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Kategorie: Wissen & Bildung
Wolf Schule 4030An der Max-Wolf-Schule, da kann man gut lustig sein

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) - „Verliebte Zahlen“ im Mathe-Unterricht der Grundstufe suchen, wer möchte da nicht Rechnen lernen? Die Kinder wählen ihre „Zahl des Tages“ unter zehn und ergänzen sie mit der Differenz bis zehn. Etwa zur ausersehenen Ziffer sieben gehört die drei, also sind diese beiden verliebt.

Weitere humorvolle Aufgaben, wie Würfelbilder oder Ziffern in Geheimschrift, bearbeiten sie fast selbständig mit Arbeitsbögen. 
Vorher begann ihr Tag mit Befindlichkeitsfragen, etwa „Ich bin glücklich, weil...“ (Beispiel: „...ich heute zum Kinderarzt gehe“) oder „Ich bin wütend...“ (Beispiel: „...denn mein Bruder hat mich genervt“). Dann gab es die Tagesübersicht auf der elektronischen Tafel, bevor sie sich ans Rechnen machten.

Wolf Schule 4041Zum heutigen, täglich wechselnden Frühstücksdienst verschwinden zwei Schüler früher. Mit anderen bereiten sie - unter pädagogischer Anleitung - die Herstellung und das Verkaufen von belegten Laugenstangen und warmen Pizzabrötchen vor. Im Kiosk bieten sie in der Pause Mitschülern und Lehrerinnen ihre leckeren Waren an; im Anschluss wird das Geld gezählt und abgerechnet.

Dieser Dienst ist Teil der Arbeitslehre, die einen großen Stellenwert in der Schule einnimmt. Über lebenspraktische Tätigkeiten lernen die Kinder Teamarbeit, Kooperation und andere soziale Fähigkeiten, zugleich aber auch Rechnen, Schreiben und Lesen. Ihr Catering in der Pause ist bereits Berufsvorbereitung.


Wolf Schule 4124Größere kommen in ad-hoc zusammengestellten Gruppen zusammen, die sich beruflich orientieren. Diese Teams werden von der Schule gebildet und wechseln viermal im Jahr ihre Tätigkeiten: Im Tonunterricht fertigen sie heute Schildkröten, im Holzraum sind sie seit Jahresbeginn mit der Erneuerung des Schulzauns beschäftigt. In der Kochgruppe gibt es Chili con Carne und Pudding. Als Highlight gilt die Fahrradtruppe, in der die Kids ihre eigenen oder kaputte Fahrräder der Lehrkräfte reparieren oder die 14 Räder der Schule pflegen. Mit diesen Mountainbikes unternehmen die Größeren auch gemeinsame Exkursionen.


Nicht alle lieben alle Angebote, manche fassen nicht gerne Ton an, haben eher Spaß an der Bedienung der Maschinen im Holzunterricht oder entdecken ihre Leidenschaft fürs Kochen. Neue Dinge kennenlernen, eigene Interessen und Möglichkeiten herausfinden, etwas über erreichbare Berufe erfahren, ist das Ziel dieses Unterrichts. Manche Kinder sind mehr oder weniger körperlich beeinträchtigt und sitzen im Rollstuhl, andere sind durch psychologische Störungsbilder wie ADHS oder Autismus eingeschränkt. 

Wolf Schule 4249Die Schülerinnen und Schüler der Förderschule sind nicht so dumm, wie ihre gesellschaftliche Stigmatisierung. Sie brauchen aus diversen Gründen einfach mehr Zeit zum Lernen, eine strukturierte Umgebung und intensive Betreuung. Daher werden sie in kleineren Klassen mit durchschnittlich 11 Kids betreut, müssen (meist) jedoch auch in verschiedene Teams gehen, um zu lernen sich auf andere Menschen einzustellen und mit ihnen zu kooperien. In fast jeder Gruppe gibt es ein oder zwei Kinder mit einer Helfenden, der Teilhabeassistentin, die den Einzelnen hilft am Unterricht teilzunehmen.



Die Atmosphäre in der Schule ist auch in den Pausen entspannt. Das pädagogische Personal bleibt oft ziemlich geduldig, „unsere Kernkompetenz“, meint lächelnd eine Lehrerin. Aber konsequent sind sie alle, andere zu unterbrechen oder Reden ohne sich zu melden, wird nicht geduldet. Natürlich gibt es auch Streit, Missgunst und Ärger untereinander oder mit der Schule, auch das wird für soziales Lernen genutzt. Und es gibt pädagogische Mediationskräfte.

In einer Klasse der Älteren reflektieren die Jugendlichen ihre Erfahrungen und fantasieren, wie sie in fünf Jahren leben möchten. Ein Junge will mehrere Praktika für die Kochausbildung ableisten, einer hat in einem Jahr eine Lehrstelle als Maler und Lackierer in Aussicht. Ein Mädchen hofft, dann noch mit ihrem Freund zusammen zu sein und mit ihm die Firma seines Vaters zu übernehmen. 

Wolf Schule 1772Einige Zahlen 
Der Name der Max-Wolf-Schule geht auf den jüdischen Gründer der Dreiturm-Werke zurück, der seine Arbeitenden in der frühen Nazi-Zeit fair und gerecht behandelte (wir berichteten). In dieser Förderschule im Altkreis Schlüchtern werden gut 100 Kinder und Jugendliche durch 46 speziell ausgebildete Lehrkräfte betreut. Weitere 25 Fachlehrkräfte sind in diesem Gebiet, in 21 Regelschulen, ausschließlich für die Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderungsbedarf zuständig.

Drei Fragen
Förderschulen sind nicht unumstritten, in der TV-Sendung „Frontal“ wurde vor kurzem der absurde Vorwurf vertreten, das UN-Menschenrecht zur Integration würde hier mit Füßen getreten. Aber die Aufnahme der Schülerinnen und Schüler erfolgt nach äußerst strengen Kriterien des Hessischen Kultusministeriums. Regel- und Förderschulen sind durch pädagogische Fachkräfte miteinander vernetzt und in beide Richtungen durchlässig.
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Viele Kinder, die der Autor in der Schule kennenlernte, wären – trotz Assistenz - in der Regelschule verloren. Wir stellten Direktor Steffen Krüger folgende Fragen. Die Antworten sind gekürzt und überarbeitet.

Drei Fragen an Schulleiter Steffen Krüger

  1. 1.  Wird Ihre Förderschule heutzutage immer noch diskriminiert?

    Diese Frage lässt sich mit "teilweise" beantworten. Personen, die mit unserer Förderschule vertraut sind oder sie besuchen, schätzen sie aufgrund ihrer tatsächlichen Hilfeleistung. Allerdings gibt es andere, die Schwierigkeiten damit haben, wenn ihr Kind einen sonderpädagogischen Förderbedarf benötigt. Oftmals lehnen sie das Unbekannte zunächst ab.

    2.  Sind Förder- und Regelschule in beide Richtungen durchlässig?

    Hier kann man eindeutig "ja" sagen. In der Förderschule haben wir immer Kinder, darunter auch aktuell mehrere, die durch einen Probeunterricht wieder in die Regelschule zurückkehren. Es gibt bestimmte, strenge Kriterien, die erfüllt werden müssen, wenn ein Kind besondere Förderung benötigt, sei es durch Inklusion in der Regelschule oder an unserer Förderschule. Das gilt natürlich auch für den umgekehrten Weg, also die Aufhebung des Förderbedarfs. Gleichzeitig besteht das Recht auf eine Förderschule oder inklusiven Unterricht. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass in Hessen das Elternwahlrecht gilt. Kinder können nicht gegen den Willen der Eltern "zwangsbeförderschult" werden.

    3.  Wie wird sichergestellt, dass Kinder mit Lernschwierigkeiten in der Regelschule - zusätzlich - durch Fachkräfte betreut werden?

    Im Land Hessen gibt es Beratungs- und Förderzentren, deren Aufgabe darin besteht, mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Regelschulen zu unterstützen. Im Fall der Max-Wolf-Schule, Beratungs- und Förderzentrum, handelt es sich überwiegend um ausgebildete Förderschullehrkräfte, die in unserer Schule sowie in den 21 Regelschulen arbeiten. Viele davon wurden sogar von uns selbst ausgebildet.

    4.  Nachschiebsel

    Wenn ich als Schulleiter die Gelegenheit habe mich öffentlich zu äußern, möchte ich hinzufügen: Ich bin persönlich glücklich über die fachlich sehr qualifizierten und auch hochmotivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das nehme ich wirklich nicht als Selbstverständlichkeit.

Hinweis
Öffentliches gemeinsames Schulfest („Haus der offenen Tür“) der Max-Wolf-Schule mit der Bergwinkel-Grundschule am Freitag den 14. Juli von 12 bis 16 Uhr

Fotos:
Hanswerner Kruse