Drucken
Kategorie: Musik
Bildschirmfoto 2019 07 07 um 00.50.26MARTHA – ARGERICH – FESTIVAL HAMBURG im Juni, Teil 2/3

Wolfgang Mielke

Weltexpresso. (Hamburg) - Ähnlich verhielt es sich auch während des sehr interessanten und hörenswerten Konzerts am 26.6.2019 während der "Kreutzersonate" von Beethoven (1770 – 1827), einem der Höhepunkte des Konzerts. Diese Sonate "für Pianoforte und Violine" Nr. 9 in A-Dur, op. 47, entstand 1802. Sie besteht aus drei Sätzen: Einem schnellen 1. Satz, einem langsamen 2. - und einen furios schnellen 3. Satz, der ein Rondo ist, wenngleich er so nicht bezeichnet wurde.

Beethoven widmete die Sonate seinem Freund dem Geiger George Bridgetower (1779 – 1860), mit dem er das Werk am 24.5.1803, - Beethoven spielte den Klavierpart -, aufführte. Beide gerieten aber wegen einer jungen Frau, die Beethoven interessierte, über die sich Bridgetower aber abfällig äußerte, aneinander. Beethoven revanchierte sich, indem er Bridgetowers Namen ausstrich und die Widmung ab sofort dem französischen Geiger (mit dem deutsch klingenden Namen) Rodolphe Kreutzer (1766 – 1831) zukommen ließ, den er im selben Jahr in Wien spielen gehört hatte. Kreutzer indessen hat diese Sonate niemals gespielt, weil sie ihm entweder zu schwierig war oder zu strapaziös für das Instrument.

Den Klavierpart in Hamburg spielt Martha Argerich. Ihr Partner an der Violine ist Tedi Papavrami (*1971); ein auffälliger, eigenwilliger Künstler, so scheint es. Ich habe notiert: "Dafür, dass beide eigentlich nicht zusammenpassen, spielen sie sehr gut." Was sie zusammenhält, ist der Zwang der Komposition. Auch hier wieder ein jeweils anderer innerer Rhythmus, so dass es mehr zu einem Parallel- als zu einem Zusammenspiel kommt. Trotzdem: Es fliegen mehrere Funken! Vielleicht gerade durch das Immer-Wieder-Anecken.

Ein Problem dieser Darbietung scheint mir grundsätzlich zu sein, dass die Geige (oder der Geiger) hier weiter vorne steht als der Flügel. Martha Argerich sitzt sozusagen erst hinter dem Geiger, vom Publikum aus gesehen. Dadurch drängt die Geige, ob wie sie will oder nicht, den Flügel häufig nach hinten zurück; überlagert den Klang des Flügels. Der Ton der Geige ist aber, - jedenfalls wie Papavrami sie hier vorwiegend spielt -, teils schrill-durchdringend und kratzig-metallisch; so dass ich mich frage, ob es nicht für die Akustik richtiger wäre, die Geige hinter dem Flügel zu postieren; oder beide Instrumentalisten auf einer Linie parallel zu Publikum wirkend. Sie müssen ja nicht direkt nebeneinander stehen. Ich könnte mir ihr Konzertieren auch quer über die ganze Bühnenbreite vorstellen. Denn: Es ist ja kein Violinen-Konzert, bei dem das Klavier die Begleitung spielt, sondern beide Instrumente sind gleichberechtigt; die Sonate ist für b e i d e Instrumente geschrieben.

Immer wieder gelingen schöne, unvergessliche Momente. Einzel-Momente der Geige, vor allem im langsamen 2. Satz und dann im Presto-Finale, dem wohl berühmtesten Satz der Kreutzer-Sonate. Großartig dann die Steigerung zum Abschluss des Prestos, der hier nun von Martha Argerich geführt wird. Die "Kreutzer-Sonate" war schon im 19. Jahrhundert so berühmt, dass Tolstoi (1828 - 1910) zwischen 1887 und 1889 eine Novelle nach diesem Titel schrieb. Die deutsche Übersetzung stammt nach wie vor von Raphael Löwenfeld (1854 - 1910), der als einer der ersten Tolstoi ins Deutsche übersetzte und ihn durch eine Biographie (von 1892) überhaupt erst weiteren Kreisen bekannt machte. Löwenfeld gründete 1893/94 in Berlin die Schiller-Theater AG. Das Schillertheater wurde dann hundert Jahre später, im Sommer 1993, vom Berliner Senat unter einem Vorwand geschlossen und 'abgewickelt', wie damals ein Mode-Unwort hieß. 

Den Anfang des Konzerts bildete Mozarts (1756 – 1791) Sonate D-Dur für Klavier zu vier Händen KV 381. Zwei Pianisten also an ein und der selben Tastatur. Martha Argerichs Partnerin in diesem Fall: die junge Akane Sakai, geboren in Nagoya, Japan. Sie trägt nicht eine rote, sondern eine frühlingshaft gelbe Jacke. Ihre Fingerfertigkeit ist beachtlich. Aber der Mozart bleibt doch konventionell gespielt. Notiz: "Die besseren, tieferen, intelligenteren Partien von M." - Nestroy sagt irgendwo: #"Die Phönizier erfanden das Geld – warum nur so wenig?"# - Auch hier hätte man sich mehr gewünscht: Stellen von Martha Argerich, die übrigens diese Mozart-Sonate bereits auf "Martha Argerich an friends", damals mit Nicolas Economou (1953 – 1993), der mit nur 40 Jahren durch einen Auto-Unfall starb, gespielt hat. - Akane Sakai ist seit 2018 die künstlerische Planerin des Martha Argerich Festivals der Symphoniker Hamburg. Sie hat mit Martha Argerich schon zusammen gespielt, u.a. 2011.

Anschließend spielt der bulgarische Pianist Evgeni Bozhanov (*1984) sechs Sonaten von Domenico Scarlatti (1685 – 1757), im selben Jahr übrigens geboren wie Bach (1685 – 1750) und Händel (1685 – 1759). Scarlattis Cembalo-Sonaten sind weltberühmt. Bozhanov bemüht sich, die Qualität des Cembalos auf den Flügel zu übertragen; teils so gut, dass man sich fragt, weshalb er nicht gleich ein Cembalo verwendet. Natürlich liegt ein technisch-musikalischer Reiz darin, die Klangfarbe des Cembalos aufs Klavier zu übertragen. Gleichwohl: Das Recht, das ein Flügel als Instrument an sich ausübt, kann man nur kurze Zeit zu überwinden versuchen; tatsächlich behauptet das Klavier seine Rechte deutlich zunehmend. Der Umdeutungsversuch der Qualität wird nicht konsequent durchgehalten. Ob das ein Vorteil gewesen wäre, bleibt fraglich. Denn tatsächlich wirken am besten die Passagen, in der der Pianist dem Flügel entspricht und #ihm# gerecht wird und jedes Cembalo sozusagen vergißt.

Martha Argerich spielt dann zusammen mit Gabriela Montero (*1970), - wieder vierhändig an einem Instrument -, Franz Schuberts (1797 – 1828) Fantasie für f-Moll 'für Klavier zu vier Händen' D 940. Gabriela Montero gehört ebenfalls zum Kreis – oder zur Musiker-Familie von Martha Argerich. Sie war es, die Montero ermuntert hat, ihre spontanen Improvisationen, teils nach vorgeschlagenen Motiven aus dem Publikum, auch in Konzertprogramme einzufügen. Der Schubert hinterlässt außer einem gewissen ruhigen Gleichmaß keinen bleibenden Eindruck.

Aber die Interpretationen, mit denen das ganze Konzert abschließt, wird man nicht vergessen. Zwei Motive werden ihr nacheinander vom Publikum intoniert: Das Anfangsmotiv aus Mozarts "Kleiner Nachtmusik", das sie aufgreift, wiederholt, eine bißchen hin und her wendet – und dann eine sehr freie Interpretation anschließt, die an ihre Improvisations-Begleitung von Friedrich Wilhelm Murnaus (1888 - 1931) "Nosferatu" (1922) vom 18.1.2014 in der Komischen Oper Berlin erinnerte. Das zweite Thema ist der Anfang von Beethovens 5. Sinfonie, 'da – da – da – damm!', das sie wunderbar leicht aufnimmt, teils in Bachsche Formen verwandelt, teils verjazzt, fast bis zum Boogie-Woogie – und jedenfalls nicht nur beeindruckend einfallsreich spielt, sondern ebenso launig.

Zum Schluss spielt sie eine zarte, ruhige Improvisation als Dank an ihre Freundschaft zu Martha Argerich.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
Gabriela Montero, Martha Argerich
© Deutsche Gramophon, Adriano Heitmann, Immagina