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Kategorie: Zeitgeschehen
p feindbergsÜber die Selbstentblößung eines Antisemiten vor dem jüdischen Restaurant Feinberg's in Berlin, Teil 2/2

Matthias Küntzel

Hamburg (Weltexpresso) - Der Hauptdarsteller des Videos ist kein Leugner des Holocaust und weist die Vermutung, er persönlich wolle Juden umbringen, zurück. Nur zögerlich nimmt seine Gaskammerphantasie Gestalt an, bis sie schließlich in dem Aufruf Alle wieder zurück in eure blöde Gaskammer! gipfelt.

Die Gaskammer als der den Juden zugedachte Ort – diese brutale Phantasie nimmt ihren Anfang bei einem Konstrukt, das der Antisemit dem Juden mehrfach entgegenschleudert: Du hast keine Heimat! Daraus folgt in einer ersten Steigerung das folgende wirr anmutende Wortgestrüpp: 4 Millionen? Scheiße. Du kriegst auch deine Rechnung.

Vermutlich waren hier die sechs Millionen gemeint. Das Phantasiekonstrukt Du kriegst auch deine Rechnung in zehn Jahren macht sich selbstständig: Binnen einiger Sekundenbruchteile wird daraus: In zehn Jahren lebst du nicht mehr.

Die Sehnsucht nach einem neuen Auschwitz, zunächst noch mit dem Ausruf Scheiße auf Distanz gehalten, setzt sich schrittweise durch. Weitere Sekundenbruchteile später ist es bereits deine ganze Familie, deine ganze Sippe hier, die dem Massenmord in fünf Jahren oder zehn Jahren zum Opfer fallen soll.

Sie werden uns alle umbringen? fragt Yorai Feinberg, der Eigentümer des Restaurants. Weiß ich nicht. Keine Ahnung, antwortet der Berliner Bürger. Eins aber weiß er am Ende genau: Ihr werdet alle in der Gaskammer landen.


Welche Motive liegen dieser genozidalen Phantasie zugrunde? 

Wir haben zum einen die bekannten antisemitischen Topoi: Juden lügen!, Bei euch geht’s nur um Geld Geld Geld!, 70 Jahre Krieg gegen Palästinenser! sowie die klassische Du hast keine Heimat-Zuschreibung, die dem ewig wandernden Jude überall auf der Welt nur den Gästestatus zuerkennt.

Noch wichtiger scheint mir etwas anderes zu sein, ein Gefühl, das in den folgenden Ausrufen des Antisemiten zum Ausdruck kommt: Was wollt ihr nach 1945 hier? Sechs Millionen Menschen sind umgebracht worden von euch. Was willst du denn hier?

Ich betrachte diese Wortfolge als Ausdrucksform des sekundären Antisemitismus, demzufolge man Juden nicht trotz, sondern wegen Auschwitz forthaben will. Als personifizierte Erinnerung an das Verbrechen, an das ewig erinnert werden wird, stehen sie dem neuen Nationalstolz (Du bist in MEINEM Land!) im Weg.

Diese Interpretation würde auch die Wehleidigkeit des Berliner Bürgers erklären, die sich in der Formel: Ihr seid gemein. Ihr seid einfach nur gemein sowie später in dem Ausruf: Nicht so brutal. Das ist so brutal artikuliert; ein Ausruf, der sich vermutlich auf die Tatsache bezieht, dass das jüdische Restaurant offensiv mit Davidstern und Menora-Leuchter für sich wirbt.

Hier verstellt sich der Verfolger als Verfolgter, der sich durch die selbstbewusste jüdische Präsenz inmitten von Berlin mit einer imaginären, in jedem Fall aber gemeinen und brutalen „Auschwitzkeule“ konfrontiert sieht – egal, was der vor ihm stehende jüdische Gastwirt sagt.

Die Juden aber sollen begleichen, was sie durch ihre schiere Präsenz in Schöneberg verbrochen haben. Du kriegst deine Rechnung!, ruft der Berliner sechsmal nacheinander aus. Beglichen werden aber kann sie allein mittels der Gaskammer, in der deine ganze Familie, deine ganze Sippe hier ... landen wird – nicht sofort, versteht sich, aber doch in fünf bis zehn Jahren.

Der Antisemit sagt zu Beginn seines Auftritts: Ich muss einfach so reagieren; die Psychoanalyse spricht vom Wiederholungszwang:

“Aber was so unverstanden geblieben ist, das kommt wieder; es ruht nicht, wie ein unerlöster Geist, bis es zur Lösung und Erlösung gekommen ist.“ (S. Freud, zit. nach J. Laplanche und J.B. Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, Frankfurt/M. 1999, S. 628.)

Schockierend ist der Umstand, dass sich der Berliner bei seinen antijüdischen Attacken völlig sicher fühlen und wiederholt den Eindruck vermitteln konnte, für eine Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner zu sprechen: :Euch lieben wir nicht, keiner will euch, keiner will euch hier_. Können wir sicher sein, dass dies für das Gros der Bevölkerung nicht gilt?


Was teilt uns also der Wortwechsel vor dem Feinberg’s mit?

Es ist zwar richtig, wenn dem islamischen Antisemitismus und seiner Bekämpfung nach Jahrzehnten der Verharmlosung besondere Bedeutung beigemessen wird. Darüber darf jedoch die spezifische Gefährlichkeit des deutschen Antisemitismus, der stets so oder so an Auschwitz anknüpft, nicht kleingeredet werden.

Je stärker der exklusive Nationalismus in Deutschland an Fahrt gewinnt, je prominenter die Höckes und Gaulands von einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ und vom „Stolz“ auf die Wehrmacht fabulieren, desto deutlicher zeichnet sich ab, wer aus dem Weg geräumt werden muss, um dieses neue Paradigma durchzusetzen. Der sekundäre Antisemitismus steckt im deutschen Nationalismus wie das Gewitter in der Wolke, ließe sich in Anlehnung an ein berühmtes Wort Jean Amerys sagen.

Kommentar: Die Redaktion von Weltexpresso ist Matthias Küntzel für seine Ausarbeitung von eigentlich Unsagbarem sehr dankbar. Wer bisher glaubte, daß solche Meinungen nur in Hinterzimmern geäußert werden oder am Rande von Parteitagen Rechtsradikaler, weiß nun, daß dies auf offener Straße und gegenüber einem lebendigen Menschen passiert. Wir sind geschockt und erkennen, es ist schlimmer als wir dachten, was nur bedeuten kann, unserer Informationspflicht verstärkt nachzukommen, wozu auch die Urteile von Gerichten wie in Limburg zählen.

Foto: © bild.de