Drucken
Kategorie: Zeitgeschehen
a Wladimir Iljitsch LeninTexte zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution, Teil 1/3

Gesammelt und zusammengestellt von Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Eine kurze Vorbemerkung sei mir gestattet: Es war leichtfertig von mir, der Redaktion einen wenn auch nur kurzen Überblick über das Echo der Oktoberrevolution in Russland bei europäischen Intellektuellen und Schriftstellern zu versprechen. Herausgekommen ist ein Streiflicht, alles andere als repräsentativ und überlagert vom Wissen um das Scheitern eines Gesellschaftsmodells, das nach den Worten von Thomas Mann auf einer „Menschheitsidee“ beruhte, der Idee des Kommunismus.

Das Echo war – soweit ich sehe - dissonant und eher von Zweifeln bestimmt denn von der Zuversicht, am Beginn einer verheißungsvollen neuen Epoche der Menschheitsgeschichte zu stehen. Einer der unmittelbaren Zeugen, der russische Schriftsteller Maxim Gorki, dem Revolutionsführer Lenin durchaus verbunden, äußerte sich ein halbes Jahr nach der Oktoberrevolution verhalten zur Machtübernahme durch die Bolschewiki:

„Eine Revolution ist nur dann vernünftig und großartig, wenn sie der natürliche und machtvolle Ausbruch aller schöpferischen Kräfte eines Volkes ist. Wenn sie jedoch nur jene Gefühle und Gedanken befreit, die sich im Volk während seiner Versklavung und Unterdrückung angestaut haben, wenn es sich nur um einen Ausbruch von Erbitterung und Hass handelt, dann haben wir keine Revolution, sondern einen Aufruhr, der unser Leben nicht verändern kann und nur die Grausamkeit und das Übel vergrößert. Können wir guten Gewissens behaupten, dass im Jahr der Revolution das russische Volk, das sich von der Gewalt und dem Zorn des Polizei- und Beamtenstaats befreit hat, damit auch besser, freundlicher, weiser, ehrlicher geworden wäre? Nein, wer ehrlich ist würde das nicht behaupten. Wir leben weiterhin so, wie wir in der Monarchie gelebt haben, mit denselben Bräuchen, Gewohnheiten und Vorurteilen, genau so dumm und schmutzig. [...] Das russische Volk, das die volle Freiheit erlangt hat, vermag nicht, ihren großen Segen für sich zu nutzen, sondern sie nur zum Schaden für sich und seinen Nächsten zu missbrauchen, und so riskiert es, endgültig zu verlieren, was es sich nach leidvollen Jahrhunderten erkämpft hat. Nach und nach wird all das Großartige vernichtet, was seine Vorfahren erarbeitet haben, verschwinden die nationalen Reichtümer und die Möglichkeiten, die Schätze dieser Erde zu mehren, werden Industrie, Verkehr und Post zerstört und die Städte verwüstet, die in Schmutz versinken.“

Im Deutschen Historischen Museum wird das Ereignis kurz und knapp heute so beschrieben: „Mentalitäts- und kulturgeschichtlich bewirkte die Revolution zunächst einen Aufbruch in allen Bereichen der Gesellschaft. Sie führte zu neuen Formen in Wirtschaft, Bildung und Kultur, förderte nationale, politische und soziale Befreiungsbewegungen, inspirierte Künstler und Kulturschaffende weit über die Grenzen Russlands hinaus und forderte das Wertesystem der alten europäischen Gesellschaften heraus.“

Der marxistische Philosoph Antonio Gramcsi fragte im November 1917nach der Vereinbarkeit des Vorgehens der Bolschewiki mit den Erkenntnissen von Karl Marx. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die vorausgegangene Februarrevolution, mit der die Zarenherrschaft endete. Ihr folgte eine Art Doppelherrschaft mit einer provisorischen Regierung auf der einen Seite und Arbeiter- und Soldatenräten auf der anderen. Gramcsi, der später zu den Mitbegründern der Kommunistischen Partei Italiens gehörte, schrieb unter anderem:

„Es waren die Maximalisten, die bis vor zwei Monaten das notwendige Ferment bildeten, damit die Ereignisse nicht stagnieren und der Weg in die Zukunft nicht dadurch unterbrochen wird, dass sich eine Ordnung in endgültiger Form – und dies wäre eine bürgerliche Ordnung – etabliert. Die Oktoberrevolution war die Revolution gegen das ‚Kapital’ von Karl Marx. Es war der kritische Beweis für die fatale Notwendigkeit, das sich in Russland eine Bourgeoisie bildet, dass eine kapitalistische Ära beginnt, dass sich eine Zivilisation westlichen Typs durchsetzt, bevor das Proletariat überhaupt erst an seinen Aufstand, an seine Forderungen als Klasse, an seine Revolution denken kann... Die Tatsachen haben die kritischen Schemata ad absurdum geführt, denen zufolge die Geschichte Russlands sich nach den Grundprinzipien des historischen Materialismus hätte entwickeln müssen. Die Bolschewiki ignorieren Karl Marx; sie bestätigen mit der vollendeten Aktion, ... dass die Grundprinzipien des historischen Materialismus nicht so eisern sind, ...wie man annahm. ...Obwohl die Bolschewiki einige Feststellungen des Kapitals ignorieren, so ignorieren sie nicht das ihm innewohnende, lebensspendende Gedankengut...Und dieses Denken stellt stets als den wichtigsten Faktor nicht die ökonomischen Tatsachen, nicht die Elementargewalten an die erste Stelle, sondern den Menschen, die menschliche Gesellschaft.“ (Philosophie der Praxis, Frankfurt/Main 1967, S. 23-26.)

FORTSETZUNG FOLGT

Foto: Lenin ©raetedemokratie.blogspot.com