Drucken
Kategorie: Lust und Leben
c28e0bbc f0b6 465e 98ad ebdd25e2644aTheologische Impulse (176)  

Thorsten Latzel

Rheinland (Weltexpresso) - Es ist Vorferienzeit. So etwas wie der Advent des Sommerurlaubs. Die Tage sind heiß und lang. Noch länger die To-do-Listen. Die Haut dünner. Die Nerven angespannt. Noch eben 148 Mails checken. Kurz vor der Kollektiv-Erschöpfung. Meine Seele braucht dringend Sonnencreme. Daher zwei gute Nachrichten vorab: 1. Finnische Wissenschaftler/innen haben in einer unveröffentlichten empirischen Studie festgestellt: Es gibt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Leben danach – auch nach dem Urlaub. Manches darf also einfach warten. Der Wochenspruch der vergangenen Woche: „Jesus Christus spricht: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ (Mt 11,28)

Vorab: Ich bin ein Landei – aus Wittgenstein, wo auf einen Menschen gefühlt 30 Kühe, 100 Hektar Wald und drei Wisente kommen. Als Schüler habe ich in einer bäuerlichen Genossenschaft gejobbt. Der jährliche Viehmarkt auf dem Stünzel gehörte zu den Hochfesten meiner Familie. O-Ton meiner Mutter: „Franz, bring bloß nicht wieder zu viele Hühner mit.“ Und meine Frau stammt von einem Bauernhof im Marburger Land. Ihre Wegbeschreibung beim ersten Besuch: „Das ist da, wo die weißen Striche auf der Straße aufhören.“

Doch was es wirklich heißt, Landwirt zu sein, Tag für Tag, wie meine Schwiegereltern, weiß ich nicht. Ohne Urlaub. Mit viel persönlichem Einsatz, festem Rhythmus, schmalem Gewinn. Mit Luther formuliert: Vergils ländliche Gedichte meine niemand übersetzen zu können, der nicht fünf Jahre Bauer oder Hirte gewesen ist. Noch weniger weiß ich, wie es ist, ein Joch auf sich zu nehmen. Wörtlich. Ein altes Symbol aus der Landwirtschaft, aus einer Zeit, als es noch keine Traktoren und Schlepper gab. Ich kenne es von Bildern, vom Hörensagen, doch nicht wirklich aus eigener Erfahrung.

Der Satz von Jesus ist äußerst einladend. Jesus Christus spricht: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Das tut gut. Da ist einer, der wahrnimmt, wie belastet ich bin. Einer, der mitkriegt, was ich Tag für Tag schleppen muss: „Ich sehe dich.“ Einer, der weiß, was es heißt, Lasten zu tragen: „Ich bin an deiner Seite.“ Der fähig und willens ist, mir und allen anderen beim Tragen zu helfen: „Ich helfe dir.“

Die Verheißung an die Mühseligen und Beladenen: Sie gehört zum Kern des Evangeliums Jesu Christi. Gottes Option für die Schwachen. Für uns alle, wenn wir einsam sind, nicht weiterwissen, manchmal am liebsten heulen würden oder es auch tun. In Christus leidet Gott selbst mit uns. Das hat Menschen in schweren Zeiten Halt und Hoffnung gegeben. „Nobody knows the trouble I‘ve seen. Nobody knows but Jesus.“ So der alte Gospel afro-amerikanischer Sklaven.

Doch dann hat dieser Vers einen Nachsatz, eine Rückseite. Und in diesem „Kehrvers“ kommt nun das Joch ins Spiel. „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“

Okay, das klingt nun nicht ganz so attraktiv. Och, nicht noch ein Joch. Nicht vor der Sommerpause. Wenn der Schreibtisch ohnehin schon übervoll ist. Der äußere wie der innere. Wenn die Nacken schon knacken von der Last, die jede und jeder von uns sowieso schon mit sich schleppt. Im Nacken und Rücken fängt es meistens an. Sitzungen und Büroarbeit sind eben keine artgerechte Haltung. Nicht noch ein Joch, wenn es dringend Erholung braucht, um den Akku irgendwie wieder aufzuladen.

Doch was Jesus hier verheißt, sind auch nicht die Kanarischen Inseln. Nicht der wohlverdiente Jahresurlaub. Der ist wichtig. Keine Frage. Doch hier geht es um etwas anderes. Es geht darum, durch Christus Teil zu sein einer Liebes-, Lebens- und Lastengemeinschaft. Füreinander und für andere Christus zu werden.

Das reicht weiter und tiefer als alle Urlaubsverheißungen. Und so paradox das klingt: Erst darin finden unsere erschöpften Seelen wirklich Ruhe. Weil wir nicht für das Alleinsein geschaffen sind. Sondern für die Liebe zueinander. Dafür, einander und anderen das Leben schöner, leichter, einfacher zu machen. Darin erfährt unser Leben Sinn – über die Grenzen des gleichwohl schönen Urlaubspools hinaus.

Das Joch der anderen: Es ist mir oft fremd und unbekannt. Genau wie das ursprüngliche Joch der Bäuerinnen früherer Jahre.
- Ich weiß nicht wirklich, was es heißt, in den Stadtwerken zu arbeiten. Wie die Männer und Frauen, die dafür sorgen, dass jede Woche der Müll abgeholt wird, die Straßen sauber sind, unsere Stadt funktioniert. Aber ich lebe davon, dass andere es für uns tun. Danke!
- Ich kenne es nur von Besuchen, wie es ist, bei der Polizei oder Feuerwehr Dienst zu tun. Die täglich Konflikte lösen und einsatzbereit sind – nicht nur, wenn es brennt. Wenn es funktioniert, sagt niemand etwas. Wenn nicht, sind die Klagen laut. Und die bei ihren Einsätzen zum Teil behindert oder angegriffen werden. Ich bin tiefendankbar, dass es Menschen gibt, die das für uns leisten.
- Ich kenne nicht wirklich das tägliche Joch der Pfleger in Seniorenheimen, des Personals in Krankenhäuser, der Erzieherinnen in Kitas. Was es bedeutet, jeden Morgen dafür zu sorgen, dass Kinder gut groß werden, Kranke gepflegt werden, alte Menschen würdig und gut leben können. Und das auch im Urlaub. Das kostet viel Kraft. Für all diese Arbeit bin ich zutiefst dankbar. Es ist ein Gottes- und Liebesdienst für andere.

Um noch einmal Luther zu zitieren: „Wenn ein jeder Mensch seinem Nächsten diente, dann wäre die ganze Welt voll Gottesdienst.“ Nicht Priester, Mönche oder Nonnen sind danach in einem besonderen geistlichen Stand. Denn sie erfüllen Pflichten, die sie sich selbst ausgesucht haben: Armut, Keuschheit, Gehorsam. Kannste alles machen – musste aber auch nicht. Sondern es sind die Menschen, die sich um ihre Familien, Nachbarinnen und Kollegen kümmern: Landwirte, die für andere Nahrung schaffen, Handwerkerinnen, die Häuser bauen. Oder IT-Experten, auch wenn Luther Letztere noch nicht ganz so sehr im Blick hatte.

An Gottes Liebe zu glauben und aus ihr zu leben, macht das Leben nicht einfacher. Aber es macht es tiefer, weiter und schöner. Weil es meine Horizonte weitet: nach oben zu Gott und zur Seite zu meinen Mitmenschen. Als Glaubende sind wir eben nie allein. Nicht mit unserer Arbeit, nicht mit unserer Einsamkeit oder Krankheit, nicht mit den Kindern, den pflegebedürftigen Eltern oder all den anderen Problemen zu Hause.

Christus trägt uns – mit unseren Lasten. Und in Christus können wir Gott helfen, die Lasten anderer zu tragen. Das soll die Erwerbsarbeit nicht geistlich überhöhen. Sie hat ihre Grenzen. Und das ist auch gut so. Ausruhen, Schlafen, Urlaub sind ebenso von Gott gesegnet. Doch es macht die inneren Dimensionen unseres Lebens deutlich. Und es verleiht unserer Arbeit und unserem Ruhen einen tieferen Sinn. Wir sind für einander geschaffen.

„Thank you for your service-“ Mit diesem Satz wird in den Vereinigten Staaten oft Veteran/innen für ihren militärischen Einsatz gedankt. Wie sehr gilt das erst recht für alle, die sich täglich für ein friedliches, menschliches Leben einsetzen? Ich laden Sie daher ein, anderen Menschen im Alltag einfach einmal zu sagen: „Lieber Krankenpfleger, liebe Polizistin, lieber Paketbote, danke für deine Arbeit – Gott segne dich.“

Foto:
Pflege am Krankenbett
©Verfasser


Info:

Weitere Texte: www.glauben-denken.de

Als Bücher: www.bod.de

Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!