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Kategorie: Lust und Leben

50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozess. Vortrag in der Villa Ichon in Bremen am 5. September 2015, Teil 2/5

 

Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) - Vor einem halben Jahr habe ich im Berliner „Tagesspiegel“ den Umgang des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt mit seinem Namensgeber kritisiert. Die Zeitung veröffentlichte meinen Artikel in großer Aufmachung und wertete ihn als Ausdruck eines Deutungskampfes um das Werk Fritz Bauers. Der Direktor des Instituts hat mich deswegen heftig angegriffen. Zu meiner Überraschung und wohl auch der der anderen Seite stellte sich der hessische Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein, auf meine Seite.

 

Der CDU-Politiker ist stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrates des Fritz- Bauer-Instituts. Er kündigte an, dass er meine Kritik in diesem Gremium zur Sprache bringen und den wissenschaftlichen Beirat in die Diskussion einbeziehen werde. Bevor es dazu kam, nahm der Direktor seinen Hut, um sich, wie er sagte, an anderer Stelle wissenschaftlich zu betätigen.

 

Zwei Verfassungsorgane, Bundespräsident Joachim Gauck, und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Vosskuhle, haben dazu aufgerufen, die Verdienste Fritz Bauers in würdigem Andenken zu bewahren. Als Vorbild haben sie ihn nicht empfohlen. Manchen liegt der unbequeme Mahner immer noch quer im Magen, weil er sich weniger als Anwalt des Staates, sondern eher als Anwalt der Bürger verstand. Er ermunterte die Menschen zum Widerspruch, zur Verteidigung ihrer staatsbürgerlichen Rechte. Er wollte, dass die Wurzeln des Bösen bloßgelegt werden, das zu Auschwitz geführt hat.

 

 

Im Mai hat Bundespräsident Gauck anlässlich des 50. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel versprochen: „Wir werden nicht zulassen, dass das Wissen um die besondere historische Verantwortung Deutschlands verblasst.“ Viel ist dabei nicht herausgekommen. Im selben Monat ergab eine Bertelsmann-Studie, dass 81 Prozent der Deutschen die Geschichte der Judenverfolgung „hinter sich lassen“ möchten. (SZ 12. 5. 2015, S. 6).

 

Offensichtlich reicht es nicht, an Gedenktagen die Opfer zu bedauern. Am 70. Jahrestag der Kapitulation Nazideutschlands beklagte der deutsch-französische Historiker Alfred Grosser, dass der deutsche Widerstand übergangen werde. (Weser-Kurier, 8. 5. 2015). Seine Angehörigen waren, wie Willy Brand kurz vor seinem Tod sagte, mit ihren moralischen Grundentscheidungen vielen anderen voraus.

 

 

Der deutsche Widerstand – Fundament des Neubeginns

 

Der britische Premierminister Winston Churchill bezeichnete die deutschen Gegner Hitlers als das Edelste, was in der Geschichte der Völker je hervorgebracht worden sei. „Diese Männer und Frauen kämpften ohne Hilfe von innen und außen, einzig angetrieben von der Unruhe ihres Gewissens“, sagte Churchill. „Ihre Taten sind das unzerstörbare Fundament eines neuen Aufbaus.“ Vielleicht sollten in allen deutschen Schulen, dem französischen Beispiel folgend, einmal im Jahr zu einem festen Zeitpunkt Bekenntnisse deutscher Widerstandskämpfer verlesen werden, um etwas von dem Geist zu vermittelten, der die Gegner der Nazityrannei beseelte.

 

Bei der Vorbereitung auf diesen Vortrag habe ich die Bremer Bildungs-Senatorin gefragt, auf welche Weise Auschwitz an den Schulen des Landes Bremen behandelt wird. Frau Dr. Bogedan ließ mich wissen, dass Auschwitz im Kontext der Erinnerungskultur für die Schulen ein wichtiges Thema sei. Bei der Vermittlung des Holocaust müsse aber berücksichtigt werden, dass der Unterricht in Klassen gestaltet werde, deren Schülerinnen und Schüler biografische Wurzeln in zahlreichen anderen Kulturräumen hätten. Das ist natürlich eine Herausforderung. Aber die Lehren der Vergangenheit dürfen deswegen nicht zu kurz kommen.

 

Was lernen die Bremer Schüler zum Beispiel über Martha Heuer, jene bescheidene Frau aus einem Bremer Arbeiterviertel, die während der Nazizeit mit ihrer Mutter unter Lebensgefahr Menschen jüdischen Glaubens versteckte und vor dem Tode bewahrte? Die Israelis haben sie als Gerechte unter den Völkern geehrt. Ich hoffe, es noch zu erleben, dass eine Straße oder ein Platz nach Martha Heuer benannt wird.

 

 

Eine der Erfahrungen des deutschen Widerstandes besagt, dass die Ausgrenzung und Diffamierung von Minderheiten nicht geduldet werden darf; denn damit begann das, was mit Auschwitz endete. Wer sich ein Bild vom Ausmaß des Verbrechens machen will, das in Auschwitz begangen worden ist, der möge sich daran erinnern, dass bei der Tsunami-Katastrophe in Ostasien mehr als Zweihunderttausend Menschen dem blinden Wüten der Naturgewalt zum Opfer gefallen sind. Das Entsetzen darüber war groß. In Auschwitz wurden mehr als fünfmal soviel Menschen ermordet. Sie starben von Menschenhand.

 

Einige Beteiligte an dem beispiellosen Verbrechen mussten sich 1963 in Frankfurt am Main vor Gericht verantworten. Die Verkündung des Urteils in dem Jahrhundertverfahren jährte sich am 19. August zum 50. Male. Ich habe den Prozess als Journalist miterlebt. Wer weiß, was in Auschwitz geschah, ist für immer gefeit gegen alles, was auch nur im Entferntesten mit Nazi-Ungeist zu tun hat. Ohne Erinnerung an das Böse, so Bundespräsident Roman Herzog 1996, gibt es weder die Überwindung des Bösen, noch Lehren für die Zukunft.

 

Wenn von den Gräueltaten der Nazis die Rede ist, antworten manche, andere hätten sich auch die Hände schmutzig gemacht. Das mag sein. Aber niemals und nirgendwo sonst wurden Menschen so systematisch und in so großer Zahl getötet, wie in den deutschen Vernichtungslagern, nirgendwo sonst wurden den Ermordeten die Goldzähne ausgerissen und zur Devisenbeschaffung eingeschmolzen, nirgendwo sonst wurden die Haare der Opfer zur Filzherstellung verwendet. Fortsetzung folgt.