Frankfurter Physiker*innen beobachten die gekoppelte quantenmechanische Nullpunktbewegung der Atome eines Moleküls
Redaktion
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Forscher*innen der Goethe-Universität Frankfurt gelang erstmals die direkte Visualisierung der sogenannten quantenmechanischen Nullpunktbewegung in einem größeren Molekül. Diese Bewegung vollführen Teilchen selbst am absoluten Temperaturnullpunkt. In einem gemeinsamen Experiment mit dem Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, der Universität Hamburg, dem European XFEL und weiteren Partnern konnten sie den „ewigen Tanz“ der Atome sichtbar machen. Gelungen ist dies Dank des in Frankfurt entwickelten COLTRIMS-Reaktionsmikroskops, das die Struktur der Moleküle rekonstruieren kann. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Zeitschrift „Science“ veröffentlicht.
Die Quantenwelt ist für die allermeisten von uns nur schwer vorstellbar: Laut der Heisenbergschen Unschärferelation ist es, als würde man bei einem Tanz nie gleichzeitig genau sehen können, wo jemand gerade tanzt und wie schnell er sich bewegt – man muss sich immer für eines entscheiden. Trotzdem ist dieser quantenmechanische Tanz nicht chaotisch, die Tänzer*innen folgen einer strikten Choreografie. Übertragen auf Moleküle hat dieses seltsame Verhalten noch eine weitere Konsequenz: Selbst, wenn ein Molekül am absoluten Temperaturnullpunkt eigentlich komplett eingefroren sein sollte, kommt es nie völlig zur Ruhe. Angetrieben von der sogenannten Nullpunktenergie führen die Atome, aus denen das Molekül besteht, einen ständigen, leisen Tanz auf, den niemand anhalten kann.
Korreliertes Verhalten der Nullpunktbewegung erstmals direkt gemessen
Diese nach festen Mustern ablaufenden Bewegungen um den Nullpunkt direkt zu messen, galt lange als unmöglich; doch nun ist genau das Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität Frankfurt und weiteren Partnern am weltgrößten Röntgenlaser European XFEL in Hamburg gelungen. Sie konnten den „Tanz der Moleküle“ einfangen, indem sie das „Rampenlicht“ auf jeweils ein einzelnes Molekül richteten und Schnappschüsse seiner Atome machten. Nur so konnten sie die perfekte Choreografie der einzelnen Atome des Moleküls sichtbar machen.
Prof. Till Jahnke vom Institut für Kernphysik der Goethe-Universität Frankfurt und dem Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg erläutert: „Das Tolle an unserer Arbeit ist, dass wir sehen konnten, dass nicht jedes Atom für sich schwingt, sondern dass die Atome in den Molekülen gekoppelt schwingen, nach festen Mustern. Dieses Verhalten konnten wir erstmals in einzelnen mittelgroßen Molekülen direkt messen, die sich zudem noch in ihrem energetisch tiefsten Zustand befinden. Diese Nullpunktbewegung ist ein rein quantenmechanisches Phänomen, das klassisch nicht erklärbar ist.“ Statt von Choreografien sprechen Physiker*innen hier von Vibrationsmoden. Sind die Bewegungsmuster von Molekülen mit zwei bis drei Atomen relativ leicht nachvollziehbar, so wird es bei mittelgroßen Molekülen – wie dem hier untersuchten Iodpyridin mit elf Atomen – schnell unübersichtlich. Ganze 27 unterschiedliche Vibrationsmoden hat Iodpyridin im Repertoire – von Ballett über Tango bis hin zum Volkstanz ist also alles dabei.
Dieses Experiment hat eine längere Geschichte. „Wir haben die Daten bereits 2019 im Rahmen einer von Rebecca Boll am European XFEL geführten Messung aufgenommen, die eigentlich auf eine ganz andere Thematik abzielte. Erst zwei Jahre später verstanden wir dann, dass wir tatsächlich Anzeichen für die Nullpunktbewegung sehen. Der Durchbruch kam letztendlich durch die Zusammenarbeit mit unseren Kolleg*innen aus der theoretischen Physik vom Center for Free-Electron Laser Science in Hamburg. Insbesondere Benoît Richard und Ludger Inhester haben mit ihren neuartigen Analysemethoden die Interpretation der Messdaten noch einmal auf ein ganz anderes Level gehoben. Es mussten hier rückblickend schon viele Puzzleteile zusammenkommen und ineinanderpassen“, erklärt Jahnke.
Explosion enthüllt Molekülstruktur
Doch wie gelingt eine Aufnahme der tanzenden Teilchen? Bei der als „Coulomb Explosion Imaging“ bezeichneten Methode werden Moleküle durch ultrakurze, hochintensive Röntgenlaserpulse zur kontrollierten Explosion gebracht, um hochauflösende Bilder ihrer Struktur zu gewinnen. Der Röntgenpuls schlägt dabei zahlreiche Elektronen aus dem Molekül heraus, wodurch elektrisch positiv geladene Atome entstehen, die sich durch elektrostatische Abstoßung innerhalb von Bruchteilen einer Billionstel-Sekunde gegenseitig wegschleudern. Die auseinanderfliegenden Atomtrümmer werden von einer speziellen Apparatur aufgezeichnet, die Einschlagort und -zeitpunkt der Bruchstücke misst, um daraus die ursprüngliche Molekülstruktur zu rekonstruieren. Dieses sogenannte COLTRIMS-Reaktionsmikroskop wurde in den letzten Jahrzehnten in der Arbeitsgruppe für Atomphysik an der Goethe-Universität entwickelt. Eine speziell für die Anforderungen des European XFEL angepasste Version konstruierte Dr. Gregor Kastirke im Rahmen seiner Doktorarbeit. Das Gerät jetzt in Aktion zu sehen, sei etwas ganz Besonderes, so Kastirke: „Solche bahnbrechenden Ergebnisse zu sehen, macht mich schon ein wenig stolz. Sie entstehen nur durch jahrelange Vorbereitung und enge Teamarbeit.“
Neue Einblicke in die Quantenwelt
Die Ergebnisse eröffnen völlig neue Einblicke in quantenmechanische Phänomene. Erstmals können Forscher*innen die komplexen Muster der Nullpunktbewegung in komplexeren Molekülen direkt beobachten. Diese Erkenntnisse zeigen auf, welche Möglichkeiten sich mit dem in Frankfurt entwickelten COLTRIMS Reaktionsmikroskop überhaupt erst eröffnen. „Wir entwickeln unsere Methode immer weiter und planen bereits die nächsten Experimente“, erklärt Jahnke. „Unser Ziel ist es, neben dem Tanz der Atome auch den der Elektronen anzuschauen – also eine Choreografie, die um einiges schneller abläuft und zudem von der Bewegung der Atome beeinflusst wird. Mit unserer Apparatur können wir nach und nach regelrechte Kurzfilme von Molekülprozessen erstellen – das war früher undenkbar.“
Foto:
Moleküle werden durch ultrakurze, hochintensive Röntgenlaserpulse zur kontrollierten Explosion gebracht - so gelingen hochauflösende Bilder von Molekülstrukturen und tanzende Atome
©Till Jahnke
Info:
Publikation: Benoît Richard, Rebecca Boll, Sourav Banerjee, Julia M. Schäfer, Zoltan Jurek, Gregor Kastirke, Kilian Fehre, Markus S. Schöffler ,Nils Anders, Thomas M. Baumann, Sebastian Eckart, Benjamin Erk, Alberto De Fanis, Reinhard Dörner, Sven Grundmann, Patrik Grychtol, Max Hofmann, Markus Ilchen, Max Kircher, Katharina Kubicek, Maksim Kunitski, Xiang Li, Tommaso Mazza, Severin Meister, Niklas Melzer, Jacobo Montano, Valerija Music, Yevheniy Ovcharenko, Christopher Passow, Andreas Pier, Nils Rennhack, Jonas Rist, Daniel E. Rivas, Daniel Rolles, Ilme Schlichting, Lothar Ph. H. Schmidt, Philipp Schmidt, Daniel Trabert, Florian Trinter, Rene Wagner, Peter Walter, Pawel Ziolkowski, Artem Rudenko, Michael Meyer, Robin Santra, Ludger Inhester, and Till Jahnke: Imaging collective quantum fluctuations of the structure of a complex molecule. Science (2025) DOI: 10.1126/science.adu2637
Quelle: Universität Frankfurt