Gidon Kremer und die Kremerata Baltica im Casals Forum
Barbara Altherr
Kronberg (Weltexpresso) - Das diesjährige Kronberg Festival war ein voller Erfolg. Dreizehn Tage voller Energie, Erkenntnis und Emotionen unter dem Motto „Good Vibrations“. Es zeigte, wie Musik verbinden, heilen und Hoffnung schenken kann. Im Rahmen des Festivals verwandelte sich das Casals Forum in ein pulsierendes Zentrum musikalischer Grenzgänge.
Ein besonderes Erlebnis war das Konzert mit Gidon Kremer, der Kremerata Baltica, dem französischen Pianisten Lucas Debargue und den Perkussionisten Andrei Pushkarev und Pavel Beliaev. Es war weit mehr als ein klassischer Konzertabend – es war ein mutiges, klanglich vibrierendes Plädoyer für das Verlassen tradierter Wege.
Bereits der Auftakt mit Mozarts Klavierkonzert Nr. 14 Es-Dur, KV 449 kündigte an, dass dieser Abend nicht auf gefällige Repertoirepflege aus sein würde. Lucas Debargue, bekannt für seine unkonventionellen Interpretationen, bot gemeinsam mit dem einfühlsam spielenden Ensemble eine Lesart, die in der Balance zwischen kammermusikalischer Intimität und orchestraler Präsenz brillierte. Sein Spiel war zart, dabei immer geistreich und rhythmisch klar konturiert.
Im Zentrum des Programms stand Dmitri Schostakowitschs selten zu hörender Liederzyklus „Vier Gedichte des Kapitän Ljebjadkin“, in einer von Yevgeniy Sharlat für Violine und Streicher arrangierten Fassung. Hier verschmolzen Sprache, Ironie und expressiver Tonfall zu einer düsteren Miniaturwelt, in der Kremer mit seiner Violine erzählte, klagte, spottete – ein wahrhaftes Rezitativ ohne Worte.
Mit Michail Pletnevs „Z-Defilee“ erklang anschließend ein Werk, das in Deutschland an diesem Abend seine Erstaufführung erlebte. Die Komposition lebt von ihrer dramatischen Überzeichnung, ihrem Wechsel zwischen martialischem Gestus und ironischem Spiel. Die Kombination von Violine, Streichern und Schlagzeug erzeugte eine nervöse, filmartige Klangwelt – grotesk, aufrüttelnd und dabei technisch brillant umgesetzt.
Den Schlusspunkt setzte eine zweite deutsche Erstaufführung: Drei bearbeitete Fragmente aus Schostakowitschs Jazzsuite, arrangiert von Andrei Pushkarev. Hier brach der Witz durch, den der Komponist hinter den Fassaden sowjetischer Ernsthaftigkeit immer versteckt hielt. Die Rhythmen groovten, die Streicher swingten, die beiden Schlagzeuger Pushkarev und Beliaev gaben dem Ensemble einen enormen Drive. Dass Gidon Kremer sich auch hier nicht scheute, zwischen Humor und Tiefe zu pendeln, zeigte seine ungebrochene künstlerische Neugier.
Ohne Pause gespielt, entfaltete das Programm eine Sogwirkung, die das Publikum im nahezu ausverkauften Casals Forum spürbar fesselte. Es war ein Konzertabend, der nicht nur durch seine hochkarätige Besetzung überzeugte, sondern vor allem durch den Mut zur musikalischen Aussage – kompromisslos, aktuell, und dennoch tief in der Tradition verankert.
Raimund Trenkler, Gründer und Intendant der Kronberg Academy, fasste das Festival so zusammen: „‚Good Vibrations‘ sind die guten Kräfte, die wir uns alle wünschen – in einer Zeit, in der viel zu oft negative Kräfte die Oberhand gewinnen. Unser Festival hat gezeigt, wie Musik diese Kräfte entfesselt: als Sprache des Friedens, als Umarmung für die Seele und als Quelle neuer Hoffnung. Wie diese Superkräfte der Musik wirken, wollen wir künftig im entstehenden Kronberg Institute for Music and Health wissenschaftlich erforschen und therapeutisch nutzbar machen.“ Dem Visionär und Macher Raimund Trenkler ist auch für dieses Projekt viel Erfolg zu wünschen!
Foto:
Gidon Kremer und die Kremerata Baltica
©Barbara Altherr