Das Publikum macht das Festival
Sabine Zoller
Bad Wildbad (Weltexpresso)- Bayreuth am Roten Main, Salzburg an der Salzach – und Bad Wildbad an der Enz: Wer denkt, dass große Opernfestspiele nur in Metropolen oder auf weltberühmten Hügeln stattfinden, hat das Belcanto Opera Festival „Rossini“ in der Kurstadt Bad Wildbad noch nicht erlebt. Inmitten des Schwarzwaldes hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten ein kulturelles Kleinod entwickelt, und das nicht zuletzt wegen seines treuen, leidenschaftlichen Publikums.
Denn hier in Bad Wildbad ist es mehr als ein Festival: Es ist eine Gemeinschaft. Eine Familie. Menschen, die Jahr für Jahr zurückkehren, mit leuchtenden Augen in der ersten, zweiten oder gar siebten Reihe sitzen – und den Sommerurlaub nicht am Meer, sondern im Klang des Belcanto verbringen. Brigitte Crummenerl aus Zürich ist eine von ihnen. Eine treue Seele des Festivals: „Ich liebe das heiße Wasser und die Umgebung. 2025 bin ich zum 27. Mal hier und bleibe jedes Mal neun Nächte“, erzählt die begeisterte Besucherin und betont: „Bei den großen Opern kaufe ich mir sogar zwei Karten, denn ich möchte die Aufführung ein zweites Mal ganz in Ruhe genießen.“ Diese Form von Hingabe findet man nicht überall.
Während in Bayreuth das Publikum nachmittags in feinem Tuch den Grünen Hügel erklimmt, um sich auf stundenlange Wagner-opern einzulassen, bietet Bad Wildbad eine deutlich vielseitigere, naturverbundene Opernerfahrung. Intendant Jochen Schönleber, seit Anbeginn die künstlerische Seele des Festivals, hat es sich zur Aufgabe gemacht, Rossinis Werk in all seiner Breite zu zeigen: Von bekannten Glanzstücken bis hin zu fast vergessenen Meisterwerken. Und das nicht nur im klassischen Opernhaus, sondern an außergewöhnlichen Orten wie der historischen Trinkhalle, dem Königlichen Kurtheater, das Vogelhaus oder hoch oben auf dem Baumwipfelpfad mit Blick über die Tannenwipfel des Schwarzwalds.
„Ich erinnere mich an einen Abend mit Pullover und Skiunterwäsche, als der Wind über die Baumkronen wehte und die Sonne glutrot unterging. Als dann die Musik erklang war es einfach magisch“, berichtet Ursula Fischer aus Dettingen an der Teck. Sie ist eine von denen, die man Jahr um Jahr an ihrem Stammplatz im königlichen Kurtheater wiederfindet: „Platz 157, oben in der Galerie – mit viel Raum für Bewegung, wenn die Musik mich mitreißt.“ Neben Musik hat sie die Umgebung ebenso erkundet wie das Opernprogramm. An Pausentagen werden Fahrradtouren zur Nagoldtalsperre unternommen, oder das Wellnessangebot der Hotels genossen.
Salzburg steht für Hofmannsthals „Jedermann“, für Theater auf dem Domplatz und für kulturellen Glanz mit historischer Tiefe. Bad Wildbad hingegen ist jung geblieben in seiner Experimentierfreude, ohne auf Tiefe zu verzichten. Josef Sollfrank und Christian Kellner sind Rossini-Fans und eigens für die Festspiele aus Passau gekommen. Sie verbinden den Opernbesuch mit einer Wanderung auf dem Sommerberg und feinem Essen. „Ich bin begeistert, vor allem vom Orchester und auch von den Sängern“, sagt Sollfrank. „Wir haben in Passau ja auch ein gutes Landestheater – aber das heute ist schon sehr außergewöhnlich.“ So werden in diesem Jahr fünf Opernproduktionen geboten, darunter auch Werke mit den Nachwuchsstars der renommierten Akademie. Hier steht der künstlerische Anspruch gleichberechtigt neben dem Entdeckergeist.
Für Dr. Jürgen Altenhoff, Mitglied der Deutschen Rossini Gesellschaft, ist die Musik Rossinis Lebenselixier. „Seit den 90er-Jahren komme ich regelmäßig von Hamburg hierher und verbringe meinen Urlaub mit Musik. Es ist wie ein zweites Zuhause“, sagt er. Und damit ist er nicht allein. „Es ist faszinierend, was dieses kleine Festival auf die Beine stellt – und dazu auch noch hochkarätige Sängerinnen und Sänger verpflichtet.“ Internationale Gäste reisen aus Frankreich, Italien, der Schweiz – ja sogar aus den USA – an, um dieses intime und zugleich hochkarätige Festival zu erleben. Es ist dieser persönliche Zugang, der das Festival so besonders macht. Man kennt sich. Man grüßt sich. Man spricht über die gestrige Aufführung beim Frühstück oder in der Therme.
Und mittendrin: Reto Müller, seit 1996 geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Rossini Gesellschaft, Herausgeber der kenntnisreichen Begleitbroschüren und einer der profundesten Kenner Rossinis weltweit. Für ihn ist das Festival in Bad Wildbad ein „Belcanto Juwel“ und ein Ort, wo Wissen, Leidenschaft und Natur zu einer künstlerischen Melange verschmelzen.
Bad Wildbad bietet kein starres Zeremoniell – sondern einen lebendigen Kosmos der Musik. Man kommt, um zu bleiben, um aufzuatmen, um zu genießen. Und um Jahr für Jahr wiederzukehren.
Fotos:
Impressionen
© Sabine Zoller