Rossinis musikalische Rarität in Bad Wildbad
Sabine Zoller
Bad Wildbad (Weltexpresso) - Ein eindrucksvolles Werk Rossinis markiert in diesem Jahr einen der künstlerischen Höhepunkte auf dem Spielplan des Belcanto Opera Festivals Rossini in Wildbad:La Cenerentola – Der Triumph der Güte. Die komische Oper, 1817 im römischen Teatro Valle uraufgeführt, entfaltet in der intimen Atmosphäre des Königlichen Kurtheaters ihre ganze theaterwirksame Kraft – reduziert, berührend und zutiefst menschlich.
Aschenputtel in Strickweste und Jeans
Regisseur Jochen Schönleber setzt bei seiner Inszenierung auf eine bewusste Reduktion: Keine große Märchenausstattung, kein glitzerndes Ballett – stattdessen eine eine Cenerentola in zerrissenen Jeans und löchriger Strickweste, die mit starker innerer Haltung überzeugt. Der märchenhafte Stoff wird bei Rossini zur tiefgründigen Charakterstudie. Schönlebers minimalistische Umsetzung stellt das Wesentliche in den Mittelpunkt: Die Musik, die Figuren und die Botschaft.
Lehrstück über Güte und Vergebung
Rossinis La Cenerentola erzählt nicht die bekannte Grimmsche Geschichte mit Pantoffel, Tauben und blutigen Zehen. Vielmehr gibt die Oper – untertitelt als Il trionfo della bontà (Der Triumph der Güte) – eine eigene, ebenso packende wie moderne Lesart: Die Fee wird bei Rossini zum Philosophen und Zauberer Alidoro, der Prinz tauscht mit seinem Diener die Kleider, und statt eines gläsernen Schuhs übergibt Cenerentola dem Prinzen einen Armreif. Ihre Verwandlung zur Prinzessin ist kein Zauberakt, sondern die Frucht von Anstand, Geduld und Größe – eine stille Revolution gegen Eitelkeit und Täuschung.
Das Festivalpublikum zeigt sich bewegt – und reist aus allen Himmelsrichtungen an. Josef Sollfrank und Christian Kellner sind Rossini-Fans und eigens für die Festspiele aus Passau gekommen. Sie verbinden den Opernbesuch mit einer Wanderung auf dem Sommerberg und feinem Essen. „Ich bin begeistert, vor allem vom Orchester und auch von den Sängern“, sagt Sollfrank. „Wir haben in Passau ja auch ein gutes Landestheater – aber das heute ist schon sehr außergewöhnlich.“ Aus Stuttgart ist Sabine Hennings eigens für La Cenerentola angereist. „Ich kenne die Stuttgarter Oper – aber hier ist es überraschend angenehm: die Spielfreude und die Stimmen begeistern mich.“Sie hat sich vier Nächte in der Kurstadt einquartiert, genießt das Palais Thermal und berichtet: „Hier kann man buchstäblich fühlen, wie Rossini hier gekurt hat.“ Auch Hajo Böckmann aus Baden-Baden ist begeistert von den tollen Stimmen, und der Spielfreude der Sängerinnen und Sänger. „Das ist das Sinnbild einer komischen Oper - und das kleine Kurtheater ist einfach fantastisch.!“
Ein Ensemble in Höchstform
Musikalisch ist die Aufführung ein Hochgenuss: Polina Anikina brilliert als Cenerentola mit samtweichem Mezzosopran und emotionaler Tiefe. Patrick Kabongo als Don Ramiro überzeugt mit sicherem, höhensicheren Tenor. Für komödiantische und gesangliche Glanzlichter sorgen Emmanuel Franco als gewitzter Dandini und Filippo Morace, der als Don Magnifico mit stimmlicher Wucht und pointierter Mimik glänzt. Die Stiefschwestern – Ellada Koller (Clorinda) und Verena Kronbichler (Tisbe) – gestalten die Karikaturen eitler Selbstdarstellerinnen mit herrlicher Überzeichnung. Dogukan Özkan gibt einen eindrucksvoll ruhenden Alidoro.
Die musikalische Leitung liegt in den erfahrenen Händen von José Miguel Pérez-Sierra, der mit dem Philharmonischen Orchester Krakau dem Werk mit viel Gefühl und Raffinesse seinen Klang verleiht. Gianluca Ascheri, langjähriger Pianist der Akademie BelCanto, begleitet die Aufführung mit großer Präsenz am Klavier.
Ein Meisterwerk mit Botschaft
Im stimmungsvollen Finale verschmelzen Chor, Rezitativ und das triumphale Rondo der Hauptfigur zu einem musikalischen Höhepunkt. Die Oper endet nicht mit dem rauschenden Glück allein, sondern mit einer leisen Botschaft, wie sie Programmheft formuliert ist: „La Cenerentola scheint uns zu sagen, dass die reinste Güte wirklich existiert – man kann sie hören, man kann sie sehen, aber sie ist nur dort oben, außerhalb dieser Welt.“
Für Bürgermeister Marco Gauger ist diese Aufführung ein besonderes Erlebnis:„Es ist einfach nur faszinierend, wie man die verschiedenen Werke aus den verschiedenen Epochen von Rossinis Schaffen hier inszeniert. Heute mit Aschenputtel hatten wir etwas ganz Begeisterndes – auch menschlich. Die Inszenierung, das Orchester – das war musikalisch auf ganz, ganz hohem Weltniveau. Ich bin glücklich, dass wir das hier feiern dürfen.“Ein Abend also, der weit über märchenhafte Unterhaltung hinausreicht. Das Publikum dankte den Künstlern mit langanhaltendem, begeistertem Applaus – für eine Aufführung, die weit mehr war als bloß unterhaltsames Musiktheater und eindrucksvoll zeigte, dass selbst in zerrissenen Jeans und löchriger Strickweste Güte, Vergebung und Menschlichkeit die wahren Kostbarkeiten sind.
Foto: Impressionen des Abends © Sabine Zoller