geheimnis unseres Lebens.

Zugleich ist die Bibel voller menschlicher Fragen und Anfragen an Gott. Etwa in den Psalmen – eine Art Chat-Protokoll zwischen Gott und dem Betenden: Wo bist Du, Gott? Warum hilfst du nicht? Hast du uns vergessen? Auch dies greift Jesus auf, wenn er am Ende seines Lebens mit dem Hilfeschrei aus Psalm 22 stirbt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Mitten in seiner Todesnot, seiner gottverlassenen Einsamkeit, hält Jesus Christus am Gebet fest. Und sei es auch nur in Form von Frage und Klage. Und er wird so selbst zur Antwort Gottes. In dem gekreuzigten, leidenden Christus glauben wir Gott an unserer Seite. Dem Mensch gilt die erste Frage Gottes und Gott ist die letzte Frage von uns Menschen, das Geheimnis unseres Lebens.

Darum geht es auch bei der Trinität, die wir im Kirchenjahr in dieser Woche gefeiert haben: um die Frage-Beziehung Gottes zu uns Menschen. Dass Gott in sich drei Personen und zugleich ein Gott ist, klingt ja erst einmal abstrakt und schwierig zu verstehen. Doch die Pointe davon ist wichtig: Gott ist nicht statisch. Kein heiliger Block. Kein unfassbares, erhabenes Gegenüber, dem wir uns als Menschen nur unterwerfen können. Vielmehr ist Gott in sich Liebe, Beziehung, Dynamik. Gott ist sich selbst nicht genug, schafft die Welt, begegnet uns in Jesus Christus und holt uns durch seinen Geist wieder in sich ein. Dieses eine, all-umfassende Liebesgeschehen meinen wir, wenn wir von Trinität sprechen. Etwas, was ich nicht abstrakt begreifen kann, sondern was sich mir nur erschließt, wenn ich selbst von ihm ergriffen werde. Trinität, das meint: Ich komme mit meinen Fragen nach Gott nicht weiter, wenn ich mich selbst aus dem Spiel halte. Ich begegne Gott in dem Menschen Jesus Christus – und durch ihn im Angesicht jedes leidenden Mitmenschen. Dabei erfahre ich Gott als schöpferische Liebe, die alles Leben hält, trägt, bewahrt. Und Gott verwandelt mich tief in mir durch seinen Geist, dass ich glauben, hoffen, lieben kann.

Daher meine Frage: Wer bin ich, Gott, in deinen Augen? Und: Was willst du, dass ich tue?



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