Drucken
Kategorie: Zeitgeschehen
kpm Bormann Behandlung der JudenfrageZur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auch höchstrichterliche Entscheidungen müssen von Fall zu Fall begründet angezweifelt werden. Vor allem dann, wenn davon Grundrechte wie Menschenwürde und Meinungsfreiheit berührt sind.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine juristisch relevante Unterscheidbarkeit zwischen Leugnung und Verharmlosung des Holocausts ist juristisch und politisch umstritten. Vor allem bei jenen, die sich verbaler Anfeindungen bis hin zur Ankündigung von „Abrechnungen“ aus dem rechtsradikalen Lager gegenübersehen.

Formaljuristisch stellt der Paragraphen 130 des StGB beide Delikte – Leugnen und Verharmlosen - unter Strafe. In Absatz 3 des Gesetzes heißt es: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches (Völkermord) bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.

Absatz 4 lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“

Der öffentliche Frieden ist diesem Gesetz zufolge immer dann bedroht, wenn öffentlich gegen bestimmte Gruppen, Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen gehetzt wird (Volksverhetzung). Die Bedrohung kann sowohl konkret stattfinden (Leugnung, Hetze) als auch abstrakt durch eine Verharmlosung eben dieser Taten.

Die Vorschriften des Paragraphen 130 StGB finden eine Entsprechung in § 86a StGB, der die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ahndet. Dabei kann es sich bei diesem Straftatbestand ebenfalls bereits um eine abstrakte Gefährdung handeln. Diese ist dann erfüllt, wenn das geschützte Rechtsgut, also die freiheitlich-demokratische Grundordnung, in diffamierender Weise in Zweifel gezogen wird. Darunter fällt beispielsweise die Plakatierung und Verbreitung von NS-Symbolen. Eine konkrete Gefährdung, beispielsweise durch eine Gewaltaktion, ist mithin gar nicht notwendig.

Wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner aktuellen Entscheidung das Kriterium des gefährdeten öffentlichen Friedens gegen das der Meinungsfreiheit stellt, hebt es indirekt auch die Bestimmungen des § 86a StGB auf und damit generell das Kriterium der abstrakten Gefährdung.

Der vom Gericht formulierte Begriff der „Vergiftung des geistigen Klimas“, den es nicht als Straftatbestand bewertet, sondern der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit unterwirft, übersieht in fahrlässiger Weise die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, das ohne die Verbrechen des NS-Staats nicht zustande gekommen und so nicht formuliert worden wäre. Insbesondere würdigt es nicht den Artikel 139 des Grundgesetzes (Die zur "Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus" erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt), der eine immer währende Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschlang aus den Untaten des Regimes ableitet, dessen Rechtsnachfolgerin sie ist.

Im Gegensatz zum Landgericht Paderborn und zum Oberlandesgericht Hamm, die beide anders entschieden hatten, indem sie der bisherigen Rechtsauffassung folgten (die u.a. in einem Standardwerk wie dem Grundgesetzkommentar von Maunz / Düring wiedergegeben ist), hat es sich das Bundesverfassungsgericht bei der Beurteilung dieser wichtigen Rechtsfrage zu einfach gemacht. Zwar ist es immer wieder notwendig, Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit durch die Rechtsprechung in Übereinstimmung zu bringen. Aber im konkreten Fall ist die Norm nicht durch eine gesellschaftliche Entwicklung überholt. Hingegen besteht die Gefahr, dass das unveräußerliche Grundrecht auf Unantastbarkeit der Würde des Menschen (Artikel 1 GG) einer Beliebigkeit ausgesetzt wird, wenn es politischen Gruppen so gefällt (z.B. in Alexander Gaulands „Vogelschiss“-Vergleich).

Vor allem Betroffene, und letztlich ist das jeder Staatsbürger, für den die Vergangenheit nicht vergangen ist, fragen sich, ob die neuen „Knappen vom Römischen Recht“ (Heinrich Heine), speziell die selbsternannten Nachfolger der NS-Kronjuristen Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber, bereits versuchen, einer „konservativen Revolution“ die staatsrechtliche Begründung zu liefern. Wer im Fischer-Taschenbuch „Politische Justiz 1918 – 1933“ von Heinrich Hannover und Elisabeth Hannover-Drück liest (erschienen 1966), wird auf Vergleichbares stoßen.

Foto:
Brief Martin Bormann zur so genannten Judenfrage
© Bundesarchiv